Auf eines kann sich das Coronavirus verlassen: Die deutsche Politik hilft ihm, wo sie nur kann, sein übles Treiben zu forcieren. Jüngst ermöglichte sie ihm, die vierte Welle in Gang zu setzen. Das Virus nutzt jede Chance weidlich aus. Die vierte Welle baut sich mächtig auf. Sie hat ihren Höhepunkt noch längst nicht erreicht. Die Ärzte prophezeien eine Katastrophe. Dabei ist die fünfte Welle bereits in Arbeit.

Gedenkfeiern für die Opfer

Die vierte Welle war vermeidbar, so wie die dritte und die zweite. Sie konnten entstehen und ihr Werk vollbringen, weil die Politik nicht den Mut hatte, dem Virus nach der ersten Welle entschieden entgegenzutreten, und diesen Fehler gleich zweimal wiederholte.

Seit Monaten erlebt die Republik: Schwächt sich eine Welle ab, lockert die Politik die Schutzmaßnahmen. Das Virus breitet sich wieder aus. Nun verschärft die Politik erneut den Virenschutz. Lässt die Wirkung des Virus nach, lockert die Politik erneut die Schutzmaßnahmen. Das Virus kann wieder aktiver werden.

Bleibt es bei diesem Verfahren, kann das Virus – zynisch gesagt – so lange wirken, bis niemand mehr da ist, den es anstecken kann, bis ihm alle zum Opfer gefallen sind und Deutschland pleite ist. Was tun die 16 Landesregierungen dann? Organisieren sie die Gedenkfeiern für die Opfer der Pandemie?

Dem Unvermögen angepasst

Bereits nach der zweiten Welle stand Impfstoff parat. Diese glückliche Fügung nutzte die Politik sträflicherweise schlecht. Sie beschaffte den Stoff viel zu spät und in viel zu geringen Mengen. Viele Bürger bezahlten dieses Versäumnis ihrer politischen Repräsentanten mit dem Leben. Welche Politiker fühlen sich verantwortlich und schuldig? Wer von ihnen zieht Konsequenzen?

Die Impfwilligen müssen seither damit leben, dass die Mutationen des Virus und die große Zahl der Impfverweigerer die Wirkung des Impfstoffs mindern. Statt den impffähigen Ungeimpften Dampf zu machen, sie zur Impfung zu zwingen und sie von den Geimpften fernzuhalten, drängen die Politiker die Geimpften, sich vor den Ungeimpften in Sicherheit zu bringen. Gehts noch?

Seit der ersten Welle ist bekannt, dass man dem Virus antizyklisch begegnen muss, wenn man ihm beikommen will. Die 16 Ministerpräsidenten, die für den Kampf gegen das Virus zuständig sind, erwiesen sich bisher als unfähig, sich auf ein solches Vorgehen zu verständigen. Die Bundesregierung passte sich Unvermögen der Länderregierungen an.

Gnadenlos bestraft

Wer nicht bereit ist, die Verantwortung wahrzunehmen, die ihm die Wähler anvertraut haben, sollte schleunigst sein Amt und Mandat aufgeben. Die Wahlen haben nicht den Zweck, eine kleine beamtenähnliche Elite zu schaffen, die ihre Existenz mehr durch Lassen als durch Tun absichert.

Dass die 17 deutschen Regierungen in der Pandemie versagen, kann niemanden überraschen. Sie verhalten sich in der Pandemie, als wäre es ein beliebiges politisches Problem. Man bemerkt ein Verhalten, das man aus der Finanzpolitik bis zum Überdruss kennt. Hohe Einnahmen verlocken zu hohen Ausgaben, niedrige Einnahmen zu neuen Schulden, die den Handlungsspielraum immer weiter einengen.

Zyklisches Verhalten ist in der Finanzpolitik üblich, weil es oft erst nach Jahren bestraft wird. Die Rechnung zahlt dann die nächste Generation mit hohen Zinsen und geringen Gestaltungsmöglichkeiten. In der Pandemie wird zyklisches Verhalten gnadenlos nach wenigen Wochen bestraft, mit schweren Erkrankungen, qualvollem Sterben, überlasteten Spitälern und Unbehandelten mit anderen Krankheiten.
Die Bindung zum Volk verloren
Dass die Politik Coronawelle auf Coronawelle entstehen lässt und zuschaut, wie sie ihr zerstörerisches Werk verrichten, ist nicht akzeptabel. Warum es dennoch stattfindet, ist leicht zu begreifen. Das Virus agiert global, die Länderschefs regional. Sie stecken bis zum Hals in 16 verschiedenen Verordnungs-, Rechts- und Regelbiotopen.

Sie führen ein Dutzend verschiedenfarbige Koalitionen an. Entsprechend groß sind die Reibungsflächen, entsprechend langsam mahlen die Mühlen, entsprechend grob wird das Mehl. Nach jedem Mahlgang der Ministerpräsidenten knirscht es gewaltig.

Viele Bürger verstehen vor lauter Vorschriften nicht mehr, was vor sich geht. Viele wenden sich mit Grausen ab. Viele sind wütend und frustriert. Und die Ministerpräsidenten? Sie flehen die Bürger vergeblich an, sich impfen zu lassen. Können die Länderchefs noch deutlicher darlegen, dass sie die Bindung zum Volk verloren haben?
Große Schäden angerichtet
Das Virus hat solche Probleme nicht. Es entfaltet sich frei von Verordnungen, Regeln und Gesetzen. Es muss sich auch nicht mit 16 Chefviren aus 16 Bundesländern abstimmen. Es kann das tun, was es kann: die Menschen anstecken. Am besten gelingt es ihm dort, wo sich Landesregierungen und Bürger aus den Augen verloren haben: in den neuen Ländern, in Bayern und in Baden-Württemberg.

Der Unterschied zu Nordwestdeutschland ist beträchtlich. Doch auch dort arbeitet das Virus in der vierten Welle dran, die Regierten und Regierenden zu entkoppeln. Während es sich verbreitet, werden die Schäden, die es anrichtet, stetig größer. Impfverweigerer und verantwortungsscheue Regierungen wirken seit Monaten Hand in Hand darauf hin.

Die verantwortungsbewussten Geimpften, die sich in der Regel zum zweiten Mal impfen ließen und nun zum dritten Mal impfen lassen, bilden eine Zweidrittelmehrheit. Viele von ihnen staunten fassungslos, wie die 16 Landesregierungen und die künftige Ampel-Bundesregierung immer noch fahrlässig den Impfverweigerern ermöglichen und gestatten, die Impfung zu verweigern.

Die fünfte Welle vorbereiten

Alle 17 Regierungen schwadronieren davon, sie wollten die vierte Welle brechen. Dieses Bemühen soll dazu dienen, die Krankenhäuser zu entlasten. Dass alle Anstrengungen darauf gerichtet sein müssten, den Menschen Corona zu ersparen, wird aus Rücksicht auf die Impfverweigerer, die das Virus rücksichtslos verbreiten, allenfalls leise thematisiert.

Sobald die vierte Welle gebrochen ist, lockern die Ministerpräsidenten den Coronaschutz und breiten mit diesem Schritt die fünfte Welle vor. NRW-Ministerpräsident Wüst (CDU) macht den Kölner Karnevalisten Hoffnung, sie könnten im Straßenkarneval bis Aschermittwoch am 2. März 2022 auf die Pauke hauen.

Dass Wüst den Jecken tolle Tage verheißt, verspricht Corona eine große Ernte. Das Virus wird die Früchte seines Wirkens pünktlich zum heißen Wahlkampf für die NRW-Wahl im Mai präsentieren. Das Virus kann Wüst aus dem Amt jagen und ihn samt der NRW-CDU in die Opposition treiben. Sein Wahlkampfteam sollte sich schon heute fragen, mit welchem Konzept die NRW-CDU bei überfüllten Krankenhäusern und landesweiter Triage bei den Wählern um Vertrauen werben kann.

Lustigen Zeiten entgegen

Das Virus sieht den tollen Tagen freudig entgegen. Über Weihnachten kann es sich für den Karneval warm laufen. Düsseldorfs Schausteller dringen unter Berufung auf das deutsche Arbeitsrecht und den Fußballnationalspieler Kimmich darauf, rund um ihre Weihnachtsmarktbuden Ungeimpfte zu beschäftigen. Da gilt die Devise: Was Kimmich darf, kann man den Hilfskräften auf dem Weihnachtsmarkt doch nicht verwehren.

Je länger die Pandemie dauert, desto jämmerlicher wird das Bild, das die Crème de la Crème der deutschen Politik abgibt. Der künftige Kanzler Scholz (SPD) der künftigen Ampelkoalition gab eine Kostprobe seines Krisenmanagementpotenzials, als er über Wochen zur anschwellenden vierten Coronawelle eisern schwieg.

Der Mann galt bisher als dröger Phlegmatiker. Nun hat er sich als eher als apathisch und lethargisch entpuppt. Es sieht so aus, als gingen die drei Partner der künftigen Ampelkoalition unter seiner Führung lustigen Zeiten entgegen.

Das Naheliegende tun

Sie will demnächst das Infektionsschutzgesetz verschärfen. Wie man es von der Politik gewohnt ist, ging sie nur halbherzig vor. Der erste Entwurf des neuen Gesetzes wurde schon zur Zeit seiner Bekanntgabe der Pandemielage nicht gerecht. Die FDP neigt dazu, eher die Impfverweigerer als deren Opfer zu schützen.

Der Entwurf musste rasch nachgeschärft werden. Tritt das Gesetz demnächst in Kraft, wird es der Coronalage erneut hinterherhinken. Das Virus ist schneller als die Politiker. Dazu gehört nicht viel. Deutschland pflegt seine Brunnen erst dann abzudecken, wenn viele Kinder hineingefallen sind.

Dem Virus ist nur mit der Impfpflicht für alle Impffähigen halbwegs verlässlich beizukommen. Wann werden sich die Politiker wohl aufmachen, endlich das erfolgversprechende Naheliegende zu tun? Bis das geschieht, kann man jedem nur raten, in Deckung zu gehen und dort zu bleiben.

Über Ulrich Horn (Gastautor):

Begonnen hat Ulrich Horn in den 70er Jahren als freier Mitarbeiter in verschiedenen Lokalredaktionen des Ruhrgebiets. Von 1989 bis 2003 war er als Landeskorrespondent der WAZ in Düsseldorf. Bis 2008 war er dann als politischer Reporter in der Essener WAZ-Zentralredaktion tätig. Dort hat er schon in den 80er Jahren als Redakteur für Innenpolitik gearbeitet. 2009 ist er aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden. Seine Beiträge im Extradienst sind Crossposts aus seinem Blog "Post von Horn". Wir bedanken uns für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe an dieser Stelle.