von Wilhelm Achelpöhler, Dr. Christoph Schottes, Dietrich Schulze-Marmeling, Dr. Wolfgang Storz, Claus Fokke Wermann, Detlef zum Winkel
Offener Brief an Malu Dreyer

Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin,
als Vorsitzende der Rundfunkkommission haben Sie dazu aufgefordert, Vorschläge zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu machen. Da hätten wir etwas für Sie. Wir vermissen Sendungen, die in der Vergangenheit von verschiedenen Anstalten ausgestrahlt wurden. Sie richteten sich an ausländische Arbeitnehmer – in deren Sprachen und oft auch mit kurzen Zusammenfassungen in deutsch. Wir hörten also griechische, spanische, italienische, türkische Berichte, Reportagen, Interviews und hatten das Gefühl, in einem mediterranen Café zu sitzen. Diese Sendungen waren auch bei deutschen Zuhörern beliebt.
Profilierte politische Flüchtlinge bleiben unbemerkt
Ein Grund dafür war, dass sie von erstklassigen Moderatorinnen und Moderatoren, Journalistinnen und Journalisten ausländischer Herkunft gestaltet wurden. Verallgemeinert und aktualisiert bedeutet das: angesichts der großen Fluchtwanderungen unserer Zeit bleibt die Ankunft profilierter politischer Flüchtlinge in die Bundesrepublik Deutschland weitgehend unbemerkt und folgenlos. Aus der Türkei, Syrien, Iran, Afghanistan und aus Osteuropa sind qualifizierte und erfahrene Journalisten, Schriftsteller, Filmemacher in unser Land gekommen. Can Dündar kann als Paradebeispiel dafür gelten. Diese bisher kaum genutzten Ressourcen brauchen wir aus mehrfachen Gründen. Zum einen sind sie berufen, ihre Landsleute – und uns! – mit ihren Themen und ihrer Sicht auf die Ereignisse zu versorgen. Can Dündar und seine Schicksalsgenossen wären auch, mit entsprechenden Sendemöglichkeiten ausgestattet, in der Lage, es mit dem gesellschaftlichen Einfluss von DITIB aufzunehmen und dafür zu sorgen, dass der Stimmenanteil der AKP bei den in Deutschland lebenden türkischen Wählern halbiert wird. Die Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund, die in den Medien immerhin schon Fuß gefasst haben und ihr Angebot deutlich bereichern, werden eine solche Verstärkung gewiss mit offenen Armen willkommen heißen.
Ein zweites Beispiel: es ist kaum zu verstehen und doch verhält es sich so, dass viele Migranten aus Osteuropa, die keine Freunde von Putin sind, sich von Russia Today und dem dazu gehörenden Medienkonglomerat informieren lassen. Entsprechend hoch ist der Anteil von Coronaleugnern und Impfgegnern in dieser Bevölkerungsgruppe. Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten müssen etwas unternehmen, um diese Gruppe wenigstens mittelfristig zu gewinnen. Nicht zuletzt geht es auch darum, dem grassierenden Antisemitismus unter Migranten wirksam entgegenzutreten. Es muss also klare Abmachungen und Einstellungsbedingungen geben, die in dem Satz zusammengefasst werden können: ausländische Antisemiten brauchen wir nicht, wir haben genug eigene.
Wenn diese Strategie erfolgreich umgesetzt werden kann, werden ihre Resultate zwangsläufig auf die Ursprungsländer der Migration zurückstrahlen. Auf diese Weise sind viel mehr und hoffentlich positive Wirkungen zu erzielen, als es mit der Deutschen Welle jemals möglich sein wird. Wir beanspruchen nicht, profunde organisatorische Lösungen vorlegen zu können. Aber als Konsumenten würden wir einen multikulturellen Kanal sicher oft und mit großem Interesse einschalten, zumal die heutigen Technologien es leicht machen, deutsche Untertitel zu fremdsprachigen Sendungen einzublenden und umgekehrt. En passant könnten wir sogar unsere Sprachkenntnisse trainieren.
Damit kommen wir zu einem weiteren Vorschlag, der in seiner Tragweite den ersten noch übertrifft. Der einzige und bemerkenswert erfolgreiche europäische Sender ist ARTE. Dieser Sender widersetzt sich beharrlich der allgemeinen Großtendenz zur Kommerzialisierung, Verflachung und Boulevardisierung der Medien, und er kann sich damit behaupten. Jedoch ist ARTE ein Angebot, das sich vornehmlich an bildungsbürgerliche Kreise richtet, die ohnehin proeuropäisch eingestellt sind. Benötigt wird ein europäisches und damit natürlich auch mehrsprachiges Medienangebot für das Massenpublikum. Ein solches Angebot wird nur angenommen werden, wenn es sich um populäre Themen kümmert.
Dies ist eine schier unlösbare Aufgabe, wenn man sie nicht eingrenzt. Das Thema, das sich hier sofort anbietet, ist der Sport. Wir brauchen ein “sporte”, einen mehrsprachigen Sportkanal auf einem qualifizierten Niveau von Sportjournalismus, der sich nicht darauf beschränkt, nach den Emotionen von Athleten zu fragen, wenn sie ein Podest erklommen haben. Die Kompetenzen sind vorhanden; es gibt viele erfolgreiche Ansätze und doch wird man das Gefühl nicht los, dass sie nicht wirklich wachsen sollen, wie sie könnten. Gerade im Fussball fällt es den Medien oft schwer, ihre Unabhängigkeit von einem Interessen-Netz aus Vereinen, Sponsoren und Spieler-Händlern zu wahren.
Internationale Alternative zu rechtsoffenen Medienkonzernen
Das Ziel könnte man metaphorisch zusammenfassen: britische Brexit-Wähler und italienische Lega-Wähler in einen europäischen Sportkanal zu locken, von dem sie besser informiert werden als von den privaten Medienkonzernen, die immer wieder in Versuchung geraten, mit einer ultranationalistischen oder rechtsextremen Politik zu flirten. Die Berlusconis müssen auf ihrem eigenen Feld geschlagen werden.
Diesen Vorschlag wird die Medienpolitik wohl sofort verwerfen, weil er finanziell scheinbar nicht zu realisieren ist. Man müsste ja bei den Übertragungsrechten für große Sportereignisse mitbieten. Das ist aber immer noch billiger, zukunftsträchtiger und mit Sicherheit populärer als die unendlichen Anstrengungen von Politik und Wirtschaft, öffentliche Mittel in die darbende Atomenergie zu pumpen. Abgesehen davon wäre ein Anfang dort billig zu machen, wo die Claims noch nicht abgesteckt sind: zum Beispiel beim Frauenfussball. Wir sind uns sicher, dass die Akteurinnen dieser Sportart leicht für ein solches europäisches Medium zu gewinnen wären und dass sie eine mitreißende Begeisterung dafür entfachen würden.
Die Männer können dann nachziehen.
Wilhelm Achelpöhler, Münster; Dr. Christoph Schottes, Hamburg; Dietrich Schulze-Marmeling, Altenberge; Dr. Wolfgang Storz, Offenbach; Claus Fokke Wermann, Frankfurt; Detlef zum Winkel, Frankfurt
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