Erstmals seit vielen Jahren hat sich die SPD in einem Wahlkampf geschlossen gezeigt. Am Wahltag wurde sie belohnt. Die Wähler machten sie zur stärksten Kraft. Stark ist die SPD nicht. Sie profitierte von den Fehlern der Union und von deren Schwächen. Behält die SPD einen kühlen Kopf, kann sie demnächst als Regierungspartei vom Niedergang der Union noch stärker profitieren.
Als Köder gedient
In den Schoß fiel der SPD der Erfolg nicht. Ihr Kanzlerkandidat Scholz stammt vom kleineren rechten Parteiflügel. Der größere linke Flügel verschmähte ihn als SPD-Chef, trug ihn jedoch in der Rolle des Kanzlerkandidaten mit, mancher wohl nur mit geballter Faust und zusammengebissenen Zähnen.
Die SPD-Linken hielten sich im Wahlkampf zurück. Es war ihnen klar, dass sie wie die Parteichefs Esken und Walter-Borjans auf viele Wähler abschreckend wirken. Scholz diente den SPD-Linken als Köder für Wähler der Mitte. Fast 1,5 Millionen Unionswähler bissen an. Sie wechselten zur SPD.
Den linken Flügel gestärkt
Noch vor wenigen Monaten drohte die SPD unter die 10-Prozent-Marke zu rutschen. Ausgerechnet frühere Wähler der Union verhalfen ihr nun zu neuer Blüte. Viele diese Wähler fühlten sich in der Pandemie durch den Mangel an Impfstoff und das Chaos bei der Vergabe von Impfterminen von Unionspolitikern im Stich gelassen.
Dank dieser Wechselwähler schaffte es die SPD, ihr Gewicht um 70 Prozent zu steigern. Die Wählerwanderung sorgte für einen absurden Effekt. Die ehemaligen Unionswähler schwächten nicht nur die Unionsparteien, sondern trugen auch dazu bei, dass der linke Flügel der SPD-Bundestagsfraktion stärker wurde.
Die Fraktion verjüngt
Mit der Hilfe der Wechselwähler aus dem Lager der Union zogen in den Bundestag viele jener Jusos ein, die kürzlich noch verhinderten, dass Scholz SPD-Chef wurde. Die überwiegend älteren ehemaligen Unionswähler verjüngten die SPD-Fraktion und rückten sie weiter nach links.
Sie haben auf die Zusage des Kanzlerkandidaten gesetzt, wer SPD wähle, werde Scholz bekommen. Sie werden nun gespannt verfolgen, ob sich der rechte Sozialdemokrat gegen die linke Mehrheit der Fraktion behaupten kann.
Ein zweites Mal bewähren
Sollten sich FDP und Grüne darauf verständigen, Koalitionsverhandlungen mit der SPD zu führen, muss sich die neue Geschlossenheit der SPD über den Wahlkampf und den Wahltag hinaus demnächst ein zweites Mal bewähren.
Will die SPD den Bundeskanzler stellen, muss sie sich mit den Grünen und der FDP auf Kompromisse verständigen. Ob die SPD auch diese Prüfung besteht, ist möglich, aber nicht sicher.
Die Wähler beeindrucken
Sie dürfte vor allem den linken SPD-Flügel strapazieren. Er will die SPD-Mitglieder über die Koalitionsvereinbarungen entscheiden lassen. Ein solcher Schritt kann für die SPD und ihre möglichen Koalitionspartner riskant sein.
Dass die SPD geeint erschien, verdankt sie der Einsicht ihrer Funktionäre, dass nur so die Wähler zu beeindrucken sind. Das Wahlprogramm hielt die SPD-Flügel beisammen. Im Wahlkampf spielte es kaum eine Rolle. Die SPD versprach Wahlgeschenke. Dass sie nach der Wahl von Modernisierung redet, hat sie von der Union, den Grünen und der FDP abgekupfert.
Als Scheinblüte erweisen
Hält die Bindewirkung des SPD-Wahlprogramms auf die Flügel der Partei an, wenn es von Koalitionsvereinbarungen aufgeweicht wird? Sollte es sie verlieren, wird sich der SPD-Wahlerfolg als Scheinblüte erweisen und die Partei einen Rückschlag erleiden.
Die Union erodiert. Schafft es die SPD, geschlossen zu bleiben und in die nächste Regierung zu kommen, hat sie gute Aussichten, noch stärker als bei der Bundestagswahl von den desolaten Unionsparteien und ihren enttäuschten Anhängern zu profitieren.
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