Beueler-Extradienst

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Lieber Gerhard Schröder…

Falls Sie sich im Laufe dieses Artikels über meinen beleidigenden Ton wundern, muss ich dazu etwas erklären: er ist beabsichtigt. Jungsozialisten und Jungdemokraten hatten nie ein besonders zimperliches Verhältnis zueinander. Beide kamen aus der Jugendbewegung nach 1900  und standen sich schon in Weimar als Jugend von SPD und DDP nahe. Das setzte sich nach 1947 fort und führte 1969 dank Anstrengungen der Jungdemokraten zur sozialliberalen Koalition unserer Mutterparteien SPD und FDP. Ich kenne Gerhard Schröder seit 1979, wir trafen uns erstmals auf einer Podiumsdiskussion des Kölner DGB gegen Berufsverbote. Ich war damals stellvertretender Bundesvorsitzender der Jungdemokraten, er Bundesvorsitzender der Jusos und während der sozialliberalen Koalition waren Jusos und Judos politische Bündnispartner. Nur waren wir in der Regel intelligenter.

Lieber Gerd, schon bei unserem ersten Treffen bist Du mir mit einer besonders eigenwilligen Interpretation der Wirklichkeit aufgefallen. Du meintest nämlich, eine angebliche “Bürgerrechtsbewegung” gegen die damals verbreiteten Berufsverbote gründen zu können und dabei die zu 80%  von diesen Berufsverboten betroffenen DKP-Mitglieder von der Mitwirkung ausschließen zu können. Ein Ansinnen, dass sowohl dem DGB-Vorsitzenden Konrad Gilges, Deinem Genossen, und den Kölner Jusos die Schamesröte ins Gesicht trieb. Du galtest damals als “Antirevi”-Juso (“Antirevisionisten” hielten sich für wahrere Marxisten als die Stamokaps, zu denen sich damals Olaf Scholz zählte). Ich dachte nur “was für ein arroganter Arsch”, und drei Mitglieder der JuSo-Hochschulgruppe baten mich nach der Veranstaltung um einen Mitgliedsantrag der Jungdemokraten. Sie sind alle eingetreten.

Nach der Jugendverbandszeit trafen uns wieder beim 65. Geburtstag von Johannes Rau in Wuppertal. Ich war inzwischen Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag NRW, und Du wolltest Kanzler von Rot-Grün werden, hast die Grünen aber zutiefst verachtet.  Eine Stimme Mehrheit in Niedersachsen machte Dir schon Allmachtsphantasien. Folglich hast Du an diesem Abend versucht, Deinen ehemaligen grünen Bundesratsminister Jürgen Trittin bei mir madig zu machen, wusstest nicht, dass wir befreundet sind, und ahntest nicht, dass Du zwei Jahre später auf uns angewiesen sein würdest.

Wir Grüne NRW haben uns damals solidarischer verhalten, Kröten geschluckt, um Rot-Grün im Bund möglich zu machen. Das hat Dich nicht davon abgehalten, die absurde Nummer mit “Koch und Kellner” in die Welt zu setzen und Joschka Fischer war blöde genug, darauf einzugehen.  Weil er eine genauso autoritär strukturierte Persönlichkeit ist, wie Du.  Er hat mir mal erzählen wollen, bei Rot-Grünen Koalitionen müssten die Sozis immer zwei, die Grünen einen Punkt oder Posten bekommen.  Für uns Jungdemokraten, die sich mit Otto Graf Lambsdorff oder Hans-Dietrich Genscher auf Augenhöhe angelegt haben, war das immer lächerlich. Das ist der Unterschied zwischen autoritärer Persönlichkeit und emanzipatorischer Politik.

Man könnte es auch anders erklären: Du kommst aus kleinbürgerlichen Verhältnissen und der gesellschaftliche Aufstieg ist Dir zu Kopf gestiegen. Und ich komme aus gutbürgerlich-liberalen  Verhältnissen und habe gelernt, vor niemand zu kuschen. Schon gar nicht vor Machos, die keine Beziehungen auf Augenhöhe unterhalten können. Ach, lieber Gerhard, was ist nur aus Dir geworden? Schon damals, als Du nach der NRW-Wahl die Fott zusammengekniffen und in Panik Neuwahlen herbeigeführt hast. Statt in Ruhe abzuwarten, wie sich die Lage entwickelt, hast Du die Nerven verloren. Genauso wie am Wahlabend 2005 mit Merkel. Danach hast Du die erste Chance ergriffen, Berater und Lobbyist zu werden  – trotz üppiger materieller Absicherung und der Chance, zum geschätzten “Elder Statesman” wie Helmut Schmidt zu mutieren. Ohne zu reflektieren, mit wem Du Dich einlässt.

Ich war schon Berater, aus materieller Notwendigkeit, nachdem ich als linker Liberaler mit 46 den Machtkampf mit den opportunistischen “Realos” in NRW verloren habe. Aber ich habe auch in meiner Selbständigkeit immer moralische und politische Prinzipien und Mindeststandards eingehalten. Daimler ja, Bürgerrechtsabbau, nein. Ich gebe zu, dass ich zunächst Dein Engagement im Sinne der Brandt-Scheelschen Entspannungspolitik, die es ohne uns Jungdemokraten und unseren Kampf um die FDP von 1967-1972 nie gegeben hätte, geschätzt habe und richtig fand. Ich habe wie viele andere Putins Rede 2001 ernst genommen und ich habe später immer noch geglaubt, dass Du im Sinne “unserer” Entspannungspolitik wirken kannst. Und Leute wie etwa unser gemeinsamer Weggefährte Günter Verheugen haben mich darin bestärkt, der sah das lange genau so. Ich habe auch nicht in den Kanon meiner Parteifreund*innen eingestimmt, die Northstream 2 als das Böse an sich stilisierten.

Lieber Gerd, ich muss dich heute fragen:  Welchen Schuss hast Du eigentlich noch immer nicht gehört? Welche Neutronenbombe muss noch neben Deiner weichen Birne explodieren? Wladimir Putin hat einen schmutzigen Angriffskrieg begonnen, um unter Bruch der KSZE-Schlussakte die Ukraine überfallen. In kürzester Zeit wird ein Großangriff auf Kiew mit thermobarischen Raketen erfolgen, die der Atmosphäre schlagartig Sauerstoff und Luft entziehen, sodass die Lungen aller Lebewesen im Umkreis der Bombe platzen. Dein Männerfreund Putin verfügt als einziger über diese Technik der Massenvernichtung und zögert nicht, sie einzusetzen. Sie  sind ein Verstoß  gegen das Kriegsvölkerrecht und durch nichts zu entschuldigen.

Was, lieber Gerd, hält Dich trotzdem noch in den Aufsichtsräten von Rosneft und Co? Ich glaube ja nicht, dass Du aufopfernd beschlossen hast, übermorgen Deinen persönlichen Zugang zu Putin zu nutzen, um Dich mit einem Sprengstoffgürtel versehen in der Tradition der niedersächsischen Taliban (Christian Wulff) unter dem Vorwand, ihm eine neue scharfe Rothaarige vorzustellen zu ihm zu schleichen, um Euch in trauter Umarmung ins Jenseits zu zünden. Der lange Tisch soll ihn davor schützen.

Was dann, lieber Gerd, zum Teufel hält Dich immer noch in diesen Aufsichtsräten? Was meinst Du “an Schlimmeren verhindern” zu können? Dann versuch es jetzt sofort. Oder drücken die persönlichen Schulden so, dass Du keine Alternativen hast? Es gibt Schuldnerberatungen bei der AWO, die wirklich helfen! Hast Du eine ganz besonders teure Sorte Champagner der speziellen, für russische Kunden gekelterten Sorten bisher noch nicht probiert? Was also hält Dich noch in Deinen Ämtern?  Warum kannst Du die SPD und ihre Ortsverbände, und auch Olaf nicht endlich von Deiner politischen Last befreien?  Wievieler Opfer in der Ukraine bedarf es, bevor Du Deine Verbindung mit einem Massenmörder endlich löst? Gerhard, Du Arsch, was kapierst Du eigentlich nicht?

Mit solidarischen Grüßen, wie wir damals sagten

Roland

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

5 Kommentare

  1. Helmut Lorscheid

    Lieber Roland, hast Du Deinen Kommentar denn auch an Gerhard Schröder geschickt? Ich weiß nicht, ob er sonst den “Beueler Extradienst” liest. Auf seiner Seite fand ich noch den folgenden Hinweis – also für die, die eines wollen – hier wird beschrieben, wie man an Autogramme von ihm kommt….

    Kontakt
    Bitte beachten Sie folgenden Hinweis:
    Autogrammwünsche können nur bei Zusendung eines frankierten Rückumschlages an diese Adresse erfüllt werden:
    Büro Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder
    c/o Deutscher Bundestag
    Platz der Republik 1
    11011 Berlin

    • Roland Appel

      Aber natürlich, lieber Helmut, denn ich freue mich schon auf DIE Beleidigungsklage. Allerdings findet man auf seiner unwürdigen Majestät’ Homepage bei richtigem Suchen eine email-Adresse info@gerhard-schoeder.de , an die ich den offenen Brief geschickt habe, mit der Bitte, sie an den Freund des Herrschers der Gasdevisen weiterzuleiten. Er bekommt ihn auch noch per Post. Eingeschrieben.

  2. Martin Böttger

    Konrad Gilges war und ist ein Grösserer als ich damals glaubte.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Konrad_Gilges
    Er hatte als Falken-Bundesvorsitzender einen gewissen Lerryn rausgeschmissen, der sich mir später als Dieter Dehm entpuppte, vom allenfalls “mittelguten” Liedermacher zum kommerziell extrem erfolgreichen Manager von Künstler*inne*n, zum MdB von PDS/Die Linke und Hassfigur zahlreicher Andersmeinender. Damals hielt ich Gilges für einen rechten Sozi, so wie Du und ich und Wolfgang Kubicki 1977 Michael Kleff aus dem Jungdemokraten-Bundesvorstand stürzten. Michael und auch “Conny” Gilges haben sich aber nicht, wie die meisten unserer Altersgenossen (inkl. Gerhard Schröder), von links nach rechts entwickelt, sondern blieben schlicht stabil. Beeindruckend. Stark. Und heute leider so eine Art friedenspolitischer “linker Rand”. Vorbilder.
    Gilges’ Wahlkreis in Köln – immer direkt gewählt – hat Rolf Mützenich “geerbt”.

  3. Peter Clever

    Ich teile die Kritik an Schröder, aber die Selbstbeweihräucherung vom Dir selbst, Roland, ist abstoßend. Pass auf, dass Du kein Jakobiner wirst….

    • Roland Appel

      Vorsicht, Satire, lieber Peter!

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