… der Union in die Opposition
Bald hat es die Union geschafft. Die jüngsten Umfragen zeigen: Sie ist der Opposition schon ganz nahe. Bei der Bundestagswahl am 26. September können die Schwesterparteien CDU und CSU nach 16 Jahren an der Macht die bedrückende, lästige Regierungsverantwortung loswerden. Lange genug haben sie auf dieses Ziel hingearbeitet.
Die absolute Mehrheit verloren
Über den Niedergang der Union kann niemand erstaunt sein. Seit sechs Jahren arbeitet sie daran, sich zu zerlegen. Die schlechten Umfragewerte deuten darauf hin, dass die Wähler bei der Bundestagswahl die Bemühungen der Union um ihre Selbstzerstörung angemessen honorieren werden.

Seit 2015 lässt sie nichts unversucht, um ihre Führungsspitzen zu demolieren und demontieren. Zunächst knüpften sich die CSU-Politiker Seehofer und Söder im Verbund mit dem rechten und dem rechtsradikalen Teil der Union Deutschlands beliebteste Politikerin vor, die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Merkel.

Die beiden bayrischen Regionalpolitiker und ihre Handlanger aus der CDU scherten sich nicht darum, dass die meisten Wähler Merkel schätzen. Söder und Seehofer nahmen im Kampf gegen sie sogar in Kauf, dass die CSU bei der Bayern-Wahl 2018 die absolute Mehrheit verlor und die Grünen zur zweitstärksten Kraft heranwuchsen. Söder wollte ihr Erbe zerstören. Heute beschimpft er den SPD-Kanzlerkandidaten Scholz als „Erbschleicher“, weil er sich um die Merkel-Wähler bemüht.
Zwei CDU-Chefinnen verschlissen
Ein Großteil der Union hatte 2018 längst den Boden unter den Füßen und die Mehrheit der Wähler aus den Augen verloren. Einen derart selbstzerstörerischen Ausmaß von Ignoranz zeigte sich Merkel nicht gewachsen. Sie legte den CDU-Vorsitz nieder.

Mit diesem Schritt war der Destruktionstrieb in der Union noch nicht befriedigt. Kaum war Kramp-Karrenbauer als Merkels Nachfolgering gewählt, ließ der rechte Flügel der Union auch die neue CDU-Chefin auflaufen. Sie warf das Handtuch, weil Rechtsradikale in der Union sie vorführten und der Rest der Partei ihr den Rückhalt verweigerte.

Statt sich nach Kramp-Karrenbauers Abgang zu beruhigen und sich auf das Wohlergehen der Republik zu konzentrieren, fuhr die Union fort, ihr Innenleben als Zentrum ihrer Politik zu inszenieren. Es reicht ihr nicht, dass sie in kurzer Zeit zwei CDU-Chefinnen verschliss. Sie machte sich auch über Kramp-Karrenbauers Nachfolger Laschet her.

Das abschätzige Urteil wiederholt

Erneut drängte sich CSU-Chef Söder an die Spitze der Frondeure. Er hatte zwar keine Chance, Kanzlerkandidat zu werden. Dennoch meldete er seinen Anspruch an. Unablässig begründete er ihn unverblümt mit dem Hinweis, Laschet sei dieser Aufgabe nicht gewachsen.

Obwohl Laschet gerade erst gewählt war, ging ein Teil der CDU Söder bei der Demontage des neuen CDU-Chefs bereitwillig zur Hand. Wieder schaute der andere Teil der Partei tatenlos zu, wie nun schon deren dritter Vorsitzender innerhalb von drei Jahren demoliert wurde.

Gebetsmühlenartig wiederholte Söder sein abschätziges Urteil über Laschet bei fast jedem Auftritt. Die Union ließ Söder gewähren, bis sich seine Botschaft bei Wählern und Journalisten festgesetzt hatte.
Den Kanzlerkandidaten beschädigt
Mit Laschets Umfragewerten ging es bergab. Den Absturz werteten die Medien nicht als Resultat von Söders herabsetzenden Äußerungen, sondern als deren Bestätigung, sodass die Umfragen Söders Ansichten über Laschet zementierten. Der CSU-Chef hatte ganze Arbeit geleistet.

Die CDU-Spitzen fielen ihm erst in den Arm, als er die Funktionäre, die Mandatsträger und die Mitglieder der CDU gegeneinander auszuspielen begann. Erst als die CDU-Spitzen bemerkten, dass der CSU-Chef ihnen die CDU aus den Händen zu nehmen drohte, versagten sie Söder die Kanzlerkandidatur.

Die Intervention von Schäuble kam viel zu spät, um Laschet zu schützen. Der Kampf um die Kanzlerkandidatur war in der CDU zur Revanche für die Wahl zum Parteivorsitz geworden, den Laschet errungen hatte. Viele, die ihn als Parteichef ablehnten, waren als Kollaborateure und Mitläufer Söders aufgetreten und hatten Laschet längst als Kanzlerkandidaten beschädigt.

In die Spur der SPD geraten

Wie will die Union die Wertschätzung der Wähler finden und im Wahlkampf überzeugend auftreten? Sie ist seit sechs Jahren tief zerstritten. Sie bekämpft ihre Führungsspitze und ihren Kanzlerkandidaten. Sie macht seit Jahren nur sich selbst zum zentralen Thema ihrer Politik. Die Partei ist nicht mehr in der Lage, aus den Fehlern ihrer Konkurrenten zu lernen.

Die SPD ist seit Jahrzehnten zerstritten. Sie zahlte für den Verfall ihrer politischen Kultur einen hohen Preis. Sie verkümmerte zu einer linken Zwergpartei. Dass sie sich im Windschatten des rechten Sozialdemokraten Scholz gerade ein wenig aufbläht, ändert an diesem Sachverhalt nichts.

Die Union ist in die Spur der SPD geraten. Die CSU polarisiert nach innen. Die CDU verbraucht jedes Jahr einen Parteichef und unterminiert sich mit der konfliktreichen Suche nach dem nächsten. Die Union demonstriert, dass sie sich selbst effizienter bekämpft, als es ihre Gegner je könnten. Wer mag einer solchen politischen Gruppierung zutrauen, die Zukunft der Republik zu gestalten?

Zur skurrilen Unterhaltung verkümmert

Der Union stellt sich diese Frage offenbar nicht. Sie sieht, dass Söder in den Umfragen besser dasteht als Laschet, dass die Union unter dessen Führung immer weiter zurückfällt und nun fürchten muss, in der Opposition zu landen. Alle, die am Niedergang der Union mitwirkten, weisen nun mit dem Finger auf Laschet und wünschen, ihn als Kanzlerkandidaten durch Söder zu ersetzen.

Solche Träumereien zeugen davon, wie weit sich die Union von der Realität und der Regierungsfähigkeit entfernt hat. Begünstigt werden solche Visionen von einer politischen Berichterstattung, die unter dem Einfluss der sozialen Medien und der TV-Sender immer mehr zur skurrilen Unterhaltung verkümmert ist und sich immer stärker infantilisiert.

Dass 70 Prozent Söder für den besten Kanzlerkandidaten der Union halten, gilt vielen Berichterstattern als Ausweis seiner Qualifikation. Das Ranking lässt jedoch außer Acht: Nicht Kanzlerkandidaten stehen zur Wahl, sondern Parteien. Von den 70 Prozent, die Söder für den besseren Kandidaten halten, wird mehr als die Hälfte die Union gar nicht wählen.

Von einem schwachen Wahlresultat profitieren

Wären sie relevant, müsste die CSU in Bayern bei 70 Prozent und mehr liegen. Trotz Söders hoher Umfragewerte hat die CSU dort aber noch nicht einmal die Chance, die absolute Mehrheit zu erreichen, die sie über viele Jahre innehatte und mit ihm an der Spitze verlor. Selbst mit Söders hohen Umfragewerten bleibt die CSU deutlich unter 40 Prozent. Dort, wo man Söder am besten kennt, zieht er offenbar nicht.

Das Missverhältnis zwischen seinen Umfragewerten und denen seiner Partei hat auf die Berichterstattung und das Urteil über ihn so gut wie keinen Einfluss. Dabei ist gerade sein Unvermögen, die Umfragewerte der CSU zu verbessern, der Grund dafür, dass er auf Laschet eindrischt und die Wahlchancen der Union mindert.

Söder würde von einem schwachen Wahlergebnis der Union stark profitieren. Solange er Laschet als Sündenbock behandelt, muss er der CSU nicht erklären, warum er sie nicht zu altem Glanz bringen kann. Er muss dann auch nicht um den CSU-Vorsitz und das Amt des Ministerpräsidenten bangen. Landet die Union in der Opposition, wird Söder deren starker Mann. Wer könnte ihm diese Rolle streitig machen?

Als Wahlkampftölpel erwiesen

Mit ihm an der Spitze würde sich der Niedergang der Union beschleunigen. Söder lebt davon zu polarisieren. Er treibt die Union auseinander, zum eigenen Vorteil und dem des SPD-Kandidaten Scholz, dessen zerstrittene Partei von Söders Ausfällen gegen Laschet profitiert und ihre Konflikte leicht verdecken kann.

Wer Söder für den idealen Kanzlerkandidaten der Union hält, übersieht: Er ist nach Ex-SPD-Chef Gabriel der zweitgrößte Wahlkampftölpel Deutschlands. Gabriel verlor 2003 bei der Niedersachsenwahl 14,5 Prozentpunkte, das Amt als Ministerpräsidenten und die Regierungsmehrheit.

Diese Niederlage wirkte nachhaltig. Als der Verlierer später acht Jahre lang die SPD führte, schreckte er vor der Kanzlerkandidatur zurück. Die Partei trieb ihn schließlich aus seinen Ämtern. Heute betätigt sich der politisch Gescheiterte als Erklärer der Weltläufte.

An Durchschlagskraft verlieren

Söder könnte ein ähnliches Schicksal drohen. Söder bescherte der Partei bei der Bayern-Wahl 2018 das schlechteste Wahlergebnis seit 1950. Er verlor 10,5 Punkte, die absolute Mehrheit und viele Mandate. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass er dieses Resultat bei der Bundestagswahl in Bayern noch unterbietet.

Söder drischt auf Laschet auch ein, weil er sich vom CDU-Chef und NRW-Ministerpräsidenten provoziert und bedroht fühlt. Söder lebt davon, die Union zu polarisieren. Laschet tritt mit dem Anspruch an, die Union zu einen. In dem Maße, in dem es Laschet gelingt, die CDU zu beruhigen, würde Söder an Durchschlagskraft verlieren.

Noch schwerer trifft ihn Laschets Anspruch, NRW zu modernisieren und effizienter zu machen. Beim Kampf um die Kanzlerkandidatur geht es nicht nur um die Macht in Berlin, sondern auch um die regionale Dominanz unter den Bundesländern, um deren Perspektiven, Entwicklungschancen und deren Zugriff auf die Bundesmittel.

Interessen geltend gemacht

Die Bundesminister der CSU haben lange unverhältnismäßig viele Bundesgelder nach Bayern geleitet. Die CSU konnte mit diesem Geld Bayern in vielen Bereichen auf Hochglanz bringen und bei Wahlen für sich werben. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass die CSU-Bundesminister den Wettbewerb zwischen den Ländern unfair verzerrten.

Diese Selbstbedienung ist zum Thema geworden und stößt deshalb an Grenzen. Mit Laschet im Kanzleramt würde sie wohl enden. Anders als seine SPD-Vorgängerin Kraft, die auf Einfluss im Bund verzichtete, macht Laschet NRW-Interessen im Bund nachdrücklich geltend.

Beim Thema innere Sicherheit übernahm NRW von Bayern die Rolle des Vorreiters. Nun propagiert und praktiziert auch NRW „Law and Order“. Über Jahrzehnte betrieben Hamburg und Bayern Verkehrspolitik zu Lasten von NRW. Laschet verstärkte das Bemühen, NRW aus dieser Zange zu befreien.
Konkurrenzfähiger machen
Heute orientiert sich NRW beim Ausbau seiner Verkehrswege stärker auf die Häfen Antwerpen und Rotterdam als auf die in Hamburg und Bremerhaven. Laschet knüpft die Verbindungen zwischen NRW und den Beneluxstaaten auch auf zahlreichen anderen Gebieten immer enger.

Beim Kampf um Bundesmittel tritt NRW stärker denn je als Konkurrent der süddeutschen Länder hervor. Das eine oder andere Pilotprojekt mit Zukunftsperspektiven landete inzwischen nicht, wie früher sehr oft, südlich des Mains, sondern in der Region zwischen Rhein und Weser.

Der Kohleausstieg bringt NRW hohe Bundesmittel. Mit ihnen will Laschet den Strukturwandel in den Kohlegebieten fördern und NRW konkurrenzfähiger machen. Hamburg und Bayern müssen damit rechnen, dass sich diese Tendenz verstärkt, sollte Laschet Kanzler werden. Kein Wunder, dass sich Hamburgs CDU-Chef Ploß wie Söder als Gegner Laschets profiliert.
Mit größeren Problemen zu kämpfen
Der Druck auf Söder würde noch stärker wachsen, sollte sich die CDU in den Umfragen berappeln, die CSU in Bayern aber nicht vom Fleck kommen. Dann wäre nicht mehr zu übersehen, dass nicht Laschet, sondern Söder der Hemmschuh der Union ist. Er tut alles, um zu verhindern, dass diese Erkenntnis um sich greift. Er wird Laschet weiterhin Knüppel zwischen die Beine werfen.

Baerbock von den Grünen kämpft mit ihren Fehlern. Scholz kann genießen, dass seine innerparteilichen Gegner schweigen, solange sie ihn als Feigenblatt brauchen. Er kann sich freuen, dass sie ihn machen lassen und dass die Medien seine Fehler aus der Zeit als Hamburgs Bürgermeister und Bundesfinanzminister kaum beachten.

Der Kanzlerkandidat der Union hat es schwerer als seine Konkurrenten. Laschet hat über seine zahlreichen Ungeschicklichkeiten hinaus mit vielen Problemen zu kämpfen, die nicht er verursacht hat, sondern andere ihm bereiten.
Auf das Scheitern warten
Er muss der Union und Deutschland Perspektiven aufzeigen, kann aber nicht die Versäumnisse der Merkel-Ära offen ansprechen, wenn er große Teile der Union nicht demotivieren will. Er muss dafür sorgen, dass die FDP als Partnerin in Düsseldorf und mögliche Partnerin in Berlin bei der Stange bleibt, der Union bei der Wahl aber nicht allzu viele Wähler abspenstig macht.

Er kann Gegner, die ihn attackieren, nicht so scharf angreifen wie sie ihn. Ein solches Verhalten widerspräche seinem Anspruch, Gegensätzliches zu verbinden und zu einen. Laschet verdankt seinen Absturz in den Umfragen einem Mangel an Gravität, die sich Merkel in ihrer langen Amtszeit erwarb und die sie heute ausstrahlt, als wäre sie angeboren. Dass Laschet sie rasch erwerben kann, scheint unwahrscheinlich.

Er hat damit zu kämpfen, dass sich die Union in 16 Regierungsjahren weitgehend verschlissen hat. Die Unionsgranden, die daran beteiligt waren, erweisen sich im Wahlkampf nicht als hilfreich. Sie halten sich zurück. Aus ihrer zerbröckelnden Hinterlassenschaft soll Laschet Neues schaffen. Ein Kunststück, das kaum jemand vollbringen kann, wenn alle anderen ihm zuschauen und seinem Scheitern entgegenfiebern.

Über Ulrich Horn (Gastautor):

Begonnen hat Ulrich Horn in den 70er Jahren als freier Mitarbeiter in verschiedenen Lokalredaktionen des Ruhrgebiets. Von 1989 bis 2003 war er als Landeskorrespondent der WAZ in Düsseldorf. Bis 2008 war er dann als politischer Reporter in der Essener WAZ-Zentralredaktion tätig. Dort hat er schon in den 80er Jahren als Redakteur für Innenpolitik gearbeitet. 2009 ist er aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden. Seine Beiträge im Extradienst sind Crossposts aus seinem Blog "Post von Horn". Wir bedanken uns für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe an dieser Stelle.