Ob die Länge der Wahlprogramme der Parteien Auskunft nicht bloß über politische Absichten, sondern auch über ihren tatsächlichen Willen gibt, sich unter das Joch einer Koalitionsregierung zu begeben, bleibt Interpretationssache und Teil des Wahlkampfes selbst. Bemerkenswert ist immerhin, dass die Programme von Schwarz-Grün beinahe gleich lang sind – 140 Seiten das von CDU/CSU, 137 Seiten das der Grünen. Quasi auf Augenhöhe. Die SPD belässt es bei 66 Seiten. Die FDP wäre gerne mit 91 Seiten dabei, die Linkspartei – wenn schon, denn schon – mit 148 Seiten.
Nach der Bundestagswahl, wird es – das ist sicher – zu Koalitionsverhandlungen kommen. Hochzeit der Politik? Je misstrauischer aber die Parteien einander beäugen und je misstrauischer ihre Mitglieder der Kompromissbereitschaft der eigenen Führung gegenüberstehen, desto wahrscheinlicher ist es, dass auch der nächste Koalitionsvertrag länger sein wird als der bisherige.
Immer länger
Auf diese Entwicklung wiesen – im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung – Wissenschaftler um Suzanne Schüttemeyer in einer Studie hin. Bis 1976 kamen die Bündnispartner – außer 1961, als die FDP auf einer Ablösung Adenauers bestand – ohne Koalitionsverträge aus: Es gab informelle und briefliche Absprachen, die in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers mündeten. Der erste Koalitionsvertrag der „Neuzeit“, 1980 von SPD und FDP ausgehandelt, umfasste – so das Gutachten – 1200 Wörter. Nach der Wahl 1983 regierten Union und FDP auf der Basis eines Vertrages von 2700 Wörtern. Bis 1994 wuchs er auf 13 900 an. 1998 kamen SPD und Grüne mit 13 200 Wörtern aus; vier Jahre später waren es 26 700. Die große Koalition 2005 brauchte fast doppelt so viele: 52 800. Als Union und SPD ihr ungeliebtes Bündnis 2018 fortsetzten, war das Abkommen 63 320 Wörter lang.
Nicht gebunden
Doch ist die Freiheit des Mandats der Abgeordneten in Gefahr, weil sie an den Vertrag ihrer Parteiführungen gebunden sind, wie es der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert bei der Vorstellung der Studie anmerkte? CDU-Ministerpräsident Daniel Günther stellte gar in Abrede, dass Landesregierungen bei Abstimmungen im Bundesrat an Absprachen von Bundesparteien zu binden seien. Sicher ist: Die Erfahrung, dass Koalitionsverträge regelmäßig von der Wirklichkeit überholt werden, wird nach einer Wahl hintangestellt. Nennen wir es das Schüttemeyersche Gesetz stetig länger werdender Koalitionsverträge.
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