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Ukraine-Krieg – aktueller Stand

Es wird viel spekuliert, was die gegenwärtigen „Erfolge“ der russischen Truppen in der Ukraine zu bedeuten haben. Viele Militärexperten, wie z.B. das ISW sowie der gut informierte russisch-nationalistische Militärblogger Strelkov, haben übereinstimmend darauf hingewiesen, dass die Ukraine im Augenblick nicht etwa um einen unmittelbaren Sieg über die russischen Truppen in der Luhansker Region und anderswo kämpft, sondern vielmehr systematisch versucht, die besonderen Vorteile der „Defensive“ auszunutzen, die darin bestehen, den Angreifer schwächen und zermürben zu können. Das ist offensichtlich zu einem guten Teil gelungen. Damit wäre „General Pyrrhus“ der „Hauptsieger“ auf russischer Seite. Auch der Rückzug der ukrainischen Truppen passt in dieses Bild und ist nicht einfach eine „Niederlage“, sondern ein taktischer, der die eigenen Truppen schützt, nachdem sie dem Gegner einen dem aktuellen Kräfteverhältnis entsprechend maximalen Schaden zugefügt haben.

Solche Einschätzungen sollten nicht als Hirngespinste oder Schönrednerei angesehen werden. Sie sind ziemlich klassische Militärstrategie (schönen Gruß an Clausewitz!): Den Feind schwächen, Zeit gewinnen, um sich selbst zu verstärken und gegen einen müden und abgekämpften Gegner dann den Kampf um die Initiative, also im Falle der ukrainischen Armee den Übergang von der Defensive in die Offensive vorzubereiten. Allem Anschein nach kämpft die Ukraine mit klarem Plan und einiger Disziplin.

Strelkov, der seit einiger Zeit ziemlich gnadenlos die Probleme seiner, d.h. der russischen Seite aufdeckt, sieht, dass schwere Dinge auf die russische Armee zukommen. Seine Antwort darauf lautet: Die russische Seite sollte ihre Kriegsbemühungen deutlich ausweiten und eine große Mobilisierung starten – und nicht nur eine „Spezoperatija“, sonst wird sie trotz oder gerade wegen ihrer sog. „Siege“ bald in die Klemme geraten. Auch das könnte realistisch sein, lässt aber für einen baldigen Frieden nichts Gutes erwarten.

Aus dem Blog von Strelkov:

“1. Feind (gemeint ist die Ukraine)

– Im Laufe des letzten Monats haben die ukrainischen Streitkräfte die Zahl ihrer Truppen und Ausrüstungen an allen Fronten, sowohl an den “aktiven” als auch an den “ruhenden”, kontinuierlich erhöht, so dass an vielen Fronten ein stabiler Vorsprung an Personal, Artillerie und gepanzerten Fahrzeugen besteht.

– Gleichzeitig bildete der Feind weiterhin strategische Reserven, so dass sie selbst inmitten der Schlacht um Sewerodonezk-Lysytschansk nicht in den Kampf eingreifen konnten.

– Als neues Element der AFU-Taktik liegt ein besonderer Schwerpunkt auf der Zerstörung wichtiger rückwärtiger Einrichtungen der russischen und der LPR-Kräfte durch Raketenartillerie und unbemannte Flugzeuge, vor allem großer Munitionsdepots, die von den Luftabwehrkräften nicht oder nur unzureichend abgedeckt waren.

– Die lokale Überlegenheit an Arbeitskräften ermöglichte es dem Feind in vielen Gebieten, zuvor aufgegebene Gebiete kampflos zu besetzen, was die taktische Situation unserer in diesen Gebieten operierenden Einheiten erschwerte.

– Allem Anschein nach war die Betonung des defensiven Charakters der Schlacht um Sewerodonezk-Lysytschansk seitens des AFU-Kommandos beabsichtigt. Die Kämpfe wurden nur deshalb in die Länge gezogen, um möglichst viel Zeit zu gewinnen und der russischen Kampfgruppe möglichst viele Verluste zuzufügen. Nachdem der Verlust der wichtigsten Stellungen feststand, konnte das AFU-Kommando den Kern seiner Verteidigungskräfte zurückziehen und so verhindern, dass auch nur ein kleiner Teil von ihnen eingekesselt wurde – sowohl in Sewerodonezk als auch in den Gebieten Lyssytschansk und Zolote-Gorske. Gleichzeitig ging jedoch ein Großteil der Verteidigungsanlagen unwiederbringlich verloren.

Schlussfolgerung: Die AFU schließt die Vorbereitungen für ihre eigenen aktiven Operationen in einer oder mehreren Richtungen ab. Ob der Feind einen neuen Angriff der russischen Streitkräfte abwarten oder präventiv vorgehen wird, kann ich nicht vorhersagen.

2. Unsere Truppen ( = russische Truppen)

– Das Offensivpotenzial der Kampfgruppe, die Lyssjansk eingenommen hat, ist praktisch erschöpft. Die Fortsetzung der Offensive ohne die für die Wiederauffüllung und Erholung der Truppen erforderliche operative Pause birgt die Gefahr weiterer schwerer Verluste ohne nennenswerte Ergebnisse. Es gilt, sich neu zu formieren und die nächsten Angriffsziele zu identifizieren sowie Maßnahmen zur Abwehr möglicher feindlicher Angriffe zu ergreifen.

– Für die russischen Streitkräfte wird es immer schwieriger, der AFU auf taktischer Ebene zu begegnen, da der Feind immer mehr Personal und modernes Kriegsgerät zur Verfügung hat.

– Das Fehlen von Verstärkungen und die Unfähigkeit zur Rotation (insbesondere 3-4 Monate an der Front ohne Rotation der mobilisierten Einheiten der LPR-Streitkräfte) – führt zu einem langsamen, aber stetigen Rückgang der tatsächlichen Kampfbereitschaft und Moral unserer Einheiten und Formationen in der Defensive (während die Moral der Einheiten, die schwere Verluste erleiden, aber im Angriff vorrücken, hoch bleibt).

– Die russische militärisch-politische und militärische Führung kann es sich nicht leisten, sich “in der Position zu verschanzen”, indem sie die Initiative ganz in die Hände des Feindes legt, denn eine Verlängerung der Feindseligkeiten führt unter den gegenwärtigen Umständen nur zu einer Verstärkung der gegnerischen Kräfte und einer Schwächung der eigenen Kräfte. Deshalb erwARTE ich, dass die vorbereiteten Reserven nach einer gewissen operativen Pause sofort in die neue Offensivoperation im Rahmen des “Kampfes um die Initiative” eintreten werden.

Allgemeine Schlussfolgerung für Mai-Juni:

“Die zweite Phase des SSO endete, ohne dass die gesetzten Ziele vollständig erreicht wurden. Die AFU-Gruppierung im Donbass ist weder besiegt noch vollständig aus ihrem Gebiet zurückgedrängt worden. Alles, was erreicht wurde, ist die Zerschlagung und Vertreibung eines Teils der feindlichen Gruppierung aus dem “Sporn” entlang des Sewerskij Donez, die vollständige Befreiung des Gebiets der LNR und der Städte Popasna, Krasny Liman, Sewerodonezk, Lisitschansk und einer Reihe kleinerer Ortschaften.

Die Operation hat gezeigt, dass die russische “Friedensarmee”, die durch die Streitkräfte der LPR und verschiedene PMC-“Surrogate” erheblich verstärkt wurde, nicht mehr in der Lage ist, das Problem der vollständigen Niederlage der AFU und des siegreichen Abschlusses des so genannten “EWS” zu lösen.

Eine Verzögerung der Mobilisierungsmaßnahmen in der Russischen Föderation selbst kann bereits in den kommenden Monaten zu einer Krise in einigen Teilen der “ukrainischen Front” führen und – unter Missachtung der oben erwähnten Unfähigkeit – die Situation im strategischen Bereich negativ beeinflussen.”

Ende Blog Strelkov

Mehr über den Autor hier.

Über Reinhard Olschanski / Gastautor:

Geboren 1960, Studium der Philosophie, Musik, Politik und Germanistik in Berlin, Frankfurt und Urbino (Italien). Promotion zum Dr. phil. bei Axel Honneth. Diverse Lehrtätigkeiten. Langjährige Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent im Bundestag, im Landtag NRW und im Staatsministerium Baden-Württemberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Politik, Philosophie, Musik und Kultur. Mehr über und von Reinhard Olschanski finden sie auf seiner Homepage.

3 Kommentare

  1. Helmut Lorscheid-Hauschild

    Warum soll ich soll ich solchen Wort- Müll auch noch hier lesen?

  2. Roland Appel

    Offensichtlich macht die russische Usurpationsarmee im Osten der Ukraine Fortschritte mit dem Tempo und den Auswirkungen einer Dampfwalze. Das zitierte Wortgeklingel verstehe ich nicht. SSO (Single Sign On)??? LPR (Landesparteirat) ???? AFU-PCM-EWS ????? Was soll das? Wer sich in Abkürzungen verstickt, möchte Kompetenz vorschützen, aber nicht verstanden werden. Alles in allem klingt mir der Beitrag nach Durchhalteparolen und Anti-Aufklärung. Das braucht niemand, es findet seine Entsprechung im öffentlichen Diskurs. “Russland darf nicht gewinnen” des Kanzlers ist (noch) realistisch. “Die Ukraine muss Siegen” (Baerbock, von der Leyen) ist nichts als Wolkenkuckuksheim. Und nur Ideologen wie Beck/Fücks oder die Korrespondentinnen von FAZ und WELT in Berlin glauben, wer auch immer könne Russland von der Krim vertreiben. Ein hochgefährliches Spiel mit unser aller Sicherheit.

    • Reinhard Olschanski

      Das „Wortgeklingel“ ist die Sprache eines Militärbloggers, der russischer Nationalist ist (Übersetzung aus dem Russischen mittels DeepL) und gleichwohl die wunden Stellen in Putins Kriegsführung offenlegt – und dafür inzwischen weltweit von Thinktanks und Medien rezipiert wird. Also lieber erst einmal nachgucken in dieser Hinsicht. Gute Infos sind im Moment nicht so leicht zu bekommen. Diverse Analysen unterschiedlicher Couleur laufen in die gleiche Richtung wie Strelkov. Wir werden sehen.

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