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Überwachungsstaat dringt vor

Ab kommendem Montag werden alle Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland erkennungsdienstlich behandelt, wenn sie einen Personalausweis beantragen. Ein entsprechendes Gesetz, im November im Bundestag auf Betreiben der GroKo beschlossen, sieht vor, dass zur angeblichen “besseren Identifizierung” von Personen eine millionenfache Fingerabdrucksdatei bei Kommunen, Ländern und Bund aufgebaut wird. Jeder und jede Bundesbürgerin ist damit künftig einer Prozedur unterworfen, die bis vor einigen Jahren nur auf vermutliche Straftäter angewendet wurde und hoher gesetzlicher Hürden bedurfte. Aber SPD und CDU/CSU haben keinerlei Bedenken, die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger so umfassend zu verletzen, dass jeder und jede künftig vom 14. Lebensjahr, von dem an man einen Perso beantragen kann, polizeilich-erkennungsdienstlich behandelt werden. Ob verdächtig oder nicht – ein lebenslanges biometrisches Erkennungsmerkmal, das der Kriminaltechnik bei Verbrechen entstammt, wird künftig von allen Bundesbürger*innen erhoben. Warum, so fragt man sich, wird dann nicht demnächst mit der Geburt auch von jedem Neugeborenen eine DNA-Probe genommen? Dieses Gesetz ist nichts anderes, als ein Grundstein des Überwachungsstaates.

An Peter Schaar gescheitert

Wie konnte eine so weitgehende, in Grundrechte eingreifende Gesetzgebung einfach durchgewunken werden? Noch 2007 hatte es ähnliche Pläne gegeben, gegen die der damalige Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar vehement eingeschritten war – die freiwillige Abgabe von Fingerabdrücken war damals der Kompromiss. Aber dasselbe Bundesinnenministerium, das damals beigedreht war, brachte die verpflichtende Regelung einfach als Europäische Regelung auf EU-Ebene ein und setzte sie dort durch. Um dann einige Jahre später als GroKo zu erklären, man könne da jetzt nichts ändern, sei eben gewungen, europäisches Recht umzusetzen. Nein, die Bundesrepublik betreibt noch kein “Social Rating System” wie die chinesische Diktatur, um Wohlverhalten oder Oppositionsgeist der Untertanen auf einer Skala von 0-40 zu bewerten und danach Kreditwürdigkeit, Reiseerlaubnisse, Start-Up-Unterstützung, und alle anderen Bewertungen der demokratischen Verhaltensweisen einzustufen und ggf. zu sanktionieren.

Über Europa durchgedrückt

Dass sich praktisch niemand mehr gegen diese allgemeine Verdächtigkeitserklärung des Staates gegen  die Bürgerinnen und Bürger als Grundrechtsträger wendet, wirft ein unheilvolles Licht auf den Zustand der freien Presse in der liberalen Demokratie als Wächterin der Grund- und Freiheitsrechte. Dass nicht einmal die scheinheilige Methode der CDU/CSU Bundesinnenminister, egel wie sie hießen, ob De Maizière oder Seehofer, kritisiert wird, ist schon traurig. Obwohl das Gesetz es nicht ausdrücklich vorsieht, läuft die Anwendungspraxis auf ein riesiges bundesweites Fingerabdrucksregister aller Bürgerinnen und Bürger unabhängig von jedem kriminellen Verdacht hinaus – das ergibt sich aus der Technik. Ein solches Gesetz widerspricht dem Verfassungsgerichtsurteil zur informationellen Selbstbestimmung und es stellt einen staatlichen Überwachungsexzess dar. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der verlogenen Begründung des Gesetzes ein Skandal.

Identifikation der Vorwand, Fingerabdruckdatei das Ziel

So behauptet Bundeninnenminister Seehofer in der Begründung des Gesetzes, die Fingerabdrücke dienten lediglich der sicheren Identifikation der Person z.B. beim Grenzübertritt. Dem Vorschlag des Sachverständigen Dr. Thilo Weichert, dass dann doch ein Abdruck eines beliebigen Fingers zur Ein-eindeutigen Authentifizierung der Person ausreichend sei, wurde sowohl vom Ministerium, als auch der Ausschußvorsitzenden von der CSU vehement widersprochen. Das deutet darauf hin, dass es eben nicht um diese Identifizierung geht, sondern darum, eine bundesweite Fingerabdruckdatei aller Bürgerinnen und Bürger zu errichten. Old Seehofer is watching us. Warum ist dies so schwer zu verstehen? Warum sieht niemand irgendein Problem in dieser eindeutigen Lage der Verletzung aller Grundrechte? Starben mit Burkhard Hirsch die Kläger gegen den Abbau der demokratischen Rechte vor dem Verfassungsgericht aus?

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. andré dahlmeyer

    in lateinamerikkka ist das völlig normahl. als ich 2005 auf feuerland den argentinischen perso beantragte, kriegte ich die scheiß schwarze farbe erst nach wochen wieder von den flossen up. der argentinische perso beinhaltet einen daumenabdruck. beim ein-und ausreisen wird man auch fotografiert. schöne neue welt. als ich später in misiones einen neuen beantragt habe, wurden mir seltsame fragen zu meiner familiensituation et cetera gestellt und bei einem seitenblick auf den bildschirm stellte ich fest, das dort das audio aufgenommen wurde.

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