Gegen den Begriff “Nachhaltig(keit)” hatte ich schon immer eine Aversion. Er wuchs aus der Grünen-Ecke heran und macht sich wie ein Pilz im Mainstream breit. Spätestens als Neoliberale ihn für ihr Verständnis von Haushaltspolitik – “schwarze Null” – kaperten, war er verbrannt. Das FAZ-Finanzressort fegte jetzt die Asche noch mal zusammen: nicht nur, wie bei der EU Gas und Atomkraft sind nachhaltig, sondern ab jetzt auch Rüstungsaktien (in der FAZ-Paywall).

Milliardär*inn*e*n sind Kriminelle, egal ob sie russisch, ukrainisch, US-amerikanisch oder deutsch (oder sonstwas) sind. Eine Milliarde Euro oder Dollar kann nicht in der Lebenserwartung eines Menschen ehrlich verdient sein. Was bedeutet es also, wenn alle, die hierzulande noch was werden wollen, jetzt die Nähe einer bestimmten Sorte Oligarchen ganz plötzlich fliehen? Was haben sie jetzt erkannt, was sie nicht vorher wussten? Dass Gerhard Schröder – im Sinne Jürgen Beckers “aber ene Aaschloch ese doch!” – Gerhard Schröder ist, wer weiss das nicht seit ca. 50 Jahren? Jetzt soll er noch mal für alle zur Belustigung “verbrannt” werden? Wie billig ist das denn?

Kennen Sie TUI? Mit denen bin ich auch schon in Urlaub gefahren (TUI-Ferienexpress, gibts leider nicht mehr, von Beuel nach Brindisi). TUI lässt jede Menge Kreuzfahrtschiffe rumfahren (“Mein Schiff“), fast jede Schiffstaufe von den sauberen Dingern wurde in Hamburg zum “Hafengeburtstag” erklärt, und im öffentlich-rechtlichen NDR im Hauptabendprogramm live übertragen.

FAZ-Wirtschaftsteil lesen macht meistens schlauer als das geschwätzige Feuilleton. TUI hat am deutschen Tourismus einen Marktanteil von 18% (= Marktanteil). Ein Drittel von TUI gehört(e) einem einzelnen russischen Oligarchen. Einfache Kopfrechnung: 6% des deutschen Marktes gehören Alexej Mordaschow. Der versucht seinen dem russischen Volk geraubten und in Hannover bei Gerhard Schröder um die Ecke gewaschenen Besitz nun sanktionssicher auf den (britischen!) Jungferninseln in Sicherheit zu bringen. Tja, doof ist der nicht.

Abramowitsch

Seit Wochen schon macht sich der FC Chelsea in London inklusive seines deutschen Wundertrainers Thomas Tuchel zum lächerlichen Hampelmann in der Öffentlichkeit. Abramowitsch ist ein ganz besonderer Oligarch. Vom einst russischen ist er zum “russisch-israelischen” Oligarchen geworden. Das ist besonders schlau.
Anders als sein Ex-Partner Beresowski hat er gegenüber den amtierenden russischen Administrationen nie den vom Westen adoptierten “Oppositionellen” gegeben. Zwar liess er sich häufig fotografieren – in der VIP-Loge seines Fussballvereins, und auch Bilder seiner Luxusyacht (“die Längste”?) waren nun mal unvermeidlich. Aber er hält die Klappe. Das machte ihn für Putin direkt sympathisch und brauchbar. Denn ernsthaft relevante Geschäfte benötigen drei Dinge: Diskretion, Diskretion und Diskretion. Um das zu sichern, muss den Medien irgendein glaubhafter Unsinn vorgeführt werden.

Abramowitsch wurde von der Putin-Administration sogar genötigt, als Treueschwur Provinzgouverneur zu werden, eine öffentliche Demütigung für einen Milliardär. So ein Job kostet Nerven und einen Milliardär in der Regel mehr, als er damit verdienen kann. Politik ist ja mit das Billigste, was auf dem Markt des Reichwerdens zu haben ist.

Um sich vor Nachstellungen sowohl Putins als auch seiner westlichen Gegenspieler*innen und Hampelmänner und -frauen buchstäblich in Sicherheit zu bringen, ist Abramowitsch – neben anderen – vorsichtshalber israelischer Staatsbürger geworden.

Wenn er nun mit dahinter steckt, dass der israelische Regierungschef Bennett eine Vermittlungsmission gestartet hat, dann ist der definitiv kompetent beraten worden.
Wenn der kleine Gerhard “Acker” Schröder in gleichem Sinne wirkt, ohne dafür von aufrüstungslüsternen deutschen Medien und Parteien belobigt zu werden, dann hat er zumindest meinen Segen. Ich habe allerdings keinen guten Draht nach oben.

Benko

In der FAZ-Paywall werden mehrere österreichische Politiker*innen durchgenommen, die sich von der Putin-Administration haben schmieren lassen. Zu meiner Überraschung findet der österreichische Staatsbürger René Benko dort keine Erwähnung. Der ist ja auch kein Politiker, sondern Oligarch. Und kein russischer. Herr Benko macht es wie Abramowitsch: keine*n zur Feindin (Männer mitgemeint) machen, mit allen Parteien spielen, und z.B. für “Galeria” dreistellige Millionenbeträge Subventionen bei Christian Lindner, bzw. dessen Vorgänger Olaf Scholz abholen. Dieser Freundschaft wird an der Hamburger Hafenkante ein Denkmal namens “Elbtower” gesetzt. Wessen Kapital der Herr Benko in Österreich einsammelt und dann in der deutsch-österreichischen Immobilienwirtschaft “investiert”, das will vorsichtshalber niemand so genau rausfinden.

So geht Macht.

Krieg der Zeitungsmilliardär*inn*e*n

Deutschlands Verleger*innen ziehen in den Krieg. Gemeint ist in diesem Falle nicht der in der Ukraine. Sie machen einen eigenen Bürgerkrieg, der mich persönlich sehr stark an den Geschlechterkrieg erinnert. Julia Becker (Funke Mediengruppe) ist Matthias Döpfner, den “Längsten”, endgültig leid. Ich bin nicht mit der Dame befreundet. Aber ich habe Verständnis.

Oligarch*inn*en unter sich – in diesem Fall trifft es keine Falschen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net