mit Update nachmittags
192 Staaten gegen Putin – Mit deutlicher Mehrheit verurteilt die UN-Generalversammlung den russischen Angriffskrieg. Nur vier Staaten stimmen mit Russland.
Russlands Präsident Wladimir Putin hat sich und sein Land mit dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine international so weitgehend isoliert wie nie zuvor eines der fünf ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates. In einer am Mittwochabend auf einer Dringlichkeitssitzung der UNO-Generalversammlung verabschiedeten Resolution forderte eine knappe Dreiviertel-Mehrheit von 192 der 193 UNO-Mitgliedstaaten von Russland einen „sofortigen Waffenstillstand“ sowie den „sofortigen, bedingungslosen und vollständigen Rückzug“ seiner Streitkräfte aus der Ukraine.

Neben Russland stimmten lediglich Belarus, Nordkorea, Syrien und Eritrea gegen die Resolution. 35 Staaten enthielten sich, darunter neben China, Indien und Iran auch Länder wie Kuba, Venezuela oder Nicaragua, die bei vergangenen Abstimmungen meist die Position Russlands unterstützt hatten.

In der Resolution heißt es, „die militärischen Angriffe der russischen Streitkräfte“ hätten „ein Ausmaß erreicht, das die internationale Gemeinschaft seit Jahrzehnten in Europa nicht mehr erlebt“ habe.

Mit der Resolution „bekennt sich die internationale Gemeinschaft zur Souveränität, Unabhängigkeit, Einheit und territorialen Integrität der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen“. Die Regierung Putin wird aufgefordert, ihre am 21. Februar verkündete „Anerkennung“ der beiden ostukrainischen Teilrepubliken Donezk und Luhansk wieder rückgängig zu machen. Zudem wird in der Resolution der Befehl des russischen Präsidenten verurteilt, die Abschreckungswaffen der Atommacht in besondere Alarmbereitschaft zu versetzen.
Russlands Botschafter gibt sich unbeeindruckt
Die Mehrheit fiel auch deshalb so deutlich aus, weil der Angriffsbefehl von Putin gegen die Ukraine noch während der Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrates zur Verhinderung dieses Krieges am Abend des 23. Februar (New Yorker Zeit) erfolgte – eine negative Premiere in der Geschichte der UNO. Dieses Verhalten der Regierung Putin wurde von sehr vielen Mitgliedsstaaten als böser Affront gegen die Weltorganisation wahrgenommen.

In der zweitägigen Debatte, die der Abstimmung in der Generalversammlung vorausging, hatten sich BotschafterInnen von über 120 Staaten zu Wort gemeldet. Russlands UNO-Botschafter Wassili Nebensja hatte die anderen UNO-Staaten in der Debatte zur Ablehnung der Resolution aufgerufen mit der Begründung, sie könne „zu weiterer Eskalation beitragen“.

Nach seiner Abstimmungsniederlage gab sich der Botschafter unbeeindruckt. Die Entscheidung der UNO-Generalversammlung werde es der russischen Regierung „nicht erlauben, militärische Aktivitäten zu beenden“. Vielmehr könne die Resolution „radikale Kräfte“ und „Nationalisten“ in Kiew ermutigen, behauptete Nebensja.
Update nachmittags:
Mit ihrer Resolution verurteilte die Generalversammlung erst zum dritten Mal in der 77-jährigen Geschichte der UNO eines der fünf ständigen und vetoberechtigten Mitgliedsstaaten des Sicherheitsrats (neben Rußland bzw. der früheren Sowjetunion sind das die USA, China, Frankreich und Großbritannien). Auch die beiden ersten Male traf es die Regierung in Moskau. Mit noch deutlicher geringerer Mehrheit als am Mittwoch hatte die Generalversammlung Ende März 2014 die Annexion der Krim durch Russland und im Januar 1980 die Weihnachten 1979 erfolgte Invasion der damaligen Sowjetunion in Afghanistana als völkerrechtswidrig verurteilt. Die Initative Südafrikas für eine Resolution der Generalversammlung zur Verurteilung des völkerrechtswidrigen Krieges der USA und Großbritanniens gegen Irak im Jahr 2003 erstickte die Administration von US-Präsident George Bush mit massiven Drohungen gegen die Regierung in Pretoria.
Die in ihrer Größenordnung bislang beispiellose Abstimmungsniederlage dürfte das Ansehen Russlands sowie seine Einfluss- und Handlungsmöglichkeiten in der UNO deutlich schwächen. Mit Aufmerksamkeit wurde in New York auch registriert, dass mit Brasilien, Indien, China und Südafrika alle mit Russland in der Gruppe der BRICS verbündeten Staaten entweder für die Resolution stimmten oder sich enthielten.
Laut UNO-Charta liegt beim Sicherheitsrat die „Hauptverantwortung“, bei einer „Bedrohung“ oder gar dem „Bruch des Friedens und der internationalen Sicherheit“ diese “zu wahren” oder “wiederherzustellen”. Doch als der Sicherheitsrat während des Koreakrieges im Jahre 1950 diese Zuständigkeit nicht wahrnehmen konnte, weil er durch eine Vetodrohung der Sowjetunion handlungsunfähig war, zog die Generalversammlung diese Verantwortung mit ihrer Resolution 377 (Uniting for Peace) vom November 1950 an sich. Dies geschah seitdem in zehn weiteren Fällen.
In der taz-Veröffentlichung war der Text von Andreas Zumach gekürzt. Er ist jetzt angefügt.

Über Andreas Zumach:

Andreas Zumach ist freier Journalist, Buchautor, Vortragsreferent und Moderator, Berlin. Von 1988- 2020 UNO- Korrespondent in Genf, für "die tageszeitung" (taz) in Berlin sowie für weitere Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehanstalten. Seine Beiträge sind in der Regel Übernahmen von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.