von Peter Kramer
Mein Problem mit der “Impfpflicht”
In der Linkspartei gibt es zu dem Thema mal wieder von jedem etwas, aber für mich ist diesmal nichts dabei. Frau Wagenknecht ist unter die Impfskeptiker gegangen und die beiden Vorsitzenden fordern eine Impfpflicht. Das macht mich beides nicht glücklich.
Vorab, ich bin geimpft, halte das für einen wichtigen Baustein der globalen Pandemiebekämpfung und argumentiere auch gegenüber Impfskeptikern mit den üblichen Argumenten der Statistik.
Aber die Debatte um die Impfpflicht halte ich für eine große Nebelkerze, die ablenkt von anderen Fragen.
Wenn ich die aktuell beschlossenen Maßnahmen richtig verstanden habe, scheinen sie fast nur Auswirkungen für Ungeimpfte zu haben, ansonsten läuft alles weiter wie gehabt. OK, nicht mehr 50.000 im Stadion, sondern nur 15.000, die sich aber auch vorher und nachher in Autos, Bahnen und Kneipen tummeln. (Anm. d. Red.: nicht zu vergessen die Hunderttausenden oder Millionen in den Pay-TV-Kneipen)
Produktion, Büros und Distribution sollen perspektivisch nur noch von Geimpften frequentiert werden.
Das Ziel, das Gesundheitssystem aktuell und schnell zu entlasten, kann so nicht erreicht werden. Auch bei 2G treffen sich noch genügend Menschen, die andere anstecken. Die meisten werden nicht getestet sein, und wenn doch, scheinen die Schnelltests bei Geimpften nicht sehr sicher zu sein. Der Unterschied zu 3G scheint mir nicht sonderlich groß zu sein, außer die Ungeimpften zu trietzen.
Mit ein bisschen Pech kommt mit Omikron (oder der übernächsten Mutante) eine Variante um die Ecke, die aus “geimpft” ganz schnell “vielleicht noch ein wenig geimpft” macht.
Würde es wirklich um die Entlastung des Gesundheitssystems gehen, müsste man einen Lockdown für Alle und für so weite Teile Alltags machen, wie irgendwie vertretbar, sprich nur lebensnotwendige Tätigkeiten, die Schulferien vorziehen, etc. Das scheint aber genauso undenkbar wie im Frühjahr 2021.
Die Fokussierung auf die Frage geimpft/ungeimpft scheint mir eine Blitzableiter-Funktion zu haben. Die Geimpften richten ihren Unmut auf die Ungeimpften als die vermeintlichen Verursacher der Misere. Viele Ungeimpfte bunkern sich ein in ihrer Wahrnehmung fremdbestimmt und zu Sündenböcken gemacht zu werden. Eine rationale Debatte wird immer unmöglicher.
Es scheint mir kein Zufall zu sein, dass gerade im Bereich der Altenpflege überdurchschnittlich viele Beschäftigte ungeimpft sind. Ich vermute, in einer Branche, wo sich Viele schon zu Normalzeiten wie Material verheizt fühlen, ist das eine kranke Form der Rebellion. Nur mit noch mehr Druck zu kommen, nimmt die Leute nicht ernst. Wer in dieser Branche mit der Impfpflicht kommt (was ich noch am ehesten verstehen würde) muss zwingend auch Angebote für bessere Arbeitsbedingungen machen.
Im Windschatten dieser Kontroverse spricht fast niemand mehr z. B. über die Regierungsbildung, stattdessen haben wir eine ganz Große Koalition der Turbo-Impfer.
Die Impfpflicht durchzusetzen wird einen absurden Aufwand erfordern, heute sitzen bereits 7.000 Schwarzfahrer in den JVAs, da kommen dann noch zehntausende Impfmärtyrer dazu.
Mein Vorschlag für eine linke Haltung wäre in aller Kürze und Plumpheit:
– Für ein Recht auf Impfung global, mit allem was es dazu braucht an Transfer. Was nützt uns ein durchgeimpftes Deutschland oder Europa, wenn sich anderen Teilen der Welt munter die Varianten entwickeln?
– Solidarischer Lockdown statt Impfpflicht.
– Abschöpfen der Krisengewinne, (über die Instrumente denke ich gerne noch nach, Online-Handels-Abgabe, Vermögensabgabe z.B.).
Der Autor ist selbstständiger IT-Unternehmer in Köln.
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