Quinoa ist vom unbekannten Getreide zum weltweit gefeierten Superfood geworden. Bäuer*innen in den Anden profitieren davon – noch.
Superfood ist seit ein paar Jahren ein Zauberwort des hiesigen Lebensmittelhandels. Nahezu jedes Jahr wird ein neues Produkt beworben, das wahnsinnig gesund und besonders bekömmlich ist, schlank macht und überhaupt unverzichtbar ist für die Selbstoptimierung. In kritischeren Medien weisen zwar gelegentlich Ernährungswissenschaftler*innen darauf hin, dass es einheimische Produkte gibt, die ähnliche Eigenschaften haben (etwa dass schwarze Johannisbeeren ähnlich viel Vitamin C enthalten wie das Vitaminwunder Acerola aus Amazonien), aber wen interessiert das schon, wenn gerade ein neues Superfood angesagt ist? Vor einigen Jahren wurde so auch das „Wundergetreide“ Quinoa aus den Anden weltweit gehypt. Für dessen kleinbäuerliche Produzent*innen hat das durchaus widersprüchliche Konsequenzen.
Versteckt hinter einem Gemüsestand bietet Doña Ceferina in Juliaca ihren traditionellen Pesque an. Mit einer großen Holzkelle schöpft sie einen weiß-gelben Brei aus dem Topf, schüttet etwas kalte Milch dazu und reibt Käse darüber. Die Gäste der Straßenküche sitzen auf kleinen Holzschemeln um den Topf. „Das macht vier Soles“, mit diesen Worten reicht sie den Teller. Pesque, ein Brei aus Quinoa und Milch, ist für Kinder in Peru und Bolivien das, was deutsche Kinder als Grießbrei essen. Seit Jahrhunderten wird er auf der Hochebene rund um den Titicacasee als nahrhaftes Frühstück oder einfaches Mittagessen serviert.
Inzwischen gibt es Quinoa nicht mehr nur auf dem Markt in Juliaca. Das Getreide aus den Anden ist zum weltweit gefragten Superfood aufgestiegen. Die kleinen weißen, roten oder schwarzen Körnchen waren schon bei den alten Inka hochgeschätzt als chisaya mama, Mutterkorn. Sie enthalten eine Vielzahl von Nährstoffen, besonders viel Eiweiß, Magnesium und Phosphor, und sind im Anbau besonders widerstandsfähig.
Die bei der Ernte bis zu zwei Meter hohen Quinoastengel mit ihren dichten Rispen voller Samen brauchen wenig Wasser und wachsen am besten ab 3000 Metern Höhe. Da den spanischen Kolonisatoren als des Teufels galt, was den Inka heilig war, fiel auch die Quinoa unter das Verdikt der Inquisition. Sie wurde zum Arme-Leute-Essen und zum Schweinefutter degradiert. Die Aymara und Quechua in Peru und Bolivien bauten das Korn für den Hausgebrauch im Garten an und verkauften kleine Mengen auf dem Markt. Ein zaghaftes Revival erlebte Quinoa zu Beginn der 1990er-Jahre, als die US-amerikanische Weltraumbehörde NASA das Getreide als Astronautennahrung entdeckte. In den ersten Reformläden des globalen Nordens tauchten die kleinen Körner als Nischenprodukt auf.
Der große Boom sollte jedoch erst Anfang des neuen Jahrtausends stattfinden. „Wir haben in den Anden die Antwort auf den Hunger in der Welt, die Quinoa, die unsere Völker seit 7000 Jahren bewahrt haben“, sagte Boliviens damaliger Präsident Evo Morales Anfang 2013 vor der UN-Generalversammlung in New York. Mit seiner Rede läutete er das Internationale Jahr der Quinoa ein, ausgerufen von der UN-Ernährungsorganisation FAO. Morales stellte in seiner Rede die Verheißungen der von armen, aber gesunden Indigenen seit Jahrhunderten gehüteten Quinoa dem Bild des bösen Kapitalisten gegenüber, der mit seinem Fast Food die Welt krank macht.
Speisezettel der Fitness-Gesellschaft
Das Timing für das Jahr der Quinoa hätte kaum besser sein können. Das UN-Marketing für die Quinoa als neues Wundermittel gegen den Hunger in der Welt traf in Europa und den USA auf eine neue Gesundheitswelle. Es war schick geworden, sich vegetarisch oder gar vegan zu ernähren; immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher entdeckten ihre Glutenunverträglichkeit und gesundes Essen wurde zu einer Art Ersatzreligion. Die fleisch- und glutenfreie, aber eiweißreiche Quinoa, die zudem nicht im Ruf stand, dick zu machen, passte hervorragend auf die Speisezettel der neuen Fitness-Gesellschaft.
Für die Bäuer*innen in den Hochanden kam das überraschend. Die Nachfrage nach Quinoa schoss in die Höhe und damit auch der Preis. Vor zehn Jahren kostete das Kilo noch 30 Cents, 2014 waren es schon acht US-Dollar. Die Folgen waren abzusehen: Jeder im peruanischen und bolivianischen Hochland, der ein Fleckchen Land irgendwo im Heimatdorf der Großeltern hatte, baute dort Quinoa an. Auch die Gelüste der großen Agrarkonzerne waren geweckt. Wenn Quinoa in den unwirtlichen, kleinräumigen Hochlagen schon so lukrativ ist, um wie viel mehr könnte man dann erst mit intensivem Anbau auf großen Flächen an der Küste Perus ernten? Agrarinvestoren setzten auf Quinoa, auch in tieferen Lagen.
Dennoch schien es 2014, als ob Quinoa nicht nur den Hunger in der Welt, sondern vor allem den der Subsistenzbäuer*innen in den Anden lindern würde. Endlich hatten sie, die mit ihren kleinen Flächen im Hochgebirge nie mit großen Agrarbetrieben an der Küste konkurrieren konnten, einen Wettbewerbsvorteil. Doch schon bald zeigte sich die erste Schattenseite des Booms: Quinoa war nun so teuer geworden, dass die Armen in den Städten Perus und Boliviens, die kein Land besaßen, sie sich nicht mehr leisten konnten. Und wer Quinoa anbaute, zog es vor, sie zu Geld zu machen und selbst billigere Nudeln und Reis zu essen. „Wollt ihr wirklich, dass bolivianische Indianerkinder hungern, weil ihr Quinoa esst?“, fragte ein Artikel im britischen „Guardian“ Quinoakonsumenten im Westen, die nicht nur gesund essen, sondern damit zugleich die Welt retten wollten.
Agrobusiness steigt ein
Zudem war der Boom von kurzer Dauer. Bereits 2015 fiel der Quinoapreis in Peru auf rund zwei US-Dollar pro Kilo. Die Nachfrage stieg zwar weiter, aber die Produktion in Peru und Bolivien hatte zugenommen und die Preise gedrückt. Die Zwischenhändler gaben die Preissenkung aber nicht oder erst spät an die Kunden in Europa weiter. Die Kosten für Quinoa blieben im deutschen Reformhaus oder Supermarkt unverändert hoch, aber Quinoabauern und -bäuerinnen erhielten gerade einmal die Hälfte des Preises vom Vorjahr. Im August 2015 kam es dann zu einem Lieferskandal. Die USA schickten 200 Tonnen Quinoa nach Peru zurück, weil sie zu hohe Pestizidrückstände enthielten. Die wachsende Nachfrage nach Quinoa auf dem Weltmarkt hatte dazu geführt, dass auch das Agrobusiness auf den Zug aufsprang. Die agroindustriellen Großbetriebe in der peruanischen Küstenregion, die bereits seit Langem Spargel, Avocados, Mangos und andere Cashcrops für die Supermärkte in Nordamerika, Europa und Asien liefern (und dafür immer mehr Wasser aus den Anden abpumpen), bauten nun auch großflächig Quinoa an. Sie können wesentlich günstiger produzieren als die kleinbäuerlichen Produzent*innen in den Anden und wegen des milderen Klimas zwei Ernten im Jahr einfahren. Allerdings gibt es in tieferen Lagen wesentlich mehr Schädlinge und der Einsatz von Pestiziden ist hoch.
Erst 2018 stieg der Erzeugerpreis wieder auf fast vier US-Dollar pro Kilo. Frank Schreiber macht dafür das schlechte Wetter im Jahr vorher, aber auch den sogenannten Schweinezyklus verantwortlich. Dieser besagt, dass nach einem Jahr der hohen Preise die Zahl der Produzent*innen steigt, die dann ein Überangebot produzieren, und es kommt zum Preisverfall. Der stellte sich nach der vorübergehenden Erholung der Preise prompt wieder ein: Ende 2020 lag der Kilopreis erneut unter zwei Euro.
Das Wunderkorn aus den Anden hat sich auf dem Weltmarkt etabliert, seine Produzenten müssen mit denselben Preisschwankungen kämpfen wie bei Kaffee oder Kakao. „Sie müssen verstehen, dass sie auf die Qualität ihres Korns achten müssen“, sagt Schreiber, der für eine deutsche Quinoaimportfirma in Peru arbeitet. Er schätzt, dass 80 Prozent der auf dem peruanischen Inlandsmarkt verkauften Quinoa aufgrund lascher Kontrollen mit Pestiziden kontaminiert sei, „auch wenn organisch draufsteht“. Bei Quinoaexporten nach Europa und Nordamerika kontrollierten die Käufer*innen stärker.
Die Genossenschaft der Quinoabäuer*innen Coopain in Cabana in der Region Puno stellt sich dieser Aufgabe. Die 574 Genossenschafter*innen produzieren jährlich 1200 bis 1800 Tonnen organisches Quinoa für den Export, vor allem nach Frankreich und Italien. „Ein Drittel vermarkten wir direkt, über Fairtrade, 70 Prozent verkaufen wir an Zwischenhändler“, erklärt der Geschäftsführer Domingo González. Coopain hat schon vor dem Boom auf Quinoa gesetzt. Die Genossenschaft hat mit Entwicklungshilfe aus Belgien, der niederländischen Stiftung Agriterra und Fairtradeprämien ihre Lieferketten ausgebaut und eine moderne Produktionsstätte errichtet. Dazu zählt eine Waschanlage für die Körner. Denn die müssen erst von dem Bitterstoff Saponin befreit werden, bevor sie essbar sind. „Wir wollen den Fairtrademarkt ausbauen und sind deswegen in Gesprächen mit neuen Kunden“, berichtet González. Damit ließen sich die Preisschwankungen auf dem Weltmarkt ausgleichen und die Genossenschaft kann direkt exportieren und die Zwischenhändler umgehen.
Schicksal der Kartoffel
Die größte Konkurrenz für Coopain und die Bäuer*innen aus den Ursprungsregionen der Quinoa kommt inzwischen nicht mehr von der peruanischen Küste, sondern aus dem Ausland. Das Korn wird heute in Asien ebenso angebaut wie in Kanada, den USA und Europa. An der niederländischen Agraruniversität in Wageningen haben die Forscher Robert van Loo und Jeroen Knol eine eigene Sorte gezüchtet, die keine Bitterstoffe hat. Sie wird bereits in Frankreich im unteren Loire-Tal angebaut. Das erinnert ein wenig an das Schicksal der Kartoffel. Sie stammt aus den Hochanden, das Geschäft damit machen heute aber niederländische und belgische Züchter. Ein jüngeres Beispiel ist der mit der Quinoa eng verwandte Amaranth. Die aus den Anden stammende Pflanze wird heute vor allem in Indien angebaut.
Noch sind Peru und Bolivien die Weltmarktführer in Sachen Quinoa. Wenn das so bleiben soll, müssen sie die Verbraucher*innen wissen lassen, woher ihr Superfood kommt. Herkunftsbranding heißt das Zauberwort, und zwar unabhängig davon, ob die Quinoa aus den Anden tatsächlich gesünder ist als die aus Indien oder Frankreich. Denn dafür gebe es bisher keine wissenschaftlichen Studien, erläutert Ritva Repo, Professorin für Lebensmitteltechnologie an der Agraruniversität La Molina in Lima.
Eine gemeinsame Marke „Quinoa aus Puno“ gibt es noch nicht. Emma McDonnell von der Universität Indiana hat bei Feldstudien erfahren, wie schwierig es für die Produzent*innen ist, sich auf gemeinsame Regeln zu einigen. „Das größte Hindernis ist das Misstrauen, dass jemand anderes ungerechtfertigte Vorteile haben könnte“, sagt McDonnell. Dabei wäre eine Einigung besser für die Beteiligten. Nicht alle Quinoabäuer*innen in Puno profitierten gleich stark von der weiterhin großen Nachfrage. „Im Vorteil sind ganz klar diejenigen, die sich organisieren und Zugang zu Kapital und Fortbildung haben.“ Wie die Genossenschaft Coopain, die beschlossen hat, eine eigene Hausmarke für ihre Quinoa zu etablieren.
Für die Quinoakonsument*innen in Deutschland heißt das: Wer für seinen Brei nicht zu Doña Ceferina nach Juliaca fahren kann und trotzdem möchte, dass Kleinbäuer*innen in den Hochanden von dem Kauf profitieren, greift beim nächsten Einkauf am besten nach dem Päckchen mit dem Fairtradesiegel und prüft sorgfältig, ob der Inhalt wirklich aus den Anden kommt.
Der Artikel ist die aktualisierte Version eines Beitrags, der am 21. Januar 2019 in der Zeitschrift „Weltsichten“ erschienen ist. Hier ist er eine Übernahme aus ila 454 April 2020, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn. Zwischenüberschriften wurden nachträglich eingefügt.
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