Ist es ein nebensächlicher Vorgang? Jedenfalls markiert er in seinen kleinen Details tiefgründige Prioritätenverschiebungen in der herrschenden Politik und den herrschenden Medien. Extradienst-Autor Andreas Zumach erklärte mir gestern genauer die Vorgänge um die Absage der NPT-Konferenz (NPT = Non-Proliferation-Treaty, Nichweiterverbreitungsvertrag für Atomwaffen, hierzulande geläufig als “Atomwaffensperrvertrag”, Copyright dieser politischen “Übersetzung”: Konrad Adenauer persönlich) in New York. Atomwaffen, das für die Jüngeren, sind Waffen, mit denen sich in Sekundenschnelle die Erde weit vor dem Klimawandel vernichten lässt, kurz und schmerzvoll.
In den 80ern sind heutige Eltern und Grosseltern weltweit – allein in der West-BRD zu Millionen – dagegen auf die Strasse gegangen. Weil die SPD schon damals zu langsam verstand, was los ist, verlor sie 1982 die Bundesregierung. Es wäre nicht zuviel verlangt, wenn sowohl eine Bundesregierung als auch deutsche Medien dem Thema grosse Aufmerksamkeit widmen. Zumal viele dieser Waffen hierzulande stationiert sind. Und wenn sie nicht auf einen Einsatz warten, ein prominentes Ziel anderer Waffen abgeben. Also scheissgefährlich sind. Das nur zur Erinnerung für die Älteren, und zur Erläuterung für die Jüngeren.
Der Atomwaffensperrvertrag war bei den Herrschenden in Deutschland sehr unbeliebt. 1970 unterzeichnet wurde er vom westdeutschen Bundestag erst 1975 nach langem Streit ratifiziert. Denn er bedeutete, dass Deutschland keine eigenen Atomwaffen haben darf. Das empfinden die deutschen Herrschenden als Zurücksetzung, Zwangsabstieg in die Zweite Liga der Grossmächte. Ist es ja faktisch auch. Der Neid auf Grossbritannien und Frankreich ist entsprechend gross. Französische Regierungen ziehen bis heute deutsche Bundesregierungen in der EU damit auf, und bringen deutsche Schreibtischstrategen damit auf die Palme.
Nur “leider” liefert die deutsche Geschichte keinen guten Grund, Deutschland die Handhabung solcher Waffen völkerrechtlich zu gestatten, wirklich gar keinen. Zweifelhafte weltweite Berühmtheit haben sich deutsche Regierungen, egal welcher Koalition, verschafft, indem sie unter Umgehung des Vertrages angeblich “zivile” Atomtechnologie in solche Staaten exportierten, die dem Vertrag nicht beigetreten und international geächtet waren (Südafrikas Apartheidregime z.B.; Taliban-Unterstützer Pakistan könnte erst mit deutscher Hilfe Atommacht geworden sein). Deutsche Diplomat*inn*en fantasieren seitdem rhetorisch immer wieder von der “nuklearen Teilhabe”. Vertrauen schaffen, der erste Job jeder Aussenpolitik, geht anders.
Genug der Vorrede.
Konferenzabsage – in Deutschland eine Woche unbemerkt
Die Absage der New Yorker NPT-Konferenz wurde UNO-intern zwischen dem 27. und 30.12.2021 beraten und beschlossen, danach unmittelbar den beteiligten Regierungen mitgeteilt. In Deutschland war das in der Nacht vor Silvester. Niemand machte seine Arbeit, alle bereiteten, wenn sie nicht schliefen, ihre Partys vor. Und wenn die ausfielen (Corona), machte jedenfalls dennoch niemand seine Arbeit. Kein*e Politiker*in, kein*e Journalist*in. So geschah es, dass die Deutsche Presseagentur (dpa) noch am 3.1. eine Meldung absetzte, die vom Stattfinden der seit 4 Tagen abgesagten NPT-Konferenz ausging. Darauf basierte also auch Andreas’ irrtümlicher Text, den er eilig zu korrigieren bemüht war.
Die dpa hielt es nicht für nötig eine Korrektur zu melden. Denn wen hätte das interessiert? War das wichtig, ein Vertrag, den zu erhalten zwar den Planeten erhalten kann, den aber deutsche Bosse eh nicht leiden können? Nein, wirklich wichtig waren die 10 Stunden USA-Aufenthalt von Frau Baerbock, und dass die gaaanz lange mit ihrem US-Amtskollegen redete, dass sogar (!) die anschliessende Pressekonferenz mit demonstrativer Verspätung beginnen musste, boah! Und in einer Meldung darüber konnte dpa dann auch die Nebensache mit der Vertagung einer globalen Vertragskonferenz unterbringen.
Nichts verschwiegen, nichts gelogen. Haben doch alle ihre Pflicht getan. Interessiert doch in Deutschland kein Schwein. Wie schon 1977 und 1978 die namentlichen Verurteilungen der West-BRD durch die Uno-Vollversammlung wg. der militärisch-atomaren Zusammenarbeit mit Südafrika. Hat in der BRD einfach kein Medium gemeldet. Womit ja der “Beweis” erbracht war, dass es “niemand” interessierte.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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