Es wird Zeit, dass wir über den Frieden reden, auch wenn sich der Krieg schon tief in unseren Köpfen eingenistet hat. Denn jeder Krieg geht irgendwann zu Ende. Glaubt man den Worten des US-amerikanischen Verteidigungsministers Lloyd Austin, geht es nicht mehr nur um die Verteidigung der Ukraine, sondern um den Sieg über Russland. Am Ende stünde dann ein Siegfrieden. Wenn das tatsächlich das strategische Ziel der USA ist, würde das erklären, warum die USA seit Beginn des Krieges keine ernsthaften diplomatischen Bemühungen unternommen haben, den Krieg schnell und ohne weiteres Blutvergießen zu beenden. Stattdessen dreht sich die Eskalationsspirale heftig weiter.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagt zu Recht: „Die Eskalationsdominanz liegt in Moskau. Nicht bei uns.“ Zugleich macht die Formulierung deutlich, dass Eskalation immer ein Wechselspiel ist.
Wenn es nun das Ziel des Westens ist, Russland militärisch zu besiegen, was einer Kriegserklärung für den 3. Weltkrieg gleichkäme, dann wären diplomatische Initiativen zur nichtmilitärischen Beendigung des Krieges strategisch kontraproduktiv. Die Vorstellung, dass ukrainische Soldaten mit von Deutschland gelieferten Waffen Ziele in Russland angreifen, macht deutlich, dass sich alle Beteuerungen, Deutschland sei nicht Kriegspartei, auf sehr dünnem Eis bewegen.
Bemühungen, Putins Regime international zu isolieren, würden gleichwohl Sinn machen, denn immerhin haben bislang 45 Staaten, darunter 5 Atommächte, bisher Putins Angriffskrieg nicht verurteilt. Sie von einer aktiven, auch nichtmilitärischen Unterstützung des gegenwärtigen Russlands abzuhalten und sie in eine internationale Sicherheitsordnung einzubinden und ihnen damit Alternativen zu einer Partnerschaft mit Putins Russland zu bieten, ist wahrscheinlich die schwierigste diplomatische Herausforderung seit dem Ende des 2. Weltkriegs.
Der deutschen Außenpolitik könnte hierbei eine herausragende Rolle zukommen, nachdem die Amerikaner das diplomatische Parkett unter Trump verlassen und unter Biden nicht wieder betreten haben. Dass die erste Asienreise des deutschen Bundeskanzlers ihn nach Japan führte, könnte ein hoffnungsvolles Signal für einer neu ausgerichtete internationale Strategie Deutschlands sein.
Auch aus historischer Verbundenheit heraus könnten sich hier Ansatzpunkte für neue strategische Allianzen bilden, die Sicherheit durch militärische Abschreckung nicht ausschließen, aber der politischen Lösung im Zweifel immer den Vorrang geben.
Vielleicht sollte die EU auch intensiv überlegen, was sie Indien, Pakistan, Brasilien und vielen afrikanischen Ländern als Alternative zu Geschäften und politischen Allianzen mit Putins Russland bieten kann. Der Rohstoffreichtum sollte dabei nicht das alleinige Kriterium sein. Die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen gibt zu solchen weiter reichenden Überlegungen allerdings wenig Anlass zur Hoffnung. Fairer Welthandel gewinnt auf einmal eine neue Bedeutung, genauso wie dies auch regenerative Energien tun.
Mit dem „klassischen“ Siegfrieden, nämlich dem Versailler Vertrag des Jahres 1919, hat Europa keine guten Erfahrungen gemacht. Versailles hat nicht zu einer dauerhaften Friedensordnung in Europa beigetragen. Diese Erfahrung sollte reichen, alle Europäer zu glühenden Verfechtern eines fairen Verhandlungsfriedens zu machen. Ein fairer Verhandlungsfrieden mit Russland? Da muss man erst mal tief durchatmen.
Ein Verhandlungsfrieden für den Krieg in der Ukraine ist beileibe keine Angelegenheit, die nur die Kriegsparteien und ihre Waffenlieferanten angeht. Es geht um nichts weniger als um einen gerechten Weltfrieden. Die Rolle der UN ist hierbei nicht zu vernachlässigen, wenn es darum geht gewachsene diplomatische Kontakte zu nutzen. Im Zweifel kann eine Telefonnummer mehr helfen als Symbolpolitik.
Die Eckpunkte eines gerechten Weltfriedens stehen in krassen Gegensatz zu imperialer und postkolonialer Großmachtpolitik. Sie erkennen das Selbstbestimmungsrecht der Menschen und der Völker an. Sie schließen Respekt für die Kulturen und die Geschichte der Länder ein. Sie garantieren einen fairen Umgang miteinander, ökonomisch wie politisch. Sie basieren auf dem Gebot, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten.
Wem das alles zu hoch gegriffen ist, der möge sagen, was die Alternative ist. Jedenfalls geht das Töten und Zerstören unvermindert weiter, während ich diese Zeilen schreibe. Die „schweren Waffen“ aus russischer und deutscher Produktion in ukrainischer Hand werden es nicht beenden. Und wenn es dann irgendwann und hoffentlich bald doch zu einem Waffenstillstand kommt, sollte man wissen, was das anschließende Verhandlungsziel ist. Dafür reicht es nicht aus zu sagen, dass nicht über die Köpfe der Ukraine hinweg verhandelt werden darf. Denn dieser Frieden geht uns alle an.
Es gibt noch einige – selbstständig denkende Bundestagsabgeordnete – ok nicht aus Bonn – aber aus Trier:
wie Corinna Rüffer beweist. Sie hat folgendes zur Ukraine-Politik erklärt: Gestern hat Annalena Baerbock im Bundestag ihren Blick auf die notwendigen Konsequenzen aus dem Angriffskrieg auf die Ukraine erklärt. In einer Regierungsbefragung ist mir noch nie so viel Haltung und Ehrlichkeit aufgefallen. Ich war beeindruckt von unserer Außenministerin. Trotzdem habe ich heute nicht zugestimmt als der Bundestag über den Antrag „umfassende Unterstützung für die Ukraine“ abgestimmt hat. Es steht außer Frage, dass wir der Ukraine helfen und sie unterstützen müssen. Es steht selbstverständlich auch außer Frage, dass die Menschen ein Recht auf Selbstverteidigung haben. Doch ich befürchte, dass der Versuch, diesen Krieg mit militärischen Mitteln und immer mehr Waffenlieferungen zu lösen, in eine gefährliche Richtung führt. Es gibt nicht nur Schwarz-Weiß; niemand kann mit Gewissheit sagen, was die richtigen Maßnahmen sind. Ich finde es deshalb absolut unangemessen, die Ablehnung der Lieferung schwerer Waffen als naiven Pazifismus zu diffamieren (wie es manchmal zu hören ist). Wenn z.B. Erich Vad, Ex-General und ehemaliger Militärberater von Angela Merkel, eindringlich davor warnt, in die Rolle einer Kriegspartei zu rutschen – mit unabsehbaren Folgen für ganz Europa, dürfen wir das nicht einfach vom Tisch wischen.