Edit Policy: Warum es keine technische Lösung gegen Hass gibt. Ein Mordaufruf in einer Telegram-Gruppe führt zur Forderung, den Dienst in Deutschland zu sperren. Der falsche Weg, zudem grundrechtswidrig
In einer Telegram-Gruppe wurde laut Berichten von Sicherheitsbehörden ein Mordanschlag auf den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer geplant. Das ist nur der jüngste Vorfall, der die Rolle des Messenger-Dienstes Telegram für die Vernetzung der verschwörungsideologischen Szene in Deutschland offenbart. Insofern verwundert es nicht, dass eine Debatte um die Regulierung des Dienstes entbrannt ist. Das Bußgeldverfahren gegen Telegram auf Grundlage des NetzDG ziehen sich in die Länge, weil der Dienst seinen Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten hat und bisher nicht mit den deutschen Behörden kooperiert.
Angesichts der Reichweite einiger Telegram-Kanäle ist der Wunsch nach klaren Regeln zur Bekämpfung von Hass und Hetze auf diesem Medium durchaus nachvollziehbar. Doch die aktuelle Debatte droht mehr Schaden anzurichten, als zu einer sinnvollen Lösung beizutragen, weil sie unzureichend zwischen den verschiedenen Kommunikationsangeboten auf Telegram unterscheidet und die Rolle von polizeilicher Ermittlungsarbeit auf der Plattform unterschätzt. Der Ruf nach technischen Lösungen für ein soziales Problem droht zur Gefahr für die Grundrechte zu werden.
Sperrung von Telegram ist grundrechtswidrig
Einige der Vorschläge, die bis hin zu einer Sperrung von Telegram in Deutschland reichen, kennt man sonst nur von autokratischen Regimen wie Russland. Trotz aller Probleme mit dem Dienst wird der Großteil der Kommunikation über Telegram völlig legal sein, eine Sperrung würde also einen erheblichen Eingriff in die Meinungsfreiheit darstellen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat derartige Sperrungen von Internetdiensten, die wahllos auch legale Inhalte treffen, mit dem Verbot einer Zeitung oder eines Fernsehsenders verglichen und als grundrechtswidrig ausgeschlossen. Es ist erschreckend, mit welcher Selbstverständlichkeit Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) das „Geoblocking“ von Telegram dennoch als letztes Mittel vorschlägt – wobei er Geoblocking als Euphemismus für Netzsperren gebraucht. Auf europäischer Ebene im Rahmen des Digital Services Act über Netzsperren gegen Kommunikationsplattformen diskutiert, die Idee wurde aber aus guten Gründen schnell wieder verworfen.
Ähnlich gefährlich und überflüssig sind die Rufe nach einer Klarnamenspflicht auf Telegram. Es ist nicht nur schleierhaft, warum Telegram bei der Umsetzung einer solchen Pflicht besser kooperieren sollte als bei anderen deutschen Vorschriften. Die Klarnamenspflicht wäre für die Beobachtung und Erforschung von rechten Radikalisierungstendenzen sogar hinderlich: Forschende und Journalist:innen, die die verschwörungsideologische Szene beobachten, müssten dann ebenfalls ihre Identität offenlegen und wären größeren Gefahren ausgesetzt. Außerdem gibt es genügend Beispiele von Personen, die Hass und Hetze auch unter ihren Klarnamen verbreiten, ohne dafür Konsequenzen zu fürchten.
Kein reiner Messenger, kein reines soziales Netzwerk
Das Recht auf anonyme und vertrauliche Kommunikation ist in Gefahr, wenn die Politik vom Messenger-Dienst Telegram die Moderation von privaten Unterhaltungen verlangt. Denn Äußerungen, die einfach pauschal behaupten, Telegram sei ein soziales Netzwerk wie Facebook oder YouTube, greifen zu kurz. Tatsächlich verbergen sich in der App unterschiedliche Funktionalitäten, die unterschieden werden müssen, um zu sinnvollen regulatorischen Ansätzen zu kommen.
Da ist zunächst das Kerngeschäft, das Telegram mit anderen Messengern eint. Zwei Personen kommunizieren direkt miteinander, dabei kommt je nach Voreinstellung ein unterschiedlicher Grad der Verschlüsselung zum Einsatz. Von dieser Funktionalität muss der Gesetzgeber die Finger lassen. Weder sind die Direktnachrichten relevanter Schauplatz für die Hassbotschaften, um die es in der aktuellen Debatte geht, noch ist eine Regulierung von Messenger-Funktionalitäten möglich, ohne auch das Recht auf anonyme und vertrauliche Kommunikation abzuschaffen. Dasselbe gilt für geschlossene Chatgruppen mit mehr als zwei Teilnehmenden, denen man nur beitreten kann, wenn man von einer bereits teilnehmenden Person hinzugefügt wird.
Wer Messengerdienste zur Moderation geschlossener Chats verpflichten will, legt die Axt an das Recht auf verschlüsselte Kommunikation. Das ändert sich auch nicht durch die Tatsache, dass bei Telegram bis zu 200.000 Personen zu einem geschlossenen Chat hinzugefügt werden können. Wenn sich tatsächlich eine Gruppe von Tausenden in einer geschlossenen Chatgruppe organisiert, Hetze verbreitet und Straftaten plant, sollte es den Ermittlungsbehörden durch herkömmliche Polizeiarbeit möglich sein, diese Gruppen zu infiltrieren. Wenn das regelmäßig nicht gelingt, ist das größere Problem als die Existenz geschlossener Chats wohl eher die Vernachlässigung von Ermittlungsarbeit auf Telegram durch die Polizei.
Brüssel ist der deutschen Debatte weit voraus
Eher mit sozialen Netzwerken vergleichbar sind die Kanäle auf Telegram, bei der Kanalbetreibende mit einer unbegrenzten Öffentlichkeit kommunizieren, sowie offene Chatgruppen, deren Chatverlauf gespeichert wird und denen beliebige Personen jederzeit beitreten können. Allerdings sind auch hier Rufe nach einer Ausweitung des NetzDG völlig fehl am Platze. Fakt ist: Bereits heute geht das Bundesamt für Justiz auf Grundlage des NetzDG gegen Telegram vor – das Problem ist also nicht eine Gesetzeslücke, sondern der Mangel an Instrumenten justizieller Zusammenarbeit mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo Telegram seinen Sitz hat.
Zwar mag es stimmen, dass das NetzDG nicht besonders gut auf die öffentlichen Kommunikationsfunktionen von Telegram zugeschnitten ist. Eine Reform würde aber an den Durchsetzungsproblemen auf internationaler Ebene nichts ändern, sondern sie potentiell schlimmer machen, weil es einer nationalen Zersplitterung der Plattformregulierung Vorschub leistet. Anstatt in Deutschland das Rad einmal wieder neu zu erfinden, sollte sich die deutsche Politik an den bereits weit fortgeschrittenen europäischen Regulierungsdebatten im Rahmen des Digital Services Act beteiligen.
Der Ministerrat hat seine Position zum Digital Services Act bereits verabschiedet und unterscheidet anders als die deutsche Regulierungsdebatte sauber zwischen den geschlossenen und den offenen Kommunikationsfunktionen von Telegram. Ausschließlich für Kanäle und offene Gruppen soll Telegram demnach die Verpflichtung zur Einrichtung eines Meldeverfahrens für illegale Inhalte treffen, ebenso wie Transparenz über die Moderationsregeln. Die Überlegungen des Europaparlaments, dessen federführender Ausschuss gerade seine Position zum Digital Services Act verabschiedet hat, gehen in eine ganz ähnliche Richtung. Die Bedeutung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Messengerdiensten hebt die Parlamentsposition sogar noch einmal explizit hervor.
Bereits im Sommer könnten sich Parlament, Rat und Kommission auf einen gemeinsamen Digital Services Act einigen, Ende 2022 könnte er in Kraft treten. Das wäre eine deutlich bessere Grundlage für die Regulierung von Telegram als eine Reform des NetzDG, das bereits jetzt wegen der Datenweitergabe an das Bundeskriminalamt auf verfassungsrechtlich wackeligen Beinen steht. Anders als das NetzDG sieht außerdem der Digital Services Act keine strikten Löschfristen nach Meldung von Inhalten vor, die dem Overblocking Vorschub leisten. Probleme mit der internationalen Rechtsdurchsetzung können durch den Digital Services Act zwar auch nicht völlig ausgeräumt werden. Dennoch ist es wahrscheinlicher, dass sich ein großer kommerzieller Dienst über kurz oder lang an einheitliche europäische Regeln hält, die verhältnismäßig ausgestaltet sind, als wenn jedes Land sein eigenes Süppchen kocht.
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