Der Wahlkampf geht seinem Ende entgegen. Wie viele Bürger mögen es herbeisehnen?
Wer viele Wahlkämpfe erlebt hat, dem dürfte es nicht schwerfallen, den aktuellen als den schrecklichsten zu empfinden. Parteien, Kandidaten und Medien überbieten sich darin, die Wähler zu düpieren. Maßstäbe sind entglitten, Schamgrenzen gesunken. Reformbedürftig sind das Gemeinwesen und seine Parlamente, aber auch die politische Kultur.
Den wahren Zustand verborgen
Fast alle Bundestagsparteien sind gespalten, am wenigsten sichtbar die FDP. Union, SPD, Grüne, AfD und Linke zerfallen in Lager. Nur der Wahlkampf hält sie ab, sich offen zu bekämpfen.
Statt über ihre Pläne und Ziele zu informieren, mühen sie sich ab, ihren wahren Zustand vor den Wählern zu verbergen. Die Parteien verhehlen nicht, dass nach der Wahl ihre internen Machtkämpfe wieder auflodern werden.
Der Realität nicht gewachsen
Die Vielzahl der Koalitionsmöglichkeiten hielt die Parteien ab, sich auf ein Bündnis festzulegen. Dieses Hemmnis reduzierte ihre Bereitschaft, ihre Gestaltungspläne zu thematisieren. Was sie ansprachen, hat obendrein nur schwachen Bestand. Alle Versprechen stehen unter dem Vorbehalt von Koalitionsverhandlungen. Sie sind deshalb auch nur eingeschränkt glaubhaft.
Wie sich die Parteien zur Realität in und um Deutschland stellen, verursacht schon lange großes Unbehagen. Es ist in der Pandemie noch gewachsen. Im Wahlkampf verstärkten die Parteien den Eindruck, sie seien der Komplexität der Realität nicht gewachsen. Viele ihrer Aspekte wurden ausgeblendet, fingiert, verzerrt oder gar dem Machtinteresse der jeweiligen Partei geopfert.
Am Kannibalismus ergötzt
Die Union hält selbst der Wahlkampf nicht ab, sich uneinig zu zeigen. Junge Union, Konservative, der Wirtschaftsflügel, Söder und die CSU haben mehr als fünf Jahre lang systematisch die Parteispitze demontiert und dabei sogar die SPD überholt, die diese Disziplin lange dominierte.
Der Beitrag der Union zur Verwilderung der Politik ist beachtlich. Die Unionsfunktionäre zwangen Merkel, den CDU-Vorsitz abzugeben. Sie trieben deren Nachfolgerin Kramp-Karrenbauer in den Rücktritt und beschädigten auch nachhaltig deren Nachfolger Laschet. Statt sich mit den Voten der Mehrheit zu arrangieren, ergötzen sich Minderheiten am Kannibalismus.
Zum unsicheren Kantonisten gemacht
Die Anführer der Union führten den Wählern vor Augen, wie aus einer Partei, die als Garant für Sicherheit und Ordnung galt, in einem halben Jahrzehnt nachhaltig zu einem unsicheren Kantonisten gemacht werden kann.
Ein Wegbereiter zu diesem abschüssigen Weg ist Schäuble. Vor 20 Jahren als CDU-Chef gescheitert, erlebte er damals, wie sich die CDU von ihm wegbewegte und hinter einer Frau versammelte, die bald darauf die Union in die Regierung führte und dort 16 Jahre lang hielt.
Das Casting übernommen
Beim Versuch, Merkel 2018 zum Ausstieg zu zwingen, wirkte Schäuble im Hintergrund. Als sie den CDU-Vorsitz niederlegte, wollte er das Machtvakuum füllen und das tun, was ihm 20 Jahre lang verwehrt geblieben war: die Union und das Land nach seinem Plan auszurichten. Zu alt, um in der neuen Staffel der Union die Hauptrolle zu spielen, übernahm er deren Casting.
Die Partei sollte sich hinter Merz versammeln, einem Mann, den Schäuble vor zwei Jahrzehnten gegen Merkel nicht in Stellung bringen konnte. Gleich zwei Mal versuchte es Schäuble nun, Merz in der Partei mehrheitsfähig zu machen und ihm den Weg ins Kanzleramt zu ebnen. Beide Versuche misslangen.
Den Riss verbreitert
Einen Effekt hatten sie jedoch: Sie trugen dazu bei, die beiden Merz-Bezwinger zu schwächen. Schäubles Aktionen spalteten die CDU. Nach langem Zögern sah er sich schließlich notgedrungen gezwungen, Laschet gegen Söder zum Kanzlerkandidaten zu machen.
Schäubles langes Zögern verschafften Söders Angriffen gegen Laschet große Resonanz und Durchschlagskraft. Es verbreiterte und vertiefte den Riss in der Union. Schäuble und Söder haben die Union schwer geschwächt. Die Schwesterparteien versagten Laschet lange den Rückhalt, den ein Kanzlerkandidat braucht, um bei Wählern Autorität zu entfalten.
In die Parade gefahren
Schäuble mag sich mit seinen Niederlagen nicht abfinden. Er rechnet mit einer Wahlschlappe der Union und mit Schuldzuweisungen. Eine Woche vor der Wahl baute er ihnen vor. Er wälzte seine Schuld auf Merkel ab: Sie hätte mit dem CDU-Vorsitz auch das Kanzleramt aufgeben müssen.
Schäuble stellte sich nicht nur von seiner Verantwortung für den schlechten Zustand der Union frei. Er fuhr mit seinem Hinweis auf Merkels Schuld am Zustand der Union auch Laschet noch einmal in die Parade.
In den Schatten gestellt
Schäuble signalisierte, die Wahl sei nicht mehr zu gewinnen. Besser als er kann man dem eigenen Kanzlerkandidaten nicht in den Rücken fallen. Schäuble stellt selbst Söder mit dessen permanenten Schmutzeleien gegen Laschet leicht in den Schatten.
Die Union hat im Wahlkampf keine Gelegenheit ausgelassen, den Wählern vorzuführen, dass sie aus den Fugen geraten ist. Dieses Verhalten ist ehrlich, aber töricht. Hält die Union die Bürger für dumm? Wie kann sie glauben, in derart desolatem Zustand würden ihr die Wähler zufliegen und ihr die Verantwortung für das Gemeinwesen aufdrängen?
Den Schwebezustand beendet
Diese Frage stellt sich auch den Grünen. In dieser Partei kämpfen zwei Flügel gegeneinander. Der linke neigt zur Koalition mit der SPD, der rechte zum Bündnis mit der Union. Beide Seiten bekämpften sich lange heftig.
Seit der Bundestagswahl 2017 zügeln sie sich. Sie ließen die Koalitionsfrage offen. So wurde die Partei für Sympathisanten anderer Parteien attraktiv. Spitzenkandidatin Baerbock hat diesen Schwebezustand jüngst beendet. Sie schlug sich auf die Seite des linken Flügels.
Auf die Wähler losgelassen
Mit Baerbocks Kür zur Kanzlerkandidaten beschritten die Grünen Neuland. Sie nominierten eine Frau, die den Schein als Sein ausgab. Die Grünen ließen sie mit einem gefälschten Lebenslauf und einem Pamphlet geistigen Diebstahls auf die Wähler los.
Mit solchen Unterlagen scheitern sogar Bewerber für die Leitung einer Seltersbude. Den Grünen erschienen Baerbocks mangelhafte Papiere als Eignungsbelege für das Kanzleramt hinreichend. Vielen Sympathisanten der Grünen genügte sie nicht. Sie gingen vor Baerbock auf die Flucht. In wenigen Tagen waren die Umfragewerte der Partei halbiert.
Ein schlechter Witz
Dass die Grünen Baerbock immer noch als Kanzlerkandidatin anpreisen, zeugt von Realitätsverlust und Frechheit. Felicitas Krull im Bundeskabinett? Dass sie als ministrabel gilt, kann man leicht als schlechten Witz und einen Affront für den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort verstehen.
Um das Kanzleramt kämpft Baerbock schon lange nicht mehr. Dank ihrer Täuschungsaktion sind nicht nur die Grünen in den Umfragen implodiert, sondern mit ihnen auch Baerbock. Sie kann das Kanzleramt nicht mehr erreichen. Sie kämpft nur noch um ihr politisches Überleben. Statt nach einem Mandat sollte sie besser nach einem Beruf streben.
Ein jämmerliches Armutszeugnis
Die TV-Sender störte es nicht, dass die Grünen ihre diskreditierte Chefin als Kanzlerkandidatin anpriesen, obwohl sie nicht mehr Kanzlerin werden kann. Die Sender machten sich sogar den hochstaplerischen Anspruch Baerbocks und der Grünen zu eigen.
Baerbock erhielt in Sendungen Zeit und Raum, die ihr als einer gescheiterten Kanzlerkandidatin nicht mehr gebührten. Die Sender bevorzugten die Grünen und benachteiligten die anderen kleinen Parteien maßlos. Dass die Sender nach dem Absturz der grünen Umfragewerte das Triell nicht kurzerhand auf ein Duell zwischen Scholz und Laschet reduzierten, ist ein klägliches Armutszeugnis.
Begrenzter Schaden
Die Sender scheiterten an der Aufgabe, der Realität Rechnung zu tragen. In den Triells degradierte sich der politische Journalismus zur schlechten TV-Unterhaltung. Der Trend ist ausbaubar. Wen würde es wundern, wenn sich die Kanzlerkandidaten vor der nächsten Wahl im Dschungelcamp mäßen, beim Madenessen und Jauchetauchen?
Union und Grüne leiden an sich und ihren Kandidaten. Es gelang beiden Parteien nicht, mit ihren Defiziten die Wähler zu verschonen. Der Schaden ist beträchtlich, aber begrenzt. Er trifft vor allem die Parteien selbst. Die Wähler können ihn für sich minimieren. Sie haben schließlich am Wahltag die Wahl.
Die Wähler getäuscht
Anders liegt die Sache bei der dritten Kanzlerpartei, der SPD. Die Zustände, mit denen sie die Wähler konfrontierte, gehen über die Unzulänglichkeiten der Partei und ihres Kanzlerkandidaten Scholz deutlich hinaus.
Auch er erweckt den Eindruck, die Partei stehe hinter ihm. Auch bei ihm trifft das nicht zu. Auch er täuscht die Wähler. Scholz nutzt ihre Arglosigkeit, um von den Lagerkämpfen in seiner Partei abzulenken.
Stumm geblieben
Die SPD hat nach vier verlorenen Bundestagswahlen begriffen, dass sie mithelfen muss. Der rechte und der linke Flügel der SPD bewegten sich im aktuellen Wahlkampf kaum. Sie blieben stumm. Der Erfolg blieb nicht aus. Die SPD-Umfragewerte stiegen.
Aus Mangel an geeigneten Kandidaten aus dem eigenen Lager nutzte der starke linke Flügel der SPD den rechten Sozialdemokraten Scholz, um über die geschrumpfte Kernwählerschaft der Partei hinaus Wähler anzuziehen, die für linke Sozialdemokraten nicht erreichbar sind.
Als Strohmann aufgetreten
Die Partei pries Scholz als männliche Variante Merkels an, und er sich selbst auch. Mit diesem Habitus zielt er auf Wähler, die Merkels Ausstieg bedauern, von der Politik nicht behelligt werden wollen und hoffen, mit Scholz ließe sich die Betulichkeit der Ära Merkel fortsetzen und sogar noch steigern. Fast allen verspricht er Freibier.
Seit die SPD in den Umfragen zu steigen begann, hält sich der linke Flügel, der Scholz den SPD-Vorsitz verweigerte, weitgehend zurück. Allzu schwer fällt es den SPD-Linken nicht. Sie sehen sich ihrem Ziel sehr nahe gekommen, über einen rechten Sozialdemokraten in der Rolle des Strohmanns die Macht im Bund zu erringen.
Den Respekt vor dem Wähler relativiert
Scholz verbreitet den Eindruck, er werde den linken Flügel der Partei schon in den Griff bekommen. Er behauptet, wer Scholz wähle, könne sicher sein, auch Scholz zu erhalten. Sicher ist das keineswegs.
Je näher die Wahl rückt, desto größer wird auf dem linken Flügel die Gewissheit, die Wahl zu gewinnen. Inzwischen lässt mancher SPD-Linke die Vorsicht fallen. Der stellvertretende SPD-Chef Kühnert relativiert bereits den Respekt, den Scholz den Wählern verspricht.
An Grenzen stoßen
Kühnert kündigt in der Rheinischen Post an, über die nächste Koalition werde die SPD ihre Mitglieder entscheiden lassen. Um welche Koalition es geht, verschweigt Scholz den Wählern. Ihre Stimmen zählen bei der Koalitionsentscheidung der SPD nämlich nicht. Dass Scholz unablässig behauptet, die Wähler zu respektieren, erweist sich als Täuschung.
Aus Koalitionsverhandlungen kommt niemand ungeschoren heraus. Die Zusagen, die Scholz den Wählern vor der Wahl machte, stehen nicht nur unter dem Kompromissvorbehalt von Koalitionsverhandlungen. Auch in seiner eigenen Partei wird Scholz als Kanzler an Grenzen stoßen.
Die Präferenzen verschoben
Kühnert weist bereits vor der Wahl darauf hin, dass in der nächsten SPD-Bundestagsfraktion viele Jusos sitzen werden. Wie stark diese linke Truppe ist, zeigte sie bei der Wahl der SPD-Chefs. Die Jusos verbauten Scholz den Zugriff auf den Vorsitz. Sie werden kaum zulassen, dass er demnächst nach eigenem Gusto losregiert.
Der linke SPD-Flügel verfolgt zwei Anliegen. Er will die Union in die Opposition zwingen. Er ist auch einer Koalition mit der Linken nicht abgeneigt. Die Chancen für Rot-grün-rot stehen nicht schlecht. Seit die SPD in den Umfragen stärkste Kraft ist, haben sich die Koalitionspräferenzen der Grünen zugunsten der SPD verschoben.
Sich zur Volkspartei mendeln
Bei den Grünen ist zu besichtigen, wie verquer es in Parteien zugeht. Lange glaubten sie, sie könnten sich in einer Koalition mit der Union zulasten der SPD zur Volkspartei entwickeln. In dieser Logik würde die Kooperation mit der Union die Grünen nach links rücken.
Seit die SPD die Union überflügelt hat, gewinnt bei den Grünen die Ansicht an Gewicht, sie könnten sich im Bündnis mit der SPD zulasten der Union zur Volkspartei mendeln. In dieser Logik würde die Kooperation mit der SPD die Grünen nach rechts rücken.
Den Spielraum verkürzen
Der linke SPD-Flügel arbeitet nicht nur daran, mit den Grünen und der Linken zu kooperieren. Die SPD-Linken sind auch seit Langem damit beschäftigt, den Spielraum von Scholz zu verkürzen, sollte er Bundeskanzler werden.
In ihren Überlegungen soll der Sprecher des linken Flügels der SPD-Bundestagsfraktion, Miersch, Vorsitzender der nächsten Fraktion werden. Der bisherige SPD-Fraktionschef Mützenich, ebenfalls ein Mann des linken SPD-Flügels, soll dann zum Bundestagspräsidenten befördert werden.
Halb Clown, halb Klon
Der rechte Sozialdemokrat Scholz wird mit einer stark nach links auslegenden SPD-Fraktion klarkommen müssen. Die Flügelkonflikte in Partei und Fraktion könnten sich wie zu Schröders und Lafontaines Zeiten schnell verschärfen und zuspitzen, zum Schaden der Partei und des Landes.
Wer ist Scholz? Seine Auftritte im Wahlkampf dienten eher dem Zweck, Aufschluss zu verhindern, als Aufschluss zu gewähren. Seine Konkurrenten und seine Vorgänger wurden in ihrem Wesen sichtbar. Er aber trat auf wie ein künstliches Konstrukt. Halb Clown, halb Klon spielte er Merkel wie ein Pantomime. Seine Gestik wirkte marionettenhaft antrainiert. Der Mensch Scholz verbarg sich hinter seiner politischen Rolle.
Zum Gespött gemacht
Für diesen Auftritt gibt es gute Gründe. Scholz trug im Wahlkampf schwerer als seine Konkurrenten. Sie hatten nur mit sich und den Zuständen in ihren Parteien zu kämpfen. Scholz aber hängen schwere Verletzungen von Dienst- und Aufsichtspflichten nach, die dem Ansehen der Republik weltweit schadeten und seine Qualifikation für das Kanzleramt infrage stellen.
Scholz will Reiche zur Kasse bitten, ließ aber zu, dass Steuerbetrug, Geldwäsche und die Umtriebe einer betrügerischen Bank nicht kontrolliert wurden. Statt die Betrüger zu verfolgen, machten Mitarbeiter seiner Kontrollbehörde mit den Betrügern Geschäfte und stellten dem Journalisten nach, der den Betrug aufdeckte. Scholz hat sich und den Finanzplatz Deutschland zum Gespött gemacht.
Nur die Spitze des Eisbergs
Ob ihm sein Versagen auch in Deutschland schadet, wird das Wahlergebnis zeigen. Im Wahlkampf tat er alles, um den Schaden für sich zu begrenzen. Er behinderte offen die Aufklärung. Vor den Untersuchungsausschüssen berief er sich immer wieder darauf, er könne sich nicht mehr erinnern.
Seine Gedächtnisschwäche und sein schlampiges Verhalten bei der Aufsicht und der Steuerung von Behörden lassen an seiner Eignung für das Kanzleramt zweifeln. Dieser Befund verliert angesichts der zahlreichen anderen politisch verursachten Zumutungen, denen die Bürger seit langer Zeit ausgesetzt sind, bedauerlicherweise an Beachtung, weil er nur die Spitze des Eisbergs ist.
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