Ich gehöre zu einer Generation, für die der Weltraum etwas ganz nahes war – aufgrund von Ereignissen, eines “Spirit”, der die Zeit der 60er und 70er Jahre prägte und in der Science-Fiction nicht zwangsläufig in Katastrophen endete. John Glenn – von Gagarin erfuhren wir ja nicht viel – war 1962 ein Held, obwohl er nur geringfügig höher flog, als Alan Shepard, der in seinem Ballistikflug nicht mal das erdnahe All erreichte.

Während der Radioübertragung im Westdeutschen Rundfunk fragte der Reporter damals den Korrespondenten in Florida und einen Geistlichen im Studio ernsthaft, was man denn täte, wenn im Weltraum oberhalb der Erde ein höheres Wesen erschiene und man sich dem stellen müsse, “nichts mehr verbergen” könne. Weltraumfahrt war ein Projekt der ganzen Menschheit – so wurde es vermittelt und empfunden.

Unzählige Starts und Landungen später, bei denen zum Teil die gesamte westliche Welt mitfieberte – wie es in der DDR war, weiss ich leider nicht – und im Juli 1969 kam dann dieser epochale Satz “That’s one small step for a man, one giant leap for mankind” und wir alle hatten das Gefühl, dass Neil Armstrong für uns den Mond betreten hatte, und dass wir das irgendwann alle könnten.

Nicht wenige dachten, dass die Regierungen der Erde nun die blödsinnigen Kriegsstreitigkeiten begraben und sich stattdessen friedlich in den Weltraum begeben und nebenbei auch noch Hunger- und Armutsprobleme lösen würden. Und ein paar Jahre lang in den 70ern sah es ja so aus. Der Vietnamkrieg endete, Russen und Amerikaner führten gemeinsame Raumflüge durch, besuchten sich gegenseitig auf den Raumstationen.

Apollo 13 einte nochmals 1970 die Öffentlichkeit des Westens wegen der drohenden Katastrophe, bevor die letzten drei Apollo-Missionen 17-20 dem Rotstift zum Opfer fielen und außer den beiden bis heute sensationellen Sonden Voyager 1 und Voyager 2 nur noch erdnahe Erkundungen stattfanden.

Ab 1970 wurde alles anders. Hatte John F. Kennedy den militärisch-industriellen Komplex der USA mit Milliardenaufträgen in Richtung friedlicher Nutzung des Weltraums gedrängt, erlagen seine Nachfolger, vor allem Ronald Reagan erneut dem Wahnsinn des Wettrüstens – zunächst mit Cruise Missiles und Pershing II – ideologisch verbrämt als “NATO-Nachrüstung” gegen russische SS 20 – dann aber mit “Star Wars” einem Satellitenprogramm, das vom Rechtsextremisten Lyndon LaRouche erdacht wurde und einen Krieg im Weltraum ermöglichen sollte, um per Laser jede angreifende Interkontinentalrakete zu zerstören und damit das “Gleichgewicht des Schreckens” auszuhöhlen und einen Atomkrieg – und sei es aus Angst – in den Bereich des Möglichen zu rücken.

Die Friedensbewegung in Europa richtete sich dagegen. Der Kongress hielt Rüstung für wichtiger, als Raumfahrt, der intellektuellen Kapazität der Kennedys (John und Robert) konnten die Nachfolger bis auf Obama ohnehin nicht das Wasser reichen. Die NASA korrumpierte und verkaufte ihr Shuttle-Programm an die Air Force, die Spionagesatelliten in den Raum schießen wollte – so kam es aus Termingründen zur Challenger-Katastrophe: Ein Space-Shuttle wurde bei Temperaturen gestartet, bei denen es nie hätte starten dürfen – sieben Menschen mussten deshalb sterben.

Inzwischen ist die NASA nur noch Notarin für die US-Raumfahrt, die von Oligarchen wie Elon Musk (SpaceX) und Jeff Bezos (Blue Origin) betrieben wird. An die Stelle von Menschheitsvertretern wie Juri Gagarin und Neil Armstrong sind selbstverliebte Narzissten und Selbstinszenierer getreten. Allein eine immer weiter auseinanderklaffende Ungerechtigkeit der Einkommensschere zwischen Arm und Reich macht es möglich, dass Milliardäre und Multimillionär*innen Raumfahrt betreiben und sich nun auch Weltraumaufenthalte kaufen.

Nicht ohne, dass Musk z.B. den Menschenfreund spielt und eine 60jährige, von der NASA vergessene Astronautin oder den 90-jährigen William Shatner alias Capt’n Kirk der Enterprise werbewirksam mit ins All nimmt. Fragte man in den 70er oder 80er Jahren Astro- oder Kosmonauten, warum sie das tun, was sie tun, war die Antwort: um die Nation, die Menschheit, den Sozialismus oder beides voranzubringen, vor allem die Wissenschaft. Fragt man Musk oder Bezos, ist die Antwort ein mehr oder weniger “weil ich es kann!”

Die Ziele der Raumfahrt – etwa ein geplanter Flug zum Mars werden nicht mehr von der amerikanischen oder russischen Regierung festgelegt, sondern von Oligarchen, denen gerade danach ist oder nicht. So wie Jeff Bezos beschließt, Arbeitsschutzgesetze, Tarife und das Arbeitsrecht zu beugen und verbiegen, so wie Mark Zuckerberg beschlossen hat, die personenbezogenen Daten von Milliarden Usern illegal zu erfassen, zu nutzen und Persönlichkeitsprofile zu erstellen, die jetzt genutzt werden sollen, um seine Opfer in einem Paralleluniversum genannt Meta noch intensiver zu manipulieren, als es schon auf Facebook geschieht.

Wie in den (a)sozialen Medien sind die demokratischen Gesellschaften des Westens dabei, die Kontrolle über Ziele und Grenzen, Nutzen und Schaden der Raumfahrt zu verlieren. Ein Sieg des Neoliberalismus und eine drohende, möglicherweise vernichtende Niederlage für die Demokratie. Einer Demokratie, die es aufgegeben hat, Macht durch Kapital zu begrenzen oder zu beeinflussen, die die unbegrenzte Bereicherung Einzelner und damit der Machtausübung über die Mehrheit der ärmeren Menschen auf unserem Planeten nicht mehr für unmoralisch hält, sondern für selbstverständlich.

Ganz konkret entscheidet sich diese Frage momentan an der EU-Gesetzgebung zu digitalen Diensten und digitalen Märkten, die für die Begrenzung dieser Macht ebensolche Bedeutung hat, wie das 1,5 Grad-Ziel für die Bekämpfung der Klimakatastrophe. Wer anders als die Demokratien soll es in Zukunft also Oligarchen verbieten oder sie daran hindern, eine von Klimaextremen und abgeschmolzenen Polkappen für diese Mehrheit der Menschen unbewohnbar gewordene Erde mit ihrer persönlichen Clique zu verlassen und in den Weiten des Alls die Flucht anzutreten?

Alles nur Science-Fiction? Stephen Baxter beschreibt in seinem “Arche”-Zyklus ab 2009 bereits die physikalischen und technischen Voraussetzungen einer solchen Mission – allerdings geht auch Baxters Utopie nicht so weit, dass eine solche Exkursion ausschließlich privaten Unternehmern überlassen wird.

Das ist das i-Tüpfelchen, das  jahrzehntelange Ausplünderung öffentlicher Haushalte, “schlanker” Staat, wachsende Privatisierung, Steuerflucht und Sozialdumping erst möglich gemacht haben. Extreme soziale Ungerechtigkeit und die gezielte Schwächung demokratischer und staatlicher Strukturen haben nicht nur Auswirkungen auf die Raumfahrt, sondern alle Bereiche der Gesellschaft.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net