Gustavo Petro schafft sie – Linkskandidat gewinnt Wahl in Kolumbien
Im dritten Anlauf ist erstmals ein Linker in Kolumbiens Präsidentenpalast gewählt worden: Gustavo Petro. Der frühere Bürgermeister der Hauptstadt Bogotá, der in jungen Jahren der 1990 aufgelösten Guerillagruppe M-19 angehörte, trat nach seiner Wahl versöhnlich auf. Das ist nötig, denn Widerstände wird es reichlich geben: Kolumbiens konservatives bis extrem rechtes Bürgertum und seine Streitkräfte werden ihre Privilegien wie immer in der Geschichte des Landes mit aller Gewalt zu verteidigen suchen.
Das Wählervotum ist historisch. 58 Prozent der Kolumbianer*innen traten an die Urne, 50,48 Prozent oder 11,2 Millionen stimmten für Petro, siebenhunderttausend mehr als die 47,26 Prozent, die sich für den populistisch-konservativ auftretenden Immobilienmilliardär Rodolfo Hernández entschieden. Letzterer erkannte den Wahlsieg Petros früh an, sodass keine partielle Neuauszählung der Stimmen wegen Wahlbetrug droht wie bei den Parlamentswahlen vom 13. März. Das sorgt vorerst für Ruhe im Lager des designierten Präsidenten, der im August sein neues Amt antreten wird und am Wahlabend versöhnliche Töne anschlug.
Die zehn Millionen Wähler*innen der konservativen Opposition seien im Präsidentenpalast, dem Palacio de Nariño, willkommen, teilte Petro in seiner ersten Rede mit. „Wir werden die Macht nicht dafür einsetzen, unsere Gegner zu vernichten“, äußerte der gewählte Präsident. „Kein Krieg mehr“, lautet die in Kolumbien ungewohnte Parole des neuen Duos an der Spitze des Staates. Petro und Vizepräsidentin Francia Márquez, die das Ministerium für Inklusion leiten wird, setzen auf ein „nationales Übereinkommen“, auf „größtmöglichen Konsens“, um das Land zu befrieden. Dabei stehen Friedensverhandlungen mit den beiden verbleibenden Guerillas, ELN und EPL, genauso wie mit Paramilitärs auf der Agenda.
Die ELN reagierte wenig später und signalisierte am Morgen nach der Wahl bereits Gesprächsbereitschaft mit der kommenden Regierung. Genau die hat der noch amtierende Präsident Iván Duque, der mit Zustimmungswerten von unter dreißig Prozent als unbeliebtester Staatschef in die Geschichte eingehen wird, genauso blockiert wie die Implementierung des Friedensabkommens vom November 2016 mit der FARC-Guerilla.
Leere Kassen
Das Abkommen, dessen einzelne Kapitel und Maßnahmen längst in die Form von Gesetzen gegossen sind, soll von der im August ihre Arbeit aufnehmenden Regierung Petro/Márquez reaktiviert werden.
Doch für die Umsetzung wird frisches Geld nötig sein, denn es ist davon auszugehen, dass die Regierung Petro leere Kassen von der scheidenden Regierung Iván Duque übernehmen wird. Durchaus ein Problem, denn es ist kaum absehbar, ob wichtige Geldgeber wie Deutschland oder die skandinavischen Länder noch einmal das Portemonnaie aufmachen werden, um die Befriedung Kolumbiens zu unterstützen.
Eine Herausforderung für die neue Regierung. Doch es gibt noch eine weitaus größere: die Landkonzentration. „Sie ist die zentrale Ursache des seit 1964 schwelenden Konfliktes“, so der ehemalige Richter Iván Velásquez, der in Guatemala die UN-Kommission gegen Korruption (CICIG) leitete. Er plädiert für die im Friedensabkommen fixierte Umverteilung von mehreren Millionen Hektar Land an oftmals durch Paramilitärs zwangsenteignete Kleinbäuer*innen. Die Umsetzung dieser im Friedensabkommen mit der FARC fixierten Maßnahme wird Widerstand hervorrufen. Nicht unerhebliche Flächen befinden sich in den Händen einflussreicher Politiker wie Federico Gutiérrez, Kandidat des konservativen Uribe-Lagers im ersten Wahlgang. Die Landreform ist politisch ein heißes Eisen, ökonomisch könnte sie jedoch dafür sorgen, dass die Nahrungsmittelproduktion in Kolumbien wieder steigt und die hohe Abhängigkeit von Importen von Grundnahrungsmitteln wie Mais, Bohnen und Getreide sinkt. Dies ist ein wesentlicher Punkt auf der Agenda der designierten Regierung, die mit einem Sofortprogramm inklusive Nahrungsmittelhilfen für besonders Bedürftige dafür sorgen will, dass die Menschen auch spüren, dass sich etwas geändert hat, so der Abgeordnete des „Pacto Demócratico“ Alirio Uribe Muñoz.
Klimafreundlicher Umbau der Ökonomie
Nahrungsmittelsouveränität ist langfristig ein Ziel der Regierung, die auch auf einen klimafreundlichen Umbau der Ökonomie und eine Reduzierung der oft unter verheerenden Bedingungen erfolgenden Rohstoffförderung setzt. Rohstoffe wie Steinkohle (wegen der rückgehenden Gaslieferungen aus Russland will nicht nur Deutschland wieder mehr Kohle aus Kolumbien importieren – die Red.), Erdöl, Mineralien und Edelmetalle machen jedoch rund 50 Prozent der Exporte aus, so dass die Suche nach Alternativen entscheidend sein wird. Dabei braucht der 62-jährige Petro, ein Ökonom, Unterstützung aus der Wirtschaft.
Erste Reaktionen aus dem Unternehmensverband ANDI sind durchaus positiv, wie die Rede von Catalina Escobar, die für einen Neuanfang mit dem ungeliebten Petro warb, belegt. Hoffnungsvolle Signale, zu denen auch die Reaktionen der Regierungen von Chile, Honduras, Bolivien und etlicher anderer lateinamerikanischer und internationaler Länder zählen, die dem neuen Duo an der Spitze Kolumbiens zum Wahlsieg gratulierten.
Jugend des Landes freilassen
Unter den Gratulant*innen war auch Brasiliens designierter Präsidentschaftskandidat Luiz Inácio Lula da Silva, dem in ein paar Monaten die gleiche Aufgabe wie Gustavo Petro zufallen könnte: die Re-Demokratisierung eines zutiefst korrupten und polarisierten Landes. Eine Mammutaufgabe nicht nur in Kolumbien, wo auf der Bühne neben Gustavo Petro die Mutter des 2019 von einem Polizisten erschossenen Studenten Dilan Cruz stand. Das hatte Symbolcharakter. Gleiches galt für den Appell Petros an den amtierenden Generalstaatsanwalt Francisco Barbosa, die Jugend des Landes freizulassen. Gemeint sind die Aktivist*innen des landesweiten Streiks vom Frühjahr 2021, die oft willkürlich kriminalisiert in Haft sitzen.
Ob der Appell etwas bringen wird, ist zu bezweifeln, denn Barbosa, aber auch etliche andere Funktionäre in staatlichen Institutionen und Kontrollstellen, gehören zum Freundeskreis des noch amtierenden Präsidenten Iván Duque. Sie haben noch ein, zwei oder auch drei Jahre Amtszeit vor sich. Fingerspitzengefühl und eine aktive Zivilgesellschaft braucht der designierte Präsident, um den Umbau des Landes zu gestalten. Dabei könnte sich Petro, dem nachgesagt wird, als Bürgermeister von Bogotá autoritär aufgetreten zu sein, auch selbst im Wege stehen. Fakt ist allerdings, dass sich die Reformagenda nicht in einer Legislaturperiode stemmen lässt. Mit zwei, drei Amtszeiten rechnen die Parteistrategen. Dafür brauchen sie jedoch schnelle Ergebnisse, denn sonst könnte der Aufbruch in die progressive Zukunft Kolumbiens schnell im Frust enden.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 457 Juli/Aug. 2022, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn. Zwischenüberschriften wurden nachträglich eingefügt.
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