Lasst Blumen sprechen – wer immer sich an Bilder von 1974 erinnert, als Herbert Wehner in der SPD-Fraktion dem zurücktretenden Kanzler Willy Brandt ein Bouquet in Cellophan überreichte, über welches sich Egon Bahr noch Jahre später empörte, weil er, Bahr, ein Freund Brandts, in Wehner den „Verräter“ sah, der Brandt mit seinem „Der Herr Bundeskanzler badet gerne lau“ in den Rücktritt getrieben hatte, und der deshalb Wehner der Ruchlosigkeit zieh – wer das in Erinnerung hat, weiß um die einzigartige Bedeutung von Blumenstraußübergaben in der deutschen Sozialdemokratie.

Brauch ist es, dass nach Landtagswahlen die SPD-Spitzenkandidatinnen und -kandidaten, gleich wie sie abgeschnitten haben, nach Berlin kommen und von SPD-Vorsitzenden mit Blumen bedacht werden, auch wenn der Strauß – wegen Ebbe in der Kasse – nicht so üppig ausfällt wie zu Wehners Zeiten. Morgen also ist Katja Pähle an der Reihe, die SPD-Spitzenfrau in Sachsen-Anhalt, die zufrieden zu sein hat, wenn sie die Zehn-Prozent-Marke überschritten haben wird.

Doch was ist, wenn es zwei SPD-Vorsitzende gibt, die in den fraglichen Wahlkämpfen oft nur eine Nebenrolle spielen und über denen überdies auch noch Olaf Scholz, der Kanzlerkandidat, thront? Wer überreicht den Strauß – Saskia Esken oder Norbert Walter-Borjans?

Im Februar 2020, nach dem SPD-Sieg in Hamburg, galt das Prinzip „Ladies First“, worauf Walter-Borjans mit überschwänglicher Umarmung des Siegers Peter Tschentscher reagierte. Als jüngst in zwei Bundesländern gewählt worden war, standen heikle Fragen mit einer Fülle von Fußangeln an. Diplomatische Lösungen voller Andeutungen, was alles durch die Blume gesagt werden kann. Von links nach rechts hatten sich postiert: Walter-Borjans, Malu Dreyer, die glanzvolle 35,7-Prozent-Siegerin von Rheinland-Pfalz, mittig Olaf Scholz, neben ihm Andreas Stoch, der Elf-Prozent-Verlierer von Baden-Württemberg, sodann Esken, die auch aus Baden-Württemberg kommt.

Dieses Mal durfte Walter-Borjans den Siegesstrauß überreichen. Esken, die sich zuvor mit ihrem „Ich schäme mich“ – Wolfgang Thierse war gemeint – in die Nesseln gesetzt hatte, kam die undankbare Aufgabe zu, ihrem Elf-Prozent-Landsmann mit Blumen zu danken. Scholz hatte zu lächeln. Und im September nach der Bundestagswahl: Rote Rosen für Olaf Scholz! Überreicht von Walter-Borjans? Von Esken? Falls die beiden nicht selbst unverblümt verabschiedet werden. Von wem immer.

Über Guenter Bannas / Gastautor:

Günter Bannas ist Kolumnist des Hauptstadtbriefs. Bis März 2018 war er Leiter der Berliner Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Seine Beiträge sind Übernahmen aus "Der Hauptstadtbrief", mit freundlicher Genehmigung.