von Christine Meltzer / Otto Brenner Stiftung
Wie Medien über Gewalt gegen Frauen berichten

Die vorliegende Arbeit hat untersucht, wie in Deutschland in den Medien über Gewalt gegen Frauen berichtet wird. Hintergrund und Motivation ist dabei das Wissen um die große Bedeutung medialer Darstellungen für die Wahrnehmung von und den Umgang mit Problemen in Gesellschaft und Politik.
Um die Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen in Deutschland systematisch zu erfassen, wurde eine quantitative Medieninhaltsanalyse mit einem breiten Sample von überregionalen und regionalen Tageszeitungen sowie Boulevardzeitungen über einen Zeitraum von viereinhalb Jahren (2015-Mitte 2019) durchgeführt. Durch die Analyse bestimmter Merkmale der Berichterstattung und den Vergleich der Darstellung in den Medien mit der polizeilichen Kriminalstatistik lassen sich Muster herausstellen, die im Folgenden noch einmal zusammenfassend dargestellt werden.
7.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
In den untersuchten Zeitungen erscheinen im Durchschnitt pro Monat 20 Artikel, die sich Gewalt gegen Frauen widmen. Dabei gibt es Unterschiede zwischen den untersuchten Medien. Gewalt gegen Frauen wird insgesamt vor allem in Boulevardmedien thematisiert, in überregionalen Medien findet sie deutlich seltener Aufmerksamkeit – dort dann häufig im Ressort Panorama. Wenn überregionale Medien Gewalt gegen Frauen thematisieren, dann greifen sie besonders bekannte Fälle auf, über die insgesamt viel berichtet wird. Insgesamt machen die 30 prominentesten Fälle der Berichterstattung ein Fünftel der Berichterstattung im vorliegenden Untersuchungszeitraum von 2015 bis Mitte 2019 aus. Die mediale Repräsentation von Gewalt gegen Frauen zeichnet sich also in einem relevanten Maß durch die wiederholte Thematisierung der (wenigen) gleichen Fälle aus.
Damit Fälle überhaupt in den Medien berichtet werden, also Nachrichtenwert besitzen, müssen sie eine extreme Form aufweisen. Tötungsedlikte werden von den Medien deutlich überproportional thematisiert, während vor allem Straftaten gegen die persönliche Freiheit stark unterproportional zu ihrem realen Vorkommen berichtet werden.
Sexualisierte Gewalt wird in den Medien also vor allem dann aufgegriffen, wenn sie mit Mord in Verbindung steht. Diese Taten machen jedoch nur einen Bruchteil der Delikte in der polizeilichen Kriminalstatistik aus. „Mildere“, aber alltäglichere Formen von Gewalt gegen Frauen (wie Körperverletzung) werden deutlich unterproportional zu ihrem realen Vorkommen berichtet. Besonders partnerschaftliche Gewalt, als eine spezielle Form der Gewalt gegen Frauen, wird in den Medien vor allem dann aufgegriffen, wenn sie mit einem Tötungsdelikt in Verbindung steht. Andere Deliktarten wie Bedrohung oder Nötigung werden stark unterproportional zu ihrem realen Vorkommen medial erwähnt. Dieser Fokus auf Ereignisse mit großem Schaden ist zwar nichts, was lediglich Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen betrifft, sondern folgt der allgemeinen Logik von (Gewalt-)Berichterstattung in den Medien (Kepplinger, 2011a; Schönhagen & Brosius, 2004). Trotzdem hat diese Logik im Kontext partnerschaftlicher Gewalt zur Folge, dass nur ein kleines und stark verzerrtes Bild der realen Entwicklungen gezeigt wird. Denn Gewalt in Paarbeziehungen entwickelt sich oft nicht spontan, sondern über einen langen Zeitraum, und durchläuft dabei verschiedenen Eskalationsstufen. Dazu gehört eine stetig wachsende Kontrollsucht des Täters, die sich immer drastischer entwickelt und emotional, finanziell oder anderweitig auswirkt. Ein Auslöseereignis wie eine Trennung kann dann zu einer Tötungsabsicht führen, die mitunter von langer Hand geplant wird (Monckton Smith, 2019). Mediale Berichterstattung, die lediglich auf die letzte und drastischste Eskalationsstufe der Gewaltausübung fokussiert, vernachlässigt die strukturellen Gründe für den Gewaltakt. Auch wenn in der Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen selten ein Motiv erwähnt wird: Dass Medienschaffende besonders im Kontext von partnerschaftlicher Gewalt Eifersucht und Trennungssituationen als Motiv für die Tat präsentieren (in 13 Prozent der Fälle über partnerschaftliche Gewalt), obwohl diese lediglich Auslöser, nie aber Grund für eine Tötungsabsicht sind, verschärft den Eindruck, es handelt sich um plötzliche und unvorhersehbare Ereignisse. Die tatsächlichen Gründe für einen Tötungsakt in einer Trennungssituation sind oftmals jedoch krankhafte Kontrollsucht und patriarchalisches Besitzdenken am Ende einer meist langen Gewaltspirale.
Die überwiegende Mehrheit der Artikel verbleibt zudem auf einer reinen Einzelfallbeschreibung von Gewalt gegen Frauen. Eine thematische Einordnung, inklusive dem Aufzeigen von Gründen für Gewalt und dem Aufzeigen von Lösungswegen und präventiven Maßnahmen findet kaum statt (jeweils in nur etwa zehn Prozent der Artikel). Beides geschieht nochmal seltener im Kontext partnerschaftlicher Gewalt: Zwar findet sich im Laufe der Jahre ein leichter Anstieg von thematischer Berichterstattung – hauptsächlich findet sie aber dann statt, wenn neue Statistiken zu partnerschaftlicher Gewalt vom Bundeskriminalamt veröffentlicht werden. Offensichtlich wird insbesondere Gewalt gegen Frauen in partnerschaftlichen Beziehungen von Medienschaffenden (noch) nicht als Politikum wahrgenommen. Das Aufdecken von Mustern hinter den (scheinbaren) Einzelereignissen könnte jedoch größere Sensibilität und damit Schutz schaffen, sowohl für Frauen in Gewaltbeziehungen selbst als auch für das gesellschaftliche Umfeld.
Ein etwas anderes Bild wird von den Medien gezeichnet, wenn sie über Gewalt gegen Frauen von nichtdeutschen Tatverdächtigen berichten. Vor allem seit den Ereignissen der Silvesternacht in Köln nennen die Medien mit zunehmender Häufigkeit die Herkunft von Tatverdächtigen. Diese Entwicklung wird auch durch die Neuformulierung des Pressekodex begünstigt, der eine Herkunftsnennung dann als angemessen ansieht, wenn sie im Interesse der Öffentlichkeit ist – wobei dieses Interesse nicht weiter definiert wird. Vor allem seit 2017 werden nichtdeutsche Tatverdächtige in der medialen Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen stärker erwähnt. Zwar sind sie in Bezug auf ihren realweltlichen Anteil an Gewalttaten gegen Frauen nicht überrepräsentiert, jedoch werden sie in einem anderen Licht dargestellt als deutsche Tatverdächtige. So wird vor allem im Kontext von nichtdeutschen Tatverdächtigen auf strukturelle Gründe bzw. wiederkehrende Tatmuster aufmerksam gemacht, während Gewalt gegen Frauen von deutschen Tatverdächtigen (bzw. solchen, deren Herkunft nicht genannt wird) eher als Einzelfall präsentiert wird. Über Muster und Strukturen von Gewaltausübung lernt das Publikum also vor allem im Kontext von nichtdeutschen Tatverdächtigen. Anhand dieser Ergebnisse lässt sich schlussfolgern, dass vor allem die Taten von Nichtdeutschen in der Berichterstattung häufiger zum Politikum und Gewalt gegen Frauen somit kulturalisiert wird. Eine solche Darstellung kann Ängste schüren und in stereotypen Wahrnehmungen von Gewalt resultieren. Forderungen nach härteren Strafen für bestimmte Tätergruppen (in diesem Kontext vor allem nichtdeutsche Täter) sind eine mögliche Folge. Hier ergibt sich die Gefahr von Anknüpfungspunkten rechter Narrationen für die breite bürgerliche Mitte. Gleichzeitig wird verdeckt, dass statistisch gesehen zwei von drei Gewalttaten gegen Frauen von deutschen Tatverdächtigen ausgehen.
Verharmlosenden Begriffe für Gewalt gegen Frauen – wie Drama oder Tragödie – wurden in der vorliegenden Studie nur selten gefunden. Zudem zeigt sich, dass, wenn solche Begriffe doch verwendet wurden, diese nicht nur partnerschaftlicher Gewalt vorbehalten sind, sondern insgesamt von Journalist*innen für die Beschreibung von Gewalt aus dem sozialen Nahfeld herangezogen werden. Dies scheint auf den ersten Blick Ergebnissen von anderen Studien zu widersprechen, die eine deutlich häufigere Bezeichnungen von verharmlosen-den Begriffen finden (z.B. das regelmäßig durchgeführte Medienscreening von Gender Equality Media e.V.). Das Ergebnis ist jedoch vor allem darauf zurückzuführen, dass in der vorliegenden Studie nicht nur Artikel aufgegriffen wurden, die solche Begriffe enthalten, sondern alle Artikel, die eine Form von Gewalt gegen Frauen oder Mädchen thematisieren. Anteilig an der Gesamtberichterstattung finden sich solche Bezeichnungen somit nur in einem Bruchteil der Artikel (drei Prozent) und tendenziell seltener gegen Ende des Untersuchungszeitraums. Dies kann als Hinweis dafür angesehen werden, dass die Kritik an der Benutzung solcher Begriffe langsam Früchte trägt. Trotzdem stellt jeder verharmlosende Begriff im Kontext einer Gewalterfahrung eine unwürdige Berichterstattung für die Opfer dar.
Ein weiteres problematisches Ergebnis ist der Umstand, dass vor allem die von Gewalt betroffenen Frauen wenig Raum in der Berichterstattung bekommen. Nur in etwa einem Fünftel der Artikel wird ein Fokus auf das Opfer gelegt, wohingegen die Hälfte der Artikel (eher) auf den oder die Tatverdächtigen fokussiert. Auch dies kann Auswirkungen auf geforderte Maßnahmen zur Eindämmung von Gewalt gegen Frauen haben, da besonders eine affektive Perspektive auf das Opfer dazu führt, dass Leser*innen auch bereit sind persönlich für mehr Opferschutz zu einzutreten (Carlyle et al., 2014). Vor allem im Kontext partnerschaftlicher Gewalt wird eine solche Perspektive aber nicht geliefert. Insgesamt liegt der mediale Fokus zudem auf jüngeren Opfern, je älter die Opfer, desto weniger Beachtung finden sie in den Medien. Über besonders vulnerable Gruppen, wie nichtdeutsche und geflüchtete Frauen oder Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen, wird selten berichtet – dabei haben sie realweltlich ein hohes Risiko, Opfer von Gewalttaten zu werden. Zudem wird äußerst selten, in nur rund zwei Prozent der Artikel, auf Hilfsangebote (Telefonnummern, Kontakt von Frauenhäusern oder Hilfseinrichtungen) für betroffene Frauen aufmerksam gemacht.
7.2 Anregungen für zukünftige Berichterstattung
Welche Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen der Studie lassen sich für die zukünftige Berichterstattung zu Gewalt gegen Frauen ziehen?
Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland stark verbreitet und alltäglich. Sie betrifft Frauen allen Alters aus allen sozialen Schichten. Statistisch gesehen kennt jede Leserin und jeder Leser dieses Berichts eine von Gewalt betroffene Frau. Trotzdem liegt auf der Thematik ein großes Tabu. Nur ein Bruchteil der von Gewalt Betroffenen schaltet jemals die Polizei ein – die Ausmaße des sogenannten Dunkelfelds lassen sich nur erahnen. Damit das Thema nicht mehr als privates, sondern als gesamtgesellschaftliches Problem anerkannt wird müssen sich auch soziale Normen verändern. Medien können ihren Teil dazu leisten das Problem einzudämmen, indem sie mit einer angemessenen und sorgfältigen Berichterstattung die Dimensionen des Phänomens aufzeigen und somit aktuell und zukünftig betroffene Frauen und Mädchen vor Gewalt schützen. Erfreulicherweise ist jedoch festzuhalten, dass sich vor allem in den letzten Jahren eine gewachsene gesellschaftliche Sensibilität für die Thematik abzeichnet. Forderungen aus der Istanbul-Konvention des Europarates zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen werden politisch sukzessive angegangen. Positiv zu bewerten ist in diesem Kontext beispielsweise der geplante Aufbau einer Monitoring-Stelle zur besseren Dokumentation von Gewalt gegen Frauen. Eine verbesserte Datenlage zu geschlechtsspezifischer Gewalt ist der Ausgangspunkt auf der Suche nach möglichen Lösungswegen. Auch für die Polizei sind in jüngster Zeit Weiterbildungsangebote in Bezug auf Gewaltdelikte mit weiblichen Opfern, sowohl in als auch außerhalb partnerschaftlicher Beziehungen, ausgebaut worden.
Auch bei den Medienschaffenden scheint das Thema angekommen zu sein. Im November 2019 gab die Deutsche Presseagentur bekannt, dass sie in der Berichterstattung über Gewaltverbrechen in Familien und partnerschaftlichen Beziehungen künftig Begriffe wie „Familientragödie“ oder „Beziehungsdrama“ nicht mehr als eigene Formulierung verwenden wird. Und auch wenn die vorliegende Studie die Verwendung solcher Begriffe nur selten nachweist, können und sollten Medienschaffende ihrer Sorgfaltspflicht hier zukünftig (noch) besser nachkommen. Dazu gehört auch eine Sensibilisierung von Journalist*innen für die Thematik. In Australien werden beispielsweise spezielle Trainings für die Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen angeboten, die sich positiv auswirken (Easteal et al., 2021). In Deutschland könnten entsprechende Trainings beispielsweise redaktionsübergreifend als Aus- und Weiterbildungsmaßnahme vom deutschen Journalistenverband organisiert werden. Auch erscheint es sinnvoll, Grundsteine für eine würdevolle Berichterstattung bereits in die journalistische Ausbildung (beispielsweise als Bestandteil journalistischer Ethik in den entsprechenden Studiengängen) zu integrieren.
Darüber hinaus gibt es in einigen Ländern Leitfäden für die mediale Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen (z.B. Australien, Großbritannien, Kanada und Neuseeland, für einen Überblick siehe Sutherland et al., 2016). Im deutschsprachigen Raum wurde bisher nur in Österreich eine entsprechende Broschüre veröffentlicht (Geiger & Wolf, 2014). Auch hier könnte in Deutschland in den Redaktionen entsprechende Aspekte aufgenommen werden. In der Gesamtschau geben alle diese Leitfäden ähnliche Hinweise für eine angemessene Berichterstattung, die vor den Befunden der vorliegenden Studie noch einmal unterstrichen werden sollen:
1) Weg von der Einzelfallbeschreibung: In der Berichterstattung wird Gewalt gegen Frauen überwiegend als Einzelfall dargestellt. Damit werden die Gewalttaten isoliert präsentiert, ohne Verbindungen zu ähnlichen Fällen oder allgemeineren Aspekten von geschlechtsspezifischer Gewalt herzustellen. Der Fokus dessen, was als berichtenswert gilt, sollte erweitert werden. Dazu gehört eine thematische Berichterstattung, die das Ausmaß von Gewalt über den Einzelfall hinaus dokumentiert und die strukturellen Ursachen von Gewalt aufzeigt – und zwar nicht nur am Weltfrauentag und wenn die neue Kriminalstatistik zu partnerschaftlicher Gewalt erscheint. Wenn über die Kriminalstatistik berichtet wird, sollte in diesem Zuge auch darüber informiert werden, dass sie zu Ungunsten von bestimmten Opfergruppen verzerrt ist und dass bestimmte Tatverdächtige vermutlich überrepräsentiert sind. Es ist klar, dass nicht jeder einzelne Fall im Kontext struktureller Entwicklungen dargestellt werden kann. Trotzdem kann auch im Einzelfall mit wenigen Mitteln (wie z.B. Verweise auf Statistiken, Expertise von Sachverständigen, Beleuchtung der gesamten Geschichte der Gewalteskalation, Vermeidung von verharmlosenden Begriffen und sachlichen Differenzierung der gesellschaftlichen Kontexte) zum schrittweisen Verständnis für die Dimensionen der Problematik beigetragen werden.
2) Mehr Raum für Opfer, weniger Raum für Tat­verdächtige: Die vorliegende Studie zeigt, dass Opfern von Gewalt oft wenig Raum in der Berichterstattung gegeben wird. Opferschutz ist im Pressekodex festgeschrieben und es gilt ihn zu wahren, um eine Retraumatisierung von Opfern oder Angehörigen zu vermeiden. Doch auch ohne identifizierende Merkmale kann die Berichterstattung die Perspektive der Opfer beleuchten. Dies kann Gewaltbetroffenen das Gefühl nehmen, mit ihren Erfahrungen isoliert zu sein und Umstehende in der Wahrnehmung gefährdeter Frauen sensibilisieren. Zur sorgfältigen Berichterstattung über die Thematik gehört auch die Recherche zu und Beleuchtung von besonders vulnerablen Gruppen, die nicht im Hellfeld der polizeilichen Kriminalstatistik erscheinen (beispielsweise geflüchtete Frauen, Frauen mit Migrationshintergrund, Opfer von Menschenhandel, Genitalverstümmelung oder Zwangsverheiratung, Obdachlose, Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen). Gleichzeitig sollte unbedingt vermieden werden, Tätern zu viel Raum zu geben und mit der Beschreibung einer möglichen Motivlage die Tat zu begründen und damit zu relativieren.
3) Sorgsame Abwägung von Herkunftsnen­nungen: Mit der Neuformulierung der Richtlinie 12 des Pressekodex wird Journalist*innen mehr Freiraum gewährt, die Herkunft von Tatverdächtigen im Zuge der Berichterstattung zu nennen. Im Kontext der Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen birgt eine überproportionale Nennung jedoch die Gefahr, dass sie als ein „Thema der anderen“ wahrgenommen wird. Hier gilt es, eine sorgfältige Abwägung zu treffen. Medienschaffende sollten sich fragen, ob die Herkunft tatsächlich für die Tat relevant war oder ob der Gewaltausübung Strukturen zu Grunde liegen, die so auch in Deutschland, bzw. bei deutschen Tätern zu finden sind. Die Nennung oder Suggestion einer nichtdeutschen Herkunft suggeriert einen Zusammenhang mit der Tat, der in den meisten Fällen so nicht gegeben sein dürfte.
4) Bereitstellen von Informationen für Hilfe­suchende: Medien können eine niedrigschwellige Informationsquelle für diejenigen sein, die aus einer Gewaltbeziehung ausbrechen oder sich für die Bewältigung einer Gewalttat Unterstützung holen möchten. Trotzdem werden Hilfsangebote in der Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen nur äußert selten thematisiert. Eine aktive Bereitstellung von Beratungsangeboten oder Telefonnummern (ähnlich wie es mittlerweile bei der Berichterstattung über Suizide üblich ist) würde das Wissen, wohin sich im Notfall gewendet werden kann, in der Gesamtbevölkerung stärker verbreiten. Noch immer wissen rund zehn Prozent der Frauen nicht, wohin sie sich bei Gewaltbetroffenheit wenden sollen (Bundesministerium für Fami-lie, Senioren, Frauen und Jugend, 2020).
Abschließend muss betont werden, dass es noch weiterer Forschung zum Thema mediale Darstellung von Gewalt gegen Frauen bedarf. So mussten für die vorliegende quantitative Untersuchung viele Merkmale der Berichterstattung ausgeblendet werden. Bestimmte Aspekte, z.B. narrative Elemente (Beschreibung eines Lebensweges, Beschreibung von Emotionen), Bildberichterstattung, implizite Beschreibungen von Tatverdächtigen oder Opfern (z.B. die Rolle von Attraktivität, Darstellung von Reichtum oder Armut) wurden in dieser Untersuchung nicht aufgenommen. Es ist durchaus anzunehmen, dass alle diese Aspekte bei der Wahrnehmung von Gewalt gegen Frauen als gesellschaftliches Problem eine Rolle spielen. Zudem ist diese Untersuchung auf Printberichtersattung fokussiert, welche zusätzliche Dynamik sich in bewegten Bildern entfaltet, muss zukünftig noch erforscht werden.
Die Rolle der Medien in Bezug auf die (sowohl Aufrechterhaltung als auch potentielle Verminderung) gesellschaftliche Tabuisierung des Themas gilt es ebenfalls weiter zu untersuchen. Dazu gehören Studien, die die Wirkung konkreter Formen der Berichterstattung in den Fokus nehmen. Sowohl die Kontextfaktoren, die Opfer, Tatverdächtige und Tat beschreiben, als auch die Wirkung thematischer Berichterstattung auf die Sensibilisierung der Thematik wurde im internationalen Raum häufig nicht im Kontext von Gewalt gegen Frauen und im deutschen Raum noch so gut wie gar nicht untersucht. Auch qualitative Studien mit Medien-schaffenden können einen sinnvollen Beitrag dazu leisten, die Entstehung blinder Flecken der Berichterstattung aufzudecken.
Hier können Sie Hilfe suchen:
Nummer des Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“: 08000 116016
Eine Übersicht von Frauenhäusern in Deutschland
Hilfe und Beratung für Täter (oder Täterinnen)
Den kompletten Wortlaut des Arbeitspapiers “Tragische Einzelfälle?” mit Tabellen, Literaturverzeichnis etc. finden Sie hier.

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