Nikita Michalkow (1994) – Im Versuch, mich einem Verständnis der letzten 30 Jahren in Russland zumindest ein bisschen anzunähern, habe ich mir Michalkows „Die Sonne, die uns täuscht“ angesehen. Der Film wurde mit Preisen überhäuft, u.a. mit einem Auslandsoskar.
Er zeigt (zunächst) ein Tschechowsches Datschen-Sommeridyll, allerdings versetzt in die Zeit des stalinistischen Terrors 1936. Oberst Kotow, ein strahlender Revolutionsheld, mit leuchtenden Augen und Stalin-Schnauzer, hat sich mit seiner jungen Frau und kleinem Töchterchen aufs Land zurückgezogen und genießt dort Familienfreuden und Ruhm und Ansehen unter der Bevölkerung. Zunächst ist alles wie eine stalinsche Kitsch-Komödie inszeniert, und man weiss nicht recht, ob man weiter gucken soll. Dann taucht ein lange verschollener Intellektueller auf, ein ehemaliger Geliebter von Kotows Frau, der in Paris lebte und sich zunächst in das postrevolutionäre Sommeridyll einpasst. Bis langsam klar wird, dass er der Geheimdienstspitzel ist, der Kotow ins Verderben führen wird. Die Stärke des Films ist genau diese Konfrontation von Idylleninszenierung und Terror – die unglaublich heile Welt des Revolutionshelden und die unglaublich kaputte Welt derer, die ihn abholen und vernichten.
Die 1990er Jahre, in denen der Film entstand, waren in Russland Aufbruch und Zerstörung zugleich. Die Welt der neuen Freiheit und die Zerstörung der Lebenswelt des „Sowjetmenschen“ gingen Hand in Hand – wirtschaftlicher Niedergang plus Aufstieg einer korrupten Oligarchenkaste, die sich das Land unter den Nagel riss. Tragisch – und wichtig zum Verständnis für alles, was folgte – war der Umstand, dass es unter der Überschrift „Demokratie“ wahrgenommen wurde. Die 1990er Jahre waren in den Augen vieler Menschen in Russland „Demokratie“ und wurden zur Brutstätte für Putins Autokratismus – frei nach dem Motto: lieber eine „gute Diktatur“ oder auch „gelenkte Demokratie“, wie Putin ja seine Herrschaftsform bezeichnete, als das Chaos und die Unsicherheit der 1990er Jahre. Das war/ist die Perspektive, unter der viele Menschen in Russland immer noch auf ihre Regierung schauen und wohl auch deshalb Putin letztlich unterstützen.
Der wurde dann aber zunehmend vom autokratisch-lenkend-lupenreinen „Demokraten“ zum echten Despoten und KGB-Klepto-Oligarchen unserer Tage – nun auch mit ersichtlich neo-imperialer Selbst-Sinngebung seiner Politik. Aktuell lässt er ja Schlagersänger in Stadien Liederzeilen singen wie: „Wir sind das Land Lenins und Stalins“, um die Annexion der Krim zu feiern und die “ruhmreichen“ Opfer der russischen Armee im Kampf gegen „den Faschismus“ in der Ukraine zu verherrlichen. Oberst Kotows heile Kitschwelt wird gerade ein weiteres Mal von einer ziemlich trügerischen Sonne eingeholt.
Für den Michalkow von heute stellt sich das aber wohl ziemlich anders da. Er ist inzwischen zu einem wahren Putin-Apologeten geworden. Aus dem Stalin-Komödien-Kitsch, den er in seinem Film von 1994 durch den Terror dann ja sozusagen immanent dekonstruierte, scheint er nun jede Menge russisches Blut- und Boden-Denken entnehmen zu wollen. Putin ist für ihn deshalb nicht etwa der erneute Zerstörer, sondern der, der die erträumt „heile Welt“ wieder herstellen soll, die in der „Täuschenden Sonne“ so eindrucksvoll zu Bruch ging. Das Grundproblem läge dann darin, dass der Heile-Welt-Glauben selbst für Michalkow das Bestimmende ist. In der Folge sucht er sich dann in Putin lieber eine neue „Sonne“ als näher nach den Bedingungen des historischen Truglichts oder der Blut- und Boden-Konsistenz dessen zu fragen, was da neu beschienen werden soll. Eine solche Wendung dürfte dann aber ungewollt noch viel mehr über die russischen Befindlichkeiten von heute offenbaren.
Der Film ist sehenswert vor dem aktuellen Hintergrund. Es gibt ihn z.B. bei „Mubi“.
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