Beueler-Extradienst

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Kameras = weniger Sicherheit

Wundersame Bahn LXIV
Vor der Paywall lässt der Bonner GA wissen, dass in Kürze eine Kameraüberwachung im Bahnhof Beuel zu erwarten ist. Ein Kommentar des Bundesbeauftragten für Datenschutz ist in der Paywall eingemauert; auf seiner eigenen Homepage ist er nicht zu finden. Hier seine Grundsatzposition zum Kameraüberwachen. Warum sind das alles schlechte Zeichen? Kameras schaffen keine Sicherheit, sondern sind ein untrügliches Zeichen für die Verschärfung von Unsicherheit.
Was sichern Kameras? In erster Linie Voyeurismus. Ihre Aufnahmen lassen sich spurlos vermehren und weiterverbreiten. Boulevardmedien, und solche, die sich an ihnen orientieren, haben längst eine special relationship zu Polizeibediensteten und/oder outgesourcten “Sicherheitsdiensten” – das sind die, vor denen ich mich als Fahrgast wg. ihrer Ahnungslosigkeit aber dicken Muckis und rasierten Schädeln immer am meisten fürchte – gesichert, um solche Aufnahmen für werbewirksame “Verbrecherjagden” vermarkten zu können. Das Publikum zuhause kann sich einen ordentlichen Schauer über den Rücken laufen lassen, und alle, inkl. inkompetenter Innenminister, sind glücklich und zufrieden.
Ferner sichern Kameras Rachsucht und Strafverfolgung. Sie sollen der Polizei die Arbeit erleichtern. Und zwar die Arbeit, die entsteht, weil sie zu präventiver Polizeiarbeit nicht mehr in der Lage ist. In meiner Kindheit gab es mal den ungegenderten Begriff – achten Sie mal auf Schwarz-Weiss-Wiederholungen des Ohnsorg- oder Millowitsch-Theaters in den Dritten Programmen – des “Schutzmannes”. Haha, heute ist der zum Lachen.
Den “Schutzmann” konnte eine zeitlang auch noch der “Bahnbeamte” kompensieren; “Bahnsteigbeamte” sorgten für Ordnung(srufe), wenn ein Kind mal Fahrrad fuhr oder ein Klassenausflug eine Rauferei begann. Das Wort “Schaffner” muss ebenfalls unter Denkmalsschutz, aber ich schweife ab. Wer soll das bezahlen? Richtige Menschen am Bahnhof? Das kann sich die superreiche kapitalistische EU-Führungsmacht BRD nun wirklich nicht mehr leisten. Das war nur in der BRD nach Kriegszerstörung und Hungersnöten möglich, weil “unsere” Sicherheit durch die DDR und den Russen in Gefahr war.
Im Bahnhof Beuel gab es zuletzt noch zwei echte Menschen. Der alte bedauernswerte Mann im Kiosk könnte in der Pandemie aufgegeben haben. Der freundliche Mann am Fahrkartenschalter ist noch da; der Vertrag mit dem Verkehrsverbund soll bis 2023 laufen. Jede Wette, egal wer regiert: dann machen “sie” Schluss.
Dann bleiben uns die Kameras. In Beuel sind wir in der selten privilegierten Situation, dass das Polizeipräsidium bei uns, auf der richtigen Rheinseite in Ramersdorf ist. Laut des weltweiten Suchmaschinenmonopols benötigt eine Autofahrt von dort zum Bahnhof 5 Minuten. Nehmen wir also an, ein Polizeimitarbeiter beobachtet zufällig aufmerksam ausgerechnet die Kameraaufnahme von dem Bahnsteig, auf dem Sie überfallen werden. Rechnen wir optimistisch, dass die Beamt*inn*en, die Sie retten sollen, nur eine Minute benötigen, um in ihrem “Peterwagen” (auch so eine Bezeichnung aus der “Schutzmann”-Zeit) zu sitzen, um Sie zu retten. Macht eine Zehntelstunde von Tür zu Tür. Ein Dieb Ihrer Brieftasche kann sich in einer Zehntelstunde um 500 m entfernen, wenn er gemütlich geht. Wenn er joggt, sind es ca. 1.500 m. Nehmen Sie einen Zirkel und stechen ihn in den Bhf. Beuel. Was meinen Sie, wo mag er sein?
Mehr Sicherheit brächte die Kameraüberwachung, wenn Ihre Retter*innen direkt vor Ort wären. Sie sehen das Bild auf dem Bahnsteig, verlassen sofort ihr Büro im Bahnhof, und kommen Ihnen zu Hilfe, in weniger als einer Minute. Das aber sollen die Kameras ja gerade abschaffen: teuer zu bezahlende menschliche Arbeitskraft.
Noch gar nicht berücksichtigt ist in diesem Szenario die Medienkompetenz der Kriminellen, deren Berufszweig hiermit planmässig gefördert wird. Neben der Tat ist den Delinquenten, zu 95% junge Männer, mindestens genauso wichtig, sich in ihren Kreisen mit ihren gefährlichen Taten rühmem zu können. Was ist dazu besser geeignet als spektakuläre Videos? Unerreichbares Vorbild: der türkische Mafiaboss und Erdogan-Buddy Sedat Peker. Das sind die, mit denen auch unsere Bundesregierung Geschäfte macht: über vier Mio. Flüchtlinge. Passt.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Chris

    Das erinnert mich an die Zeit Mitte der 80er Jahre. Meistens gings für mich als Jugendlicher von Niederdollendorf nach Bonn Hbf.
    Oberkassel Nord mit dem freundlichen Wohnpark Nord und Ramersdorf waren, was Gewaltanwendungen gegen mich betrafen, die beiden Horrorbahnhöfe überhaupt.
    Ich vemied es dort auszusteigen. Als ich doch mal in Ramersdorf umsteigen musste hatte ich schon kein gutes Gefühl, da es dort aber schon Überwachungskameras gab dachte ich jung und naiv das mir im Notfall dann aber schnell geholfen wird.
    Nunja, es tauchten dann am gegenüberliegendem Bahnsteig einige nette Gestalten auf, die ins Gleisbett sprangen, sich mit Schottersteinen aufmunitionierten um dann als sie wieder auf dem Bahnsteig standen, mich und meinen Freund mit ebendiesen bewarfen. Einige trafen mich schmerzhaft, eine schlugen hinter uns in den Fahrplanschaukasten ein. Glassplitter flogen mir um den Kopf. Flucht erst aus dem Bahnhof nach oben, warten auf die Polizei oder wer auch immer “hinter den Kameras sitzt”. Nachdem niemand auftauchte und die Gestalten nun auch oben erschienen, wieder panische Flucht nach unten. Glück, das in dem Moment die Bahn nach Bonn einfuhr und wir mit dieser flüchten konnten.

    Das war ein, wie man heute sagt, ein traumatisches einprägendes Ereignis was einiges an Aufarbeitung benötigte. Geholfen haben die Kameras schon damals nicht.

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