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Alles andere als ökologisch

von Hermann Wollner / Berliner Zeitung
Elon Musks Gigafactory ist ein Gigaproblem – Welche Auswirkungen hat die Tesla Gigafactory Berlin-Brandenburg auf Boden, Wasser und Luft? Analyse eines Experten aus wissenschaftlicher Sicht.

Das Wort „Gigafactory“ hat so etwas Visionäres und Mythisches, das muss doch etwas Innovatives sein, denkt so mancher. Dabei ist es ganz einfach: Giga kommt vom griechischen Wort für Riese und bezeichnet in unserer zahlenorientierten Zeit eine Zahl mit neun Nullen. Mit großen Nummern wird gegenüber dem Publikum geprahlt – hinsichtlich der Zahl der Arbeitsplätze, der gefertigten Fahrzeuge pro Jahr und deren PS-Stärke.

Dies soll nun aber kein weiterer Beitrag zur modernen Mythenbildung über die „Tesla Gigafactory Berlin-Brandenburg“ (GF4) sein, sondern ein kritischer, wissenschaftlicher Artikel über den Umgang mit den Naturgütern Boden, Wasser und Luft im östlichen Berliner Umland. Der Zweck ist, das Nachdenken der Zuständigen über mögliche Korrekturen bei ausstehenden Bauausführungsplanungen anzuregen.

Basiszahlen zu Flächen, Wassermengen und sonstigen Prozessparametern sind dem Antrag von Tesla (Aktenzeichen G07819, vom Juni 2021) und dem mehrfach geänderten Umweltverträglickeitsprüfungs-Bericht der GfBU-Consult, Gesellschaft für Umwelt- und Managementberatung, Hoppegarten, entnommen. Forstliche Auskünfte stammen aus Gesprächen mit Landesförstern. Besonders hilfreich war die sehr fachkundige Stellungnahme der Gemeinde Rüdersdorf bei Berlin zum vorgenannten Bericht. Der Ingenieur Christian Tebert von Ökopol, Institut für Ökologie und Politik in Hamburg, hat diese Stellungnahme verfasst.
Zum Start der Tesla-Fabrik werden 50.000 Kiefern gefällt
Fangen wir mit dem Boden an. Tesla beruft sich darauf, gemäß dem Bebauungsplan „Freienbrink-Nord“ von 2004 die Erlaubnis zu haben, auf drei Millionen Quadratmetern grüner Heide Autos und die zu ihrem Betrieb erforderlichen Batterien zu produzieren. In einer superschnellen Startphase 2020/21 wurden 1,5 Millionen Quadratmeter (150 Hektar) Grünheider Forst gerodet. In ihm standen etwa 50.000 Kiefern mittleren Alters. Diese Bäume gaben jährlich eine Sauerstoffmenge ab, die etwa 2500 Menschen am Leben erhält. Da die Fläche der Gigafactory final doppelt so groß sein soll, müssen perspektivisch etwa 5000 Menschen Sauerstoff aus anderen Gegenden per „Luftpost“ beziehen.
Schauen Sie also abends genauer auf die Wetterkarte, woher der Wind weht, – und denken Sie daran: Zwanzig ausgewachsene Kiefern ermöglichen Ihr Leben. Laut Gesetz sollen durch Waldeinschlag und Bodenversiegelung verlorene ökologische Leistungen für die Umwohnenden irgendwo in der Nähe ausgeglichen werden. Das geht aber in Grünheide schlecht, weil sonst das Güterverteilzentrum Freienbrink in Forst umgewandelt werden müsste. Deshalb pflanzt man junge Nadel- und Laubbäume 50 Kilometer entfernt an. Diese müssen aber erst einmal Jahrzehnte wachsen, um die gleiche ökologische Leistung wie die gefällten Kiefern erbringen zu können. Und dann sind sie immer noch 50 Kilometer entfernt.

Das Gebiet wurde zuvor „artenschutzrechtlich“ hinsichtlich Vogel-, Fledermaus- und Reptilienarten sowie Ameisenhaufen geprüft. Nicht aber bezüglich Igel, Eichhörnchen, Fuchs, Reh und Wildschwein. Eine merkwürdige Triage! Großwild wurde „vergrämt“; Ameisen und Reptilien abgesammelt und etwa zwei Kilometer weiter nach Süden in eine Ritze zwischen dem Güterverteilzentrum, der Autobahn und einer Verkehrstangente umgesiedelt. Nützlinge, die wir als „Bodenfauna“ summieren, werden sich unter den rund 900.000 Quadratmetern betonversiegelter Fläche auch nicht halten.
Höher bauen bedeutet weniger Flächenverbrauch
Und wie steht es um die Effizienz der Bodennutzung durch die Riesen-Industrieanlage? Die Vorgabe einer sogenannten Grundflächenzahl (GRZ) – für Industriegebiete beträgt diese 0,8 – bedeutet, dass 80 Prozent der bebaubaren Grundstücksfläche überbaut werden dürfen und sollten. Aber wie hoch? Das zuständige Brandenburger Ministerium hat „aus ästhetischen Gründen“ die Wipfelhöhe des umgebenden Waldes als Obergrenze vorgegeben. Damit könnte die Tesla-Anlage gut und gerne durchgängig dreietagig gebaut werden.

Die Fertigungsfläche von etwa 1.000.000 Quadratmetern, die nach derzeitiger Planung auf zwei Etagen verteilt ist, würde – auf drei Etagen verteilt – nur eine Grundfläche von 350.000 Quadratmetern erfordern, woraus sich eine Betriebsfläche von etwa 500.000 Quadratmetern ergäbe. Derzeit nimmt schon die erste Bauphase mehr als das Dreifache des effizient Nutzbaren ein. Sowohl die gefertigten Pkw als auch die Pkw der Mitarbeiter und Besucher könnte man anstatt auf ebenerdigen Plätzen in Parktürmen unterbringen. Volkswagen macht es vor. So wäre Platz für 30.000 Laubgehölze gewonnen. Da Laubbäume eine höhere Sauerstofferzeugungsleistung als Nadelbäume haben, würde ein ökologischer Ausgleich geschaffen.

Nun kommen wir zum regionalen Wasserhaushalt, der Oberflächengewässer, Untergrund und Regen umfasst. Bei den Themen Wasserverbrauch und Trinkwasserschutz drohen durch Teslas Gigafactory große Probleme, auch wenn Elon Musk bei kritischen Fragen gern abwinkt und den Fragestellern ins Gesicht lacht, wie man bei einem Besuch beobachten konnte. Die technischen Maßnahmen der GF4 entsprechen nicht der Realität in einem klimabewussten Land.
Tesla braucht 1.400.000 Kubikmeter Trinkwasser im Jahr
Wie ist die Situation in der Region? Das zuständige Unternehmen, der Wasserverband Strausberg-Erkner (WSE) beziffert das Grundwasserabgabevermögen seines Einzugsgebietes (etwa 500 Quadratkilometer) mit rund 10.200.000 Kubikmetern pro Jahr (m³/a). Außer 170.000 Menschen sind auch vielfältige Gewerbe mit Wasser zu versorgen. Der derzeitige gewerbliche Verbrauch macht 40 Prozent der Gesamtabgabe des WSE aus. Zusätzliche Verbräuche sollten auf alle vier Wasserwerke verteilt werden und nicht nur auf eines – das entfernteste von allen –, wie es der WSE irrigerweise beantragt hat. Der durch Vertikalfilterbrunnen genutzte Grundwasserhorizont befindet sich in 50 bis 70 Metern Tiefe.

In der Schutzzone 3, dem weiteren Schutzgebiet mit einem Radius von 2,5 Kilometern um die Förderbrunnen, ist unter anderem das Ablagern von wassergefährdenden Feststoffen sowie das „Ausbringen“ – oder auch Verschütten infolge einer Havarie – von Gülle, Klärschlamm oder flüssigen Chemikalien sowie das Betreiben von Kläranlagen untersagt.

Und was macht Tesla? Die Gigafactory, deren Betriebsstätte zu 95 Prozent in dieser Schutzzone 3 um die Brunnen des Wasserwerks Erkner liegt, beantragt, jährlich 1.400.000 Kubikmeter Trinkwasser (14 Prozent des Fördervermögens des WSE oder 55 Prozent des für gewerbliche Nutzung verfügbaren Wassers) geliefert zu bekommen sowie 921.000 Kubikmeter Abwasser pro Jahr – in dem sich 76 verschiedene Chemikalien befinden – in das von den Berliner Wasserbetrieben betriebene Klärwerk Münchehofe abzugeben.

In der Riesen-Autofabrik werden jährlich 300.000 Kubikmeter chemisch belasteten Prozesswassers in Tanks gehältert, mit unterirdischen Rohrleitungen umgeschlagen und auf zahlreichen Bühnen umgefüllt. Nach Werksangaben werden jährlich 630.000 Kubikmeter wasserbasierter Lösungsmittel und 50.000 Kubikmeter sonstiger (brennbarer) Lösungsmittel eingesetzt. Hinzu kommen Fette und Öle. Verschleppungen sind da gar nicht auszuschließen.

Detaillierte Wasserbilanzen, Pläne zu Wasserkreisläufen sowie die Entwässerungspläne für Lackiererei, Pulverbeschichtung und Kühlanlagen werden der Öffentlichkeit vorenthalten. Deren Befürchtungen sind groß, sowohl hinsichtlich des Frischwasserverbrauchs zulasten der Umwohnenden und Gewerbetreibenden als auch hinsichtlich einer möglichen Verletzung der gesetzlichen Trinkwasserschutzbestimmungen. Das Tesla-Management erwähnt in seinem vorgenannten Antrag auch nicht, wie das Regenwasser, welches auf die Dachfläche des Werks niedergeht, genutzt wird. Das sind pro Jahr durchschnittlich 350.000 Kubikmeter, womit 25 Prozent des Frischwasserbedarfs abgedeckt werden könnten. Soll diese Menge ungenutzt in den Boden fließen?
Wie wird eigentlich der Regen in der Gigafactory gespeichert?
Nach langjährigen Aufzeichnungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) ist im südöstlichen Umland von Berlin mit Starkregen von mehr als 70 Millimeter pro Tag (mm/d) zu rechnen. Das bedeutet, dass auf 892.000 Quadratmetern versiegelter Betriebsfläche an einem Tag 62.000 Kubikmeter Regen niedergehen können. Wo werden diese Mengen gespeichert, um sie im Produktionsprozess der nächsten Wochen nutzen zu können? Tesla beabsichtigt, nur 21 Prozent des bezogenen Wassers zu recyceln. Andere Automobilbauer sind schon bei 100 Prozent und bei mehrfachem Wasserumschlag angekommen.

Die Anwohner fordern das vollständiges Recyceln des dem Boden entnommenen Wassers, die kontinuierliche Überwachung des Grundwasserzustandes zwischen Freienbrink-Nord und Erkner durch unabhängige Sachverständige mittels Messstationen sowie die Untersagung der Einleitung von Tesla-Abwasser in die Müggelspree, weil dadurch der Berliner Müggelsee verschmutzt werden könnte.

Schließlich sei noch das Naturgut Luft betrachtet. Nach den Tesla-Plänen (Stand November 2021) sollen in Phase 1 des Betriebs unter anderem 500.000 Autos lackiert werden. Werden auf jedes Fahrzeug etwa sieben Liter Lack aufgebracht, beträgt der jährliche Aufwand rund 3500 Tonnen Lack. Da geht schon einiges zu Boden, wird breitgetreten oder an der Kleidung der Beschäftigten verschleppt. Gleichzeitig darf der Lackiervorgang nach Stand der Technik (EU-BVT), ab 2024 verbindlich, nur 15 Gramm Lösungsmittel (VOC) pro Quadratmeter lackierter Fläche emittieren. Das ergibt bei etwa 15 Quadratmetern Lackierfläche pro Pkw (konservativ geschätzt) rund 110 Tonnen VOC-Emission pro Jahr.

Gegenwärtig plant Tesla laut Umweltverträglichkeitsprüfungs-Bericht vom August 2021 mit der doppelten Emissionsmenge, demnach also mit mindestens 200 Tonnen VOC-Emission pro Jahr. Vögel werden das riechen und weiträumig flüchten. Und wo setzen sich diese Emissionen ab? Bei einem außerordentlichen Störfall in der Kategorie von „Nine Eleven“ würde vermutlich ein ganzer Monatsvorrat brennbarer Stoffe in die Luft gehen.

Nach den Tesla-Prospekten werden zur Fertigung eines elektrisch angetriebenen „Modells Y“ (525 PS) etwa zwei Tonnen zugelieferte Materialien, Komponenten und Betriebsstoffe, darunter 76 Chemikalien, benötigt. Das ergibt im Jahr 1.000.000 Tonnen, deren Rohstoffe nicht im Umkreis von 500 Kilometern vorkommen. Verarbeitet werden diese Stoffe im Drei-Schichten-Betrieb von 12.000 Beschäftigten, von denen keiner näher als zehn Kilometer von der Gigafactory entfernt wohnen soll. Der öffentliche Nahverkehr ist nicht Teil der Umweltverträglichkeitsprüfung.

Dazu kommen jährlich vermutlich 1000 externe Dienstleister, die von sonst woher mit Pkw und Transportern anreisen. Nebst sechs Güterzügen ist eine Flotte von 1500 Lkw und mehr als 2000 Pkw ganztägig unterwegs, deren Lärm und Staub sich über ein Areal von mindestens zwei Kilometern Durchmesser verbreiten. Vögel stört das; sie werden in diesem Umkreis nicht brüten, sondern flüchten. Menschen sollen das aushalten.

Die von den diversen Zuliefer- und Verteilerketten zu erbringenden Transportleistungen pro Jahr sind gigantisch. Sie verlagern die Umweltprobleme Teslas in die Nickelminen Indonesiens, die Lithiumminen Chiles, die Bauxitminen Guineas und – nicht zu vergessen – die Ölfelder des Persischen Golfs. Nur um Beispielsländer zu nennen. Der „ökologische Fußabdruck“ des SUV ist giga(ntisch), der Umgang mit den Naturgütern ist auf dem Stand des 20. Jahrhunderts.

Die Wassertafel Berlin-Brandenburg hat dem Berliner Senat in einem offenen Brief ein Gespräch über einen giga-adäquaten Umgang vor allem mit dem Wasser der Region angeboten. Es ist zu hoffen, dass dieses Gespräch bald zustande kommt.

Hermann Wollner, 81 Jahre alt, ist promovierter Agrarwissenschaftler und diplomierter Außenwirtschaftsökonom. Beruflich hat er für große Agraranlagen Machbarkeitsstudien verfasst und Errichtungsverträge verhandelt.
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2 Kommentare

  1. Roland Appel

    Danke für diesen einleuchtenden Beitrag. Es ist unverständlich, warum der Grüne Umweltminister Axel Vogel keine anderen Gebäudeauflagen machen konnte. Fabrigen einfach verstecken ist so ein typisches Überbleibsel von 70er Jahre Politik – Gefahren verstecken, statt offen benennen. Die wohl immer noch nicht ereteilte wasserrechtliche Genehmigung wird wie bei Garzweiler II kein geeignetes Mittel sein, die Megafabrik zu verhindern oder zu verkleinern.

    • Martin Böttger

      Hat bei Garzweiler nicht das in NRW geheiligte Bergrecht das Wasserrecht gestochen? Um Bergrecht geht es hier doch jedenfalls nicht.

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