Wundersame Bahn CIX / Wer wird Europameisterin?

“Das 9-Euro-Ticket macht krank” ist ein Klick- und Quotenseller. Ein schöner – und verdienter! – PR-Erfolg der ausnahmsweise mal an einem PR-Strang ziehenden Bahngewerkschaften. Seit Jahrzehnten geht jede “Bahnreform” in erster Linie und immer auf die Knochen der Bahnbeschäftigten, die in ihrer Mehrheit längst keine “Bahnbeamten” mehr sind. Doch was folgt nun aus den 9-Euro-Ticket-Lehren?

Darauf können Sie bei diesem Bundesverkehrsminister der FDP/FDP/FDP-Koalition lange warten. Konzept für eine klimaorientierte Verkehrswende? Nicht in Deutschland. Einwander*innen aus fernen Ländern passen sich bereitwillig an. Wenn deutsche Stadtstrassen nicht zugeparkt sind, könnte der Eindruck von Elendsvierteln entstehen. Wenn es hier zu heiss wird, gibt es Proteste wegen streikender Klimaanlagen. Und bei Hochwasser werden Deiche erhöht, und irgendjemand muss zurücktreten.

Die Verkehrsunternehmen, mehrheitlich in öffentlichem also unserem Besitz, haben ein 70-Euro-Ticket vorgeschlagen. Aus ihrer Sicht ein konstruktiver Ansatz. Das wären 840 € im Jahr. Vorwahlkämpfer Markus Söder unterbietet das Angebot mit 365 €. Gleicher Preis wie Österreich, nur für ein etwas grösseres Land. Persönlich bin ich näher bei Söder. Für 70 €/Monat muss ich ca. fünfmal im Monat nach Köln fahren, damit es sich lohnt. Das kommt vor, aber in vielen Monaten auch nicht. Söders Tarif wäre dagegen die passende Ergänzung zu meiner Bahncard50, die in Verkehrsverbünden nicht gilt. Ich bin Rentner. Für Pendler*innen, der ich 18 Jahre war, sieht die Rechnung anders aus.

Was sie alle nicht liefern ist: die Verkehrswende. Der Bahn- und ÖPNV-Betrieb ist nicht Corona-kompatibel, und in seiner jetzige Verfassung von ähnlichen Zusammenbrüchen bedroht, wie die Flughäfen (oder die Alten- und Krankenpflege, und fast alle anderen Dienstleistungsbranchen!). Hierzu ist ein Reformkonzept nötig, das nicht alle beschenken kann, sondern Prioritäten für die Vielen setzen muss, die weniger haben. Das ist mit einer FDP/FDP/FDP-Koalition nicht zu bekommen.

Weil die SPD sich weiterhin in die Hosen scheisst und die FDP uneinsichtig bleibt (sie will ja keine 50%, ihr reichen schon 5), die Partei mit dem Namen “Die Linke” schon weg vom Fenster ist (ganz ohne gegnerische Einwirkung), läuft die deutsche Politik auf Schwarz-Grün oder Grün-Schwarz hinaus. Hierzu bietet sich der Vergleich zwischen NRW und BaWÜ an. Was ist besser? Das ist die Wahl, die bleibt. Rettet die das Klima? Vermeidet die den grossen Krisen-Bang? Oder bringt gerade sie ihn näher?

Werden wir Europameisterin?

In der EU-Politik geht schon lange nichts mehr gegen die Deutschen. So ist es dann ja auch geworden, Krieg direkt nebenan, Krisen-Bang vor der Tür, wie eine Hitzewelle. Nun auch im Fussball der Frauen.

In Kleinbritannien bietet ihre Nationalmannschaft den Trost. Sie scheint unschlagbar, putzt Gegnerinnen mit Kantersiegen weg. Aber die Deutschen siegen auch: drei Spiele, 9:0 Tore, dabei die Favoritinnen aus Spanien geschlagen.

Wenn nun im Viertelfinale die Spanierinnen, was sie spielerisch und sportlich könnten, Kleinbritannien schlagen würden, würde das expandierende Frauenfussball-Business in England wie ein Soufflé zusammenfallen. Das entscheidet sich Mittwoch 21 h. Es gibt also “gute” ökonomische Turniergründe, dass Spanien nicht gewinnen darf.

Dito Deutschland-Österreich am Donnerstag. Gewönne Österreich, was dem Team zuzutrauen ist, hätte Deutschland sein Cordoba-Moment (1978) der Frauen. Die Medienaufmerksamkeit für die DFB-Frauenpläne bräche zusammen, noch bevor der DFB die dem Turnier innewohnenden Chancen erneut (wie 2011) verschlafen könnte. 2 Mio. deutsche TV-Glotzer*innen sind fachlich an Frauenfussball interessiert. 3-4mal so viele glotzen, wenn es deutsch zugeht.

Meine Prognose: diese Spannung entfällt kurz nach dem Anpfiff. Der Spirit in den Teams von England und DFB wirkt PR-strategisch sehr überzeugend, und ist in der Regel bei dieser EM spielentscheidend. Sie würden im Siegfalle erst im Finale aufeinandertreffen. Dann wäre es wie 1966 bei den Jungs. Der Boulevard beider würde mal wieder ausrasten, die TV-Quoten explodieren. Die PR-Maschinen könnten brummen, ohrenbetäubend. Die Spielerinnen wären zu bedauern, einerseits. Andererseits: die Aussichten auf materielle Entschädigung täten sich verbessern. Nicht alles ist schlecht.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net