Mediathekperlen aus der ARD-Themenwoche “Stadt.Land.Wandel”
Normalerweise hasse ich sog. Themenwochen öffentlicher Medien. Weil sie meistens mit dem Ausfall bzw. der Ersetzung der journalistischen Alltagsarbeit verbunden sind, die ich für mein Geld von ihnen erwARTE. Schnell stellt sich ausserdem ein Gefühl der Übersättigung an dem gewählten Thema ein. Dieses Mal war das bei mir weniger ausgeprägt. Dank der folgenden Beispiele.
Unsere Dörfer – Niedergang und Aufbruch (NDR)
Autor Andreas Orth habe ich als taz-Redakteur in schlechter Erinnerung. Er schrieb bisweilen politischen Unsinn über die Friedensbewegung (1980-87). Aber irgendwie ist aus ihm doch noch ein guter Journalist geworden. Sein Film ist in seiner historisch-politischen Rückschau ein Spitzenprodukt. Er benennt zwei Grundübel. Erstens die Flurbereinigung in den Aufbaujahren der BRD. Sie stellte die Weichen für die Industrialisierung der Landwirtschaft, wie wir sie heute kennen, und sorgte für ein Massensterben bäuerlicher Klein- und Familienbetriebe. Zweitens die Gemeindereformen und Eingemeindungen, die in allen Bundesländern, je nach politischem Kalkül zu verschiedenen Zeiten von den jeweiligen Landesregierungen rücksichts- und erbarmungslos durchgezogen wurden. Hessen z.B. war mal eine SPD-Hochburg; danach nicht mehr. Diese Gemeindereformen sparten nichts ein, wie wir heute wissen, zerstörten aber massenhaft ehrenamtliche Selbstverwaltungs- und Sozialstrukturen. Darum dauern in etlichen Landkreisen Katastrophenalarme heute so lange.
Wie geht Landwirtschaft besser? (BR)
“Nachhaltigkeit und artenvielfalt – ist Biolandwirtschaft der richtige Weg? Oder Fleisch aus dem Labor und vertikale Farmen in der Stadt?” Eine wunderbar kompakte Darstellung von Positivbeispielen (Autor Boris Geiger), polemikfrei, sachlich, nett. Die Richtung stimmt.
Weltspiegel-Reportage: Vision Wüste (BR)
“Die Zukunft Israels – dafür stand eigentlich immer die Metropole Tel Aviv mit ihren glitzernden Wolkenkratzern, Start Ups, ihrem Lifestyle. Die Stadt platzt aus allen Nähten. Mehr Luft zum Atmen gibt es dagegen in der Wüste.” (Autor Mike Lingenfelser) Der Lauf der Gentrifizierung in Israel. Hotspot Tel Aviv ist längst unbezahlbar geworden. So bekommt ein Beduinen-Wüstenkaff die Chance, sich über Kunst, Kultur und Wissenschaft zu einem Szenezentrum zu entwickeln. Und tut es.
Unterwegs nach Utopia (ZDF)
“Die einen wollen Städte schaffen, wie die Welt sie noch nicht gesehen hat: Futuristisch und möglichst nachhaltig. Andere fordern radikale Umkehr, wollen Neubauten und Abrisse möglichst verhindern. Architektur- und Stadtplanung stehen vor der größten Herausforderung, die es je gab: sie müssen nicht weniger als die Welt retten.” (Autor Frank Eggers, vom ZDF an 3sat geliefert). Dieser Beitrag ist aus meiner Sicht Pflichtprogramm für die zurückgebliebene Bonner Kommunalpolitik. 37 Minuten sind nicht zuviel verlangt. Und anschliessend ein Brainstorming: was davon erledigen wir in welcher Geschwindigkeit in unserer Stadt?

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net