Eine Woche nach dem Überfall des Kreml-Autokraten Putin auf die Ukraine mehren sich die Fälle, in denen der Krieg oder auch die unausweichlich bei Menschen hervorgerufenen Gefühle aufgrund der Informationen zu Reaktionen führen, die nicht durch Vernunft geprägt sind. Die Begründungen des Vorgehens gegen manche russische Künstler*innen lassen befürchten, dass die aktuelle Kriegssituation Anlass oder gar Vorwand werden könnte, sich von rechtsstaatlichen Grundsätzen zu verabschieden – mit fatalen Folgen für Liberalität und Meinungsfreiheit.
So ging gestern die Meldung durch die Medien, dass die Stadt München dem russischen Dirigenten Gergijew gekündigt hat, weil er sich nicht vom Krieg Putins distanziert habe. Auch die “TAZ” hat sich an der allgemeinen Zustimmung beteiligt und führt an, dass Gergijew schon in der Vergangenheit durch homophobe Sprüche oder die Okkupation der Krim rechtfertigende Äußerungen aufgefallen sei. Mit der gleichen Argumentation trennte sich die Bayerische Staatsoper von Anna Netrebko. Die Sängerin habe sich nicht ausreichend von Wladimir Putin distanziert. Olaf Zimmermann, Vorsitzender des Deutschen Kulturrats sieht das allerdings differenziert und warnt vor Diskriminierung russischer Künstler*innen. Im Falle Gergijews war schon bei seinem Engagement 2015 bekannt, dass er Freund und Anhänger Putins ist, und Netrebko hat sich 2014 für die Krim-Annexion ausgesprochen, aber nun erklärt, sie sei gegen Krieg. Reicht das aus, um sie zu sanktionieren?
Rechtsstaatlichkeit muss gültig bleiben
Auch wenn es politisch schwerfällt, diese Begründung ist nicht gerechtfertigt und entspricht auch nicht der gebotenen Rechtsstaatlichkeit. Ein Nicht-Verhalten einseitig zu interpretieren und zu sanktionieren, ist weder inhaltlich begründbar, noch würde es arbeitsrechtlich Bestand haben – wobei davon auszugehen ist, dass es sich bei den betreffenden Personen ohnehin nicht um abhängig beschäftigte im Sinne des Arbeitsrechts handelt. Die Kernfrage ist, ob der Staat berechtigt ist oder auch nur politisch legitimiert, politische Loyalitätserklärungen oder gar politische Werturteile einer bestimmten Richtung zu verlangen. Aus dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung leitet sich selbstverständlich auch das Recht ab, sich zu bestimmten Sachverhalten nicht äußern zu dürfen und auch das weltanschauliche und die Herkunft betreffende Diskriminierungsverbot gilt. Diese Grundrechte gelten auch im Falle einer Krise, wie sie der Russland-Ukrainekrieg darstellt. In den beiden konkreten Fällen läge die Sache anders, wenn die Künstler aktuell etwa ihre Konzerte mißbraucht hätten, um eine flammende Rede für Putins Krieg zu halten.
Erinnerung an “Deutschen Herbst”
Es hat so etwas übrigens in der Vergangenheit schon einmal gegeben. 1977 haben sich in München drei Rechtsreferendare geweigert, bei einer Schweigeminute für den ermordeten Hanns-Martin Schleyer aufzustehen. Man hat versucht, sie deswegen disziplinarisch zu belangen und sie aus dem vorläufigen Beamtenverhältnis zu entfernen. Und es wurde ein Ermittlungsverfahren wegen angeblicher Billigung von Straftaten eingeleitet. Beides verlief im Sande und zwar zurecht, denn sie hatten zwar unterlassen, öffentlich Trauer zu bekunden aber damit die Grenzen der freien Meinungsäußerung nicht verlassen. Das gilt in übertragenen Sinne auch für Künstler*innen aus Russland, die nicht gezwungen werden dürfen, sich ständig hinsichtlich ihrer Gesinnung gegenüber Putin einer öffentlichen Prüfung zu unterziehen.
Loyalitätszwang ein Kennzeichen von Diktaturen
Aber es gibt noch einen anderen, politischen Grund: Anfang der Woche haben sich über 380 Wissenschaftler*innen, darunter viele Mitglieder der russischen Akademie der Wissenschaften, in einem Aufruf gegen den Krieg ausgesprochen. Wladimir Putin versucht gerade, Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, Unternehmer*innen zu einem positiven öffentlichen Bekenntnis zu seinem Krieg zu zwingen. Es wird sicher viele darunter geben, die nicht so populär sind, wie Anna Netrebko, die sich wahrscheinlich mit guten Gründen vor einem Auftrittsverbot fürchten und familiäre Gründe haben, in Russland zu bleiben. Putin versucht gerade auf schändliche Weise, seine Umgebung zur Unterwerfung zu zwingen. Das öffentliche Vorführen seines Geheimdienstchefs am vorletzten Sonntag, den er zur Loyalitätserklärung zwang und dies anschließend senden ließ, war keine Kommunikationspanne, sondern eine massive Drohung an alle, die ihm widersprechen könnten. Und es ist ein Kernbestandteil der Politik von Diktatoren, nicht nur Zensur auszuüben, indem sie Medien verbieten, sondern darüber hinaus positive Loyalitäts- und Unterwerfungserklärungen fordern und erpressen. Davon müssen sich Demokratien klar unterscheiden.
Augenmaß gegenüber russischen Menschen bewahren
Was angesichts des Krieges ebenfalls tabu sein muss, ist die voreingenommene Identifikation von Russ*inn*en, egal ob sie dort oder hier leben oder hierher kommen mit dem Despoten Wladimir Putin. Auf den großen Friedensdemonstrationen vom vergangenen Wochenende waren häufig Transparente zu sehen, auf denen sich Russ*inn*en für das schämten, was Diktator Putin in der Ukraine veranstaltet oder den Krieg verurteilten. In Deutschland lebt eine große Gruppe von Einwanderer*inne*n und Spätaussiedler*inne*n, die nicht nur den deutschen Pass haben, sondern mit Russland immer noch eng kulturell verbunden sind – sogar manchmal durch Medien wie RT oder Staatsmedien und andere falsch oder einseitig informiert. Und es gibt neben denen, die als Flüchtlinge noch kommen werden, viele Ukrainer*innen, die längst hier integriert sind. Wir haben deshalb die einmalige Chance zu zeigen, dass Putin Unrecht hat, dass Russen und Ukrainer wirklich Brudernationen oder -völker sind, und dies gemeinsam mit den hier eingewanderten oder hierher geflohenen zu demonstrieren.
Zivilgesellschaftliche Friedensaufgabe
Ganz entgegen der allgemein ausbrechenden Aufrüstungs- und Kriegsrhetorik kommt eine ganz neue Aufgabe auf die Kommunen, die Zivilgesellschaft, Verbände und Organisationen zu. Bei den Schwurblern und “Querdenkern” ist Wladimir Putin mit seinen Lügen bereits erfolgreich gewesen, zeigte gestern “Monitor”. Damit die zerstörerische Propaganda des offiziellen Russland keine Chance hat und auch Spaltungstendenzen gestoppt werden, wird es eine wichtige Aufgabe werden, ihre Wirkung hier und in Richtung auf Russland einzudämmen, Zensur und Desinformation im Privaten zu durchbrechen.
Ein Hauch von liberaler Vernunft – ein Übrigbleibsel – ist ja noch zu erkennen.
“Und es ist ein Kernbestandteil der Politik von Diktatoren, nicht nur Zensur auszuüben, indem sie Medien verbieten, …” Aber das Verbot von RT DE ist etwas ganz anderes? Auch der telegram-Kanal von RT ist seit heute blockiert, weil die EU das so beschlossen hat ???? Die kann offenbar mein Grundrecht auf Informationsfreiheit (Art. 5 GG) einfach aufheben. Nicht einmal Notstandsgesetze sind dafür noch nötig! Ich hatte das Privileg, viele Jahre in einer liberalen Demokratie zu leben und kann deshalb beurteilen, was das ist. Das was wir in D erleben ist keine liberale sondern eine Art Orban-Demokratie.
“Bei den Schwurblern und “Querdenkern” ist Wladimir Putin mit seinen Lügen bereits erfolgreich gewesen … ” Die im Milieu übliche kleine Hasstirade, eben Orban-like und das Gegenteil von liberal..
übrigens Baerbock: “Das wird Russland ruinieren.” verkündet sie öffentlich und mit kaum verhohlener Befriedigung. Dazu: 1 Mrd.Fonds für die Aufrüstung zusätzlich zu den mehr als 2 % BIP p.a. .
Wenn ich an die “Grünen” denke, fällt mit nur Liebermann ein …
Jürgen Kunze
Ich denke, niemand hier glaubt, dass die Abschaltung von RT ein demokratischer Akt wäre. Manche Maßnahmen fallen auf diejenigen zurück, die sie für notwendig halten. Baerbocks Ausfall ist nicht akzeptabel. Aber Schwurbler bleiben Schwurbler.
p.s. Ich lebte gerade noch in der alten liberalen Welt; da war ein 100 Mrd. Fonds für Aufrüstung schlicht nicht vorstellbar. deshalb hat meine Autokorrektur daraus einfach 1 Mrd. gemacht.
aber: Es sind wirklich 100 Mrd Euro (Die arme Petra Kelly)
Jürgen Kunze
Kelly bekommt das nicht mehr abgezogen – wir arme alle!
Zensurmaßnahmen sind Teil jeden Krieges. Darin untersscheiden sich Moskau und Berlin nur marginal. Diese moralisch völlig kaputte Regierung aus SPD und Grünen zeigt wie wenig verfestigt demokratisches Verhalten bei den Akteuren ist. Es wäre ja auch störend, wenn man als Deutscher ungehindert neben der Stoltenberg-Rheinmetall-Baerbock- Propaganda auch die von Putin hören und lesen könnte.
!00 Mrd für Aufrüstung, Hartz 4 bleibt unter Armutsniveau.
wer weiter de.rt.com lesen will sollte in firefox in die adresszeile about:config eingeben. Dann der Einfachheit halber in suchen : network.trr.mode eingeben und dann die Zahl o auf 2 erhöhen. Speichern und dann Neustart von Firefox.
Ich denke hier in diesem Blog wissen alle wie gefährlich Propaganda ist
Wers braucht … Ich nicht. Propagandaüberproduktion gibts im Krieg immer, bei allen.
RTdeutsch, wo ich in den vergangenen Tagen immer mal wieder reingeschaut habe, um mir offizöse russische Meldungen zum Konflikt ungefiltert anschauen zu können (wobei ca. 3/4 der Meldungen aus neutralen oder Ukraine-nahen Quellen stammt), ist jetzt u.a. über https://rtde.site zu erreichen und die staatliche Nachrichtenagentur Tass über tass.com