Die entscheidende Frage zum deutschen Bundestagswahlkampf
Es gibt sie. Die, die im Grossen und Ganzen so weitermachen wollen, wie Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg gross und stark geworden ist. Sie haben nicht die Mehrheit, aber sie sind die stärkste Einzelgruppe. Doch selbst die mussten beginnen nachzudenken, nach mehreren Dürresommern und einer Regenkastrophe, die buchstäblich niemand bisher selbst erlebt hatte. Ich erwähnte schon Manfred Kriener/taz.
Zufällig passierte alles 2 1/2 Monate vor einer Bundestagswahl. Instinktsicher gibt die Bundeskanzlern ihren Anhänger*inne*n eine Stimme. Sie steht aber nicht mehr zur Wahl. Frank Patalong/Sp-on gibt den Boomern eine Stimme, als bekennender Wechselwähler. Ich kann mich da biografisch einreihen – ausser: SPD gewählt habe ich nur einmal, 1980. Von Kommunalwahlen in Bonn abgesehen, hat meine Stimme der betreffenden Partei immer “Unglück” gebracht. 1980 wurde die SPD überraschend nicht stärkste Partei; das war gegen den CSU-Rechten und Atomfanatiker Franz-Josef Strauss angenommen worden. 1990 flogen die West-Grünen, von mir erstmals gewählt, aus dem Bundestag. Die FDP, die ich nur ein einziges Mal wählte, flog exakt dabei (NRW-Landtagswahl 1980) mit 4,971% aus dem Landtag. Wen soll ich dieses Mal bedrohen?
Elsa Koester und Jagoda Marinic diskutieren im Freitag, inwieweit – mal wieder – Frauenhass eine Rolle spielt. Sie sehen richtig, dass weder Merkel eine war, noch Baerbock eine sein will: eine Botschafterin des Feminismus. Merkel hat sich imagestrategisch davon ferngehalten, und Baerbock fürchtet ebenfalls, dass diese Herdplatte noch zu heiss ist. Da könnte sie rechthaben. Die meisten alten Frauen finden Feminismus affig, und sind sich sicher, mehr “durchgemacht” zu haben, als die verwöhnten jungen Gören von heute. Allerdings haben sie feine Antennen für den männlichen Frauenhass (oft genug zuhause erlebt; wenn Frauen gehasst werden dürfen, dann von anderen Frauen), und erst daraus ist ihr mobilisierender Respekt für Merkel gewachsen. Baerbock muss exakt zu dieser Frauenmehrheit Zugang finden. Die Männer haben, wie immer berechenbar, dafür alle Voraussetzungen geschaffen. Genau jetzt, von “ganz unten”, muss und kann sie authentischen Biss und Stärke zeigen. Dann hätte sie schon halb gewonnen.
Alban Werner/Freitag, ein kluger Kopf bei der Linkspartei, skizziert, warum es ein weiteres Mal für einen Politikwechsel nicht reichen wird. Die CDU ist daran gänzlich unschuldig. Sie hat alle Voraussetzungen dafür geschaffen. Vergeigt wird die Chance von der Mehrheit links von ihr. Das ist nicht zwingend, aber leider absehbar. Dass Werner die Fehler der Grünen und der SPD richtig beschreibt, bei der Linken aber nur zahm zu Werke geht, kann kaum an seinen Erkenntnissen liegen. Sondern eher daran, dass er sich in seiner Partei nicht unnötig zusätzliche Feindschaftslegionen schaffen will. Schade eigentlich. Ich hatte mehr Mut zum Bösesein erwartet.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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