Seit ich vor einer Woche an dieser Stelle die Frage gestellt habe, wieviel Menschenleben es noch kosten darf, bis Selenskyj aufgefordert wird, die weiße Fahne zu hissen, ist die Zerstörung und das Töten ungebremst weiter gegangen. Während ich diese Zeilen schreibe, geht die russische Artillerie in Stellung, um Kiew in Schutt und Asche zu legen. Das ist die Logik dieses Krieges.

Eine der beiden Kriegsparteien ist Atommacht. Das macht eine weitere Eskalation so brandgefährlich. Deshalb ist ein militärisches Eingreifen der NATO z. B. in Form einer Flugverbotszone über der Ukraine völlig ausgeschlossen. Gleiches gilt für eine Aufnahme der Ukraine in die EU im Hauruckverfahren, was Macron bei den Gesprächen in Versailles zu Recht kategorisch ausgeschlossen hat.

Die weiße Fahne hissen ist ein Schutzzeichen! Es bedeutet nicht bedingungslose Kapitulation. Die weiße Fahne ist die Parlamentärsflagge. Parlamentäre verhandeln über einen Waffenstillstand und irgendwann vielleicht auch über einen Frieden. Und genau das ist es, was die Ukraine und Europa jetzt brauchen.

Der Schlüssel dazu liegt leider weder in Kiew noch in Brüssel, sondern in Washington, weil nur Washington in der Lage ist, ein glaubwürdiges Gleichgewicht des Schreckens wieder herzustellen. Nur ein solches stabiles Gleichgewicht kann die Grundlage für eine neue dauerhafte europäische Sicherheits- und Friedensarchitektur sein.

Die Ironie der Geschichte ist, dass möglicherweise ein Donald Trump von Putin als Verhandlungspartner eher akzeptiert würde, als ein sichtbar schwächelnder Joe Biden.

Der Londoner Historiker Adame Tooze kommt in einem in jeder Hinsicht lesenswerten Interview in der SZ vom heutigen Tag (Paywall) zu dem Ergebnis, dass wir irgendeinen dreckigen Deal brauchen, der es Putin erlaubt zu sagen, er habe den Konflikt gewonnen. Gleichzeitig darf für die Ukraine nicht alles umsonst gewesen sein.

Nachdem offensichtlich ist, dass ein weiteres Anziehen der Sanktionsschraube von Putin gleichgesetzt wird mit einer militärischen Aggression, wird es auch für die Staaten der EU immer ungemütlicher. Das Einfrieren der ausländischen Konten der russischen Zentralbank ist äußerst wirksam und deshalb auch äußerst gefährlich. Währungsreserven als Kriegswaffe sind eine neue Dimension. Deshalb müssen auf der anderen Seite des Verhandlungstisches die USA sitzen. Nicht nur wegen des offensichtlichen Geltungsbedürfnisses von Putin, der es bis heute den USA nicht verziehen hat, dass Obama Russland als Regionalmacht abqualifizierte. Seit Putin die Ukraine überfallen hat, sitzt er nicht mehr am Katzentisch der Weltpolitik.

Es ist ein schmutziges Geschäft. Geld gegen Menschenleben. Aber es entspricht dem Machtkalkül Putins, der nicht erst seit dem Überfall auf die Ukraine unter Beweis gestellt hat, dass Gewalt für ihn jederzeit ein legitimes Mittel ist, wenn es darum geht seine Machtstellung zu behaupten und auszubauen. Als geschulter ehemaliger KGB-Agent ist für ihn das Töten Teil seines Berufs, nicht weil er blutrünstig ist, sondern weil er gelernt hat, alles zu vernichten, was sich ihm und seinem Machtanspruch in den Weg stellt.

Ein Deal wäre kein Zeichen von Schwäche und auch keine Appeasement-Politik. Im Gegenteil. Alle Forderungen der Konfliktparteien gehören mit einem klaren Verhandlungsfahrplan auf den Tisch. Verhandeln kann man nur, wenn die Waffen ruhen. Zu glauben, Putin würde sich zum Auftakt dafür mit Selenskyj an einen Tisch setzen, dürfte einigermaßen naiv sein. Putin hat hoch gepokert. Er will als Schwergewicht wahrgenommen werden und braucht als Gegenüber ebenfalls ein Schwergewicht. Und das wird Selenskyj nicht sein, auch wenn der Westen ihm noch so viele Waffen aus alten Beständen der NVA der DDR liefert.

Über Dr. Hanspeter Knirsch (Gastautor):

Der Autor ist Rechtsanwalt in Emsdetten und ehemaliger Bundesvorsitzender der Deutschen Jungdemokraten. Er gehörte in seiner Funktion als Vorsitzender der Jungdemokraten dem Bundesvorstand der F.D.P. an und war gewähltes Mitglied des Landesvorstands der F.D.P. in NRW bis zu seinem Austritt anlässlich des Koalitionswechsels 1982. Mehr zum Autor lesen sie hier.

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