Den Fall des gestern kollabierten dänischen Weltklassespielers Christian Eriksen hat DLF-Redakteur Matthias Friebe geschmackssicher kommentiert. Ich hatte zum Glück schöneres zu tun, als diese Katastrophenpartie anzusehen, bekam dann statt des Beginns von Russland-Belgien noch ihre makabre Schlussphase zu sehen. Innehalten, Nachdenken, sich um Wesentlicheres kümmern, das kennt der Brot-und-Spiele-Kapital-muss-zirkulieren-Mechanismus des neofeudalen – von wegen “modern” – Weltfussballs nicht.
Als die Mannschaft des multikulturellen Zwergstaats Belgien dann das blassweisse Team Russlands vor heimischer Kulisse 3:0 an die Wand spielte, mit zwei Toren des unübertrefflichen Romelu Lukaku, fantasierte meine weibliche Begleitung sogleich, wie oppositionelle Inhaftierte in russischen Gefängnissen darunter zu leiden hätten. Was machen “zornige Bullen” in einem solchen Fall? 2014 beim 7:1 gegen Brasilien habe ich am Adenauerplatz gesehen, wie ein halbes Dutzend von ihnen einen von einem Porsche (oder war es Audi?) verursachten Auffahrunfall auf dem Adenauerplatz aufräumen mussten, statt das Spiel zu sehen. An wem werden sie ihren Ärger ausgelassen haben? Nur eine Projektion, natürlich.
Keine Projektion war, dass Russland ausgerechnet einem echten Sportjournalisten, und keiner*m dieser nervtötenden Produktpräsentator*inn*en, die EM-Akkreditierung verweigert hat: Robert Kempe. Der Mann war die letzten Jahre positiv verhaltensauffällig, regelmässig für das jetzt wieder sillgelegte Sport inside (WDR). Echte Journalisten sind für jedes Regime “gefährlicher”, als geldgeile Werbenasen. Schade eigentlich, aber gut für uns. Neueste Meldung: jetzt darf er doch. Alles nur ein Missverständnis? Zwischen Russland und der EU wird derzeit alles heiss gekocht.
Ein ähnlich angenehmer Fall wie Kempe scheint der mir bisher unbekannte Piet Kreuzer/DLF zu sein. Der von ihm berichtete Fall über ein Zerbrechen der widerwärtigen Aserbaidschan-Connection in der Uefa und in die geldwaschende und steuervermeidende Schweiz wäre mir verborgen geblieben. Gute Arbeit.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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