Ganz oben – und ganz unten

Anlässlich eines zu besuchenden 90. Geburtstages, und weil die Bahn mir für die Sommerferien eine “Schnupperbahncard” für Updates in die 1. Klasse schenkte – mann gönnt sich ja sonst nichts – schenkte ich mir heute eine 1.-Klasse-Bahnreise. Ich fasse den Schluss zusammen. Es lief gut. Lag aber nicht daran.

Erstes Ferienwochenende. Der Medienberichterstattung zufolge brach an Deutschlands Flughäfen, mindestens an dem in Düsseldorf, alles wesentliche zusammen. Wie sah es auf den Autobahnen aus? Weit weniger Medienlärm. Wahrscheinlich wie immer. Da Ferienbeginn war, war bei der Bahn mutmasslich Freitag/Samstag der schwierigere Teil. Heute fuhr ich auf geratewohl zum Bonner Hbf., um, wie früher in der guten alten Pendelzeit (1990-2002), einfach den nächsten Zug zu nehmen, der kam. Es war ein verspäteter ICE nach Berlin. Selbst die 1. Klasse war fast komplett reserviert. Ich erwischte einen Doppelsitz, der erst ab Gütersloh belegt war. Gütersloh? Seit wann halten da ICEs? Hat das Bertelsmann bestellt? Auch bezahlt? Für meine Reise nach Essen wars egal. Keine Zwischenfälle. Alles zügig.

Zur Rückfahrt erreichte ich einen IC mit geringfügiger Verspätung (5 min). Ein 6er-Abteil – ja, die gibts noch – für mich alleine. Seit hundert gefühlten Jahren funktioniert der Lautstärkeregler für den Abteillautsprecher nicht. Das war schon immer so. Leider sind, anders als in den früheren D-Zügen mit den bordeauxroten Kunstledersitzen. die Sitze nicht mehr zu einer kompakten Liegefläche ausziehbar. Nachteilig verändert: die Toilette. In früheren ICs bin ich gerne vom Speisewagen aus in ein 1.-Klasse-Klo gegangen. Sie waren mit schwarzmarmorigen Plastikwänden designt, grosszügige Spiegel, und vor allem grosszügiger Platz. Heute war das eine Zelle wie in der 2. Klasse.

Ab Leverkusen-Küppersteg wurde Schritt gefahren, bis Köln die Verspätung auf 15 Minuten ausgebaut. Baustellenaktivitäten waren zu erkennen, am Sonntag! Wenn es für den RRX ist – gerne. Wird langsam Zeit, dass was passiert. Leider heute keine Umleitung über Deutz/tief direkt nach Beuel. Bereits in Köln-Süd wurde die Mittelrheinbahn zur Überholung angehalten. Hätte es nicht auch für eine Überholung in Sechtem gereicht? In dieser Regionalbahn sitze ich gewöhnlich und ärgere mich. Zu ihrer planmässigen Ankunftszeit erreichten wir mit dem IC Bonn. War das nun den Aufpreis wert? Entscheiden Sie selbst.

Wundersame Bahn ganz unten

Um Berlin rum gibt es einen Speckgürtel und dann gaaaanz lange (fast) nichts. Die Bahnen, die dort noch fahren, will die Landesregierung von Brandenburg, so heisst die – zugegeben bisweilen recht hübsche – Einöde, überwiegend dichtmachen. Die ist “rot-schwarz-grün” – und handelt auch so, wie es ihre Wähler*innen, viele sind es nicht (knapp 1,3 Mio.), dummerweise bestellt haben.

ICEs und ICs rasen mehrheitlich durch. Es bereitet während der Fahrt Mühe, in dem Tempo die Schilder zu lesen, welcher Bahnhof, bzw. sein Überrest, gerade durchfahren wird. Wie teuer oder billig mag dort das Wohnen sein? Nunja, auch riesige landwirtschaftliche Flächen, die prächtig von grossindustriellen Maschinenparks bearbeitbar sind, werden gerne von Investmentfonds aufgekauft und ihre Preise für Bäuerinnen und Bauern in unerreichbare Höhen aufgeblasen. Wer mag da noch anhalten?

Wenn Sie wissen wollen, wo es schön ist, lesen Sie Tucholsky. Damals fuhr die Bahn noch.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net