Minister Habeck hat kürzlich den Grundstein für das erste Flüssiggasterminal gelegt. Of­fenbar erfolgt dieser Bau ohne die vorgeschriebenen Planungsschritte wie Bürger- und Verbandsbeteiligung oder Umweltverträglichkeitsprüfung. Um das Projekt nicht zu gefähr­den, hat Habeck die Umweltverbände aufgefordert, auf Klagen zu verzichten.

Habecks Vorgehen zeigt eine völlig neue Denkweise. Künftig brauchen nicht mehr die Ge­setze geändert zu werden, die staatlichen Maßnahmen oder Vorhaben im Wege stehen. Statt dessen werden die Bürger/innen aufgefordert, auf ihre Rechte zu verzichten. Geset­zesänderungen sind bekanntlich langwierig und stoßen oft auf Bedenken und Widerstand. Enthaltsamkeit vereinfacht die Problemlösung.

Die Verzichtmethode eröffnet ungeahnte Möglichkeiten, politische Engpässe zu überwin­den. Beispielsweise könnte ein Appell an alle Eltern, auf ihren Anspruch auf einen Kinder­gartenplatz zu verzichten, erhebliche Aufwendungen für Räumlichkeiten und Personal spa­ren.

Der ampelinterne Streit um Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen erledigt sich, wenn die Regierung den Autofahrenden erfolgreich zuredet, künftig nicht mehr zu rasen.

Mit einem deutlichen Hinweis auf das Wohl des deutschen Volkes, dem doch alle ver­pflichtet sind, kann die Opposition bewogen werden, auf abweichende Meinungen, Positio­nen und Anträge zu verzichten.

Aufwendige Gesetze und Verfahren zur Bekämpfung von Steuerflucht und Steuerhinterzie­hung erübrigen sich, wenn die Regierung die Reichen energisch und wirksam auffordert, die gesetzlich vorgesehenen Steuern zu zahlen.

Das Bundesverfassungsgericht hat verlangt, das Problem der stetig wachsenden Größe des Bundestages zu beseitigen. Eine Lösung steht noch aus. Sie könnte darin lie­gen, dass die Bundestagsabgeordneten ersucht werden, nur sporadisch an den Sitzungen teilzunehmen.

Enthüllungsjournalisten können durch dringende Bitten der Regierung veranlasst werden, ihr Recht auf Auskunft gegenüber Behörden nicht wahrzunehmen.

Den Gegnern des Waffenkredits im Grundgesetz wird nahegelegt, sich nicht aufzuregen und zu klagen. Das Grundgesetz sei schon sechzigmal geändert worden und immer noch intakt.

Möglicherweise kann man einen brisanten Problembereich entschärfen: Die Regierung bit­tet alle Flüchtlinge, auf einen Asylantrag zu verzichten.

Der Arbeitgeberverband hat Habecks Idee bereits aufgegriffen und die Gewerkschaften aufgefordert, nicht über Preissteigerungen zu klagen und keine Lohnerhöhungen zu ver­langen.

Der Versuch, AfD und Querdenker mit guten Argumenten zu sinnvollem Verhalten zu be­wegen, dürfte indes erfolglos sein. Sie sind unbelehrbar.

Nachtrag: Die Aufforderung von Habeck an die Umweltverbände war vergeblich. Sie ha­ben Klage gegen den Bau der Flüssiggasterminals eingereicht.

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.