Deutsche Medien im Sommerloch
“Hitler geht immer” wussten schon Henri Nannen und Rudolf Augstein. Und ZDFinfo weiss es heute noch. Und wenn grad kein Hitler zur Hand ist? Nehmen wir Krieg und Antisemitismus. Und Weissendiskriminierung, das ist mal ganz was Neues. Und siehe, fast alle, die nicht mehr rechtzeitig einen Flieger nach ganz weit weg bekommen haben, lassen sich mental erregen und intellektuell betäuben. Nur schade (und dumm), dass dieses reiche Land so immer dööfer wird, und immer weniger konkurrenzfähig mit der bösen Welt da draussen.
In der Schweiz ist ein Sack Reis umgefallen. Imgrunde nur eine Wiederholung, die schon mal bei der Ortsgruppe Hannover von Fridays For Future – endlich kam die auch mal in die Nachrichten – passiert war. Eine angekündigte Musikgruppe sollte dann doch nicht spielen. Kinderstreit. Kann frau sachlich kommentieren. Aber das wäre wie ein verfrühter Schlusspfiff. Den können sich die prekären deutschen Massenmedien im Sommerloch nicht leisten.
Und die schönen Steilvorlagen von der documenta. Mal was mit Kunst, hatten wir lange nicht mehr. Redakteur*inn*en fürs Feuilleton sind viel zu teurer Luxus. In Berlin und Kassel gibt es Leute, die keinen Platz im Flieger oder im 9-Euro-Ticket-Zug mehr bekommen haben. Die haben auf weiteren Kunstwerken was gefunden. Das ist so bedeutend, dass nun jedes Kunstwerk von Politiker*inne*n (!) mindestens “geprüft” werden muss – oder wir machen es, der führenden Regierungspartei FDP folgend, lieber gleich ganz zu. Da wird der kleine Wladimir aber vor Neid erblassen.
Immerhin: nicht alle drehen durch. Viele sind bis gestern Abend total still geblieben zur Fussball-EM. Wo mann keine Ahnung von hat, besser die Klappe halten. Geht doch.
Erregungsmaschinen verarmen
Wie schlimm die Krise wirklich ist, erfahre ich wie immer aus dem Wirtschaftsteil der FAZ. Die US-Wirtschaft schrumpft. Glaube also kein*e Atlantiker*in, Joe Biden würde noch mal gewählt.
Was noch schlimmer ist: Microsoft meldete nur ein Umsatzwachstum von 12 Prozent auf 51,9 Milliarden Dollar, 500 Mio. $ weniger als erwartet! Der Nettogewinn stieg nur um 2 Prozent auf 16,7 Milliarden Dollar. Ist das nicht herzerweichend und mitleiderregend?
Googles Mutterkonzern Alphabet enttäuscht ebenfalls von Quartal zu Quartal. Die Umsätze von Youtube haben ihr Wachstum abgebremst. Das macht sehr, sehr nervös. Die Umsätze stiegen nur um 5 Prozent auf 7,3 Milliarden Dollar. Wie sollen die damit nur auskommen? Das Geschäft mit Cloud Computing stieg nur um 36 Prozent auf 6,3 Milliarden Dollar.
Die Krone setzt dem aber der Facebook-Konzern Meta auf. Der “schrumpft”! Unvorstellbar aber wahr. Metas Umsatz fiel auf 28,8 Milliarden Dollar. Der Nettogewinn “stürzte” um 36 Prozent auf 6,7 Milliarden Dollar ab. Das Ende ist also nah. Die Zahl der europäischen Facebook-Nutzer*innen ging von 307 auf 303 Millionen zurück – erstes Vorzeichen eines Zusammenbruchs. Oder was meinen Sie?
Was mag in den Aktionär*inn*en dieser Flaggschiffe unserer Informationsfreiheit vorgehen? Werden sie noch bereit sein Steuern zu zahlen? Was, wenn sie alle auf eine einsame Steueroasen ziehen und sich dort einen Atombunker kaufen? Wer entsorgt dann unseren Atom- und Plastikmüll? Ein Ritt auf der Rasierklinge. Ich weiss es doch auch nicht.
Woanders is auch scheisse
Wir hier in NRW haben ja unseren WDR (Onlineaufmacher heute: irgendwas mit Borgholzhausen – so sieht Relevanz aus!). Und den DLF auch, in Köln am Raderberggürtel. Was juckt uns also der RBB? Das ist Berlin wie wir es kennen. Sebastian Köhler/telepolis hat einen freundlichen Brief geschrieben, und bekam wochenlang keine Antwort, so ähnlich wie ich von meinem Lebensvericherungsaufkäufer. Totstellen kann zentrale Strategie eines Geschäftsmodells sein, habe ich daraus gelernt. Irgendwann hat es die Intendantin, die derzeit einen Hals voll Ärger hat, bemerkt, dass das für eine öffentliche Anstalt keine gute Idee ist. Und antwortet selbst. Ein bisschen wie in einer Pommesbude. Geht doch.
Nur schade, dass das den Journalismus, der dort hergestellt wird, noch nicht besser macht. Ich habe aber heute wieder was für Sie gefunden: Interview mit Boris Kagarlitzki geführt von Loren Balhorn/Jacobin: “Putin ist gescheitert – Welche Strategie steckt hinter Putins Angriff auf die Ukraine? Gar keine, meint der russische Soziologe Boris Kagarlitzki. Wie instabil die Macht des Kremls tatsächlich ist und was das für die russische Linke bedeutet”. Angesichts der beschränkten Informationsmöglichkeiten ist manches, was der Mann sagt, spekulativ, vieles aber für uns Ahnungslose als Zeugnis real existierender Gegenwart auch deswegen extrem informativ, weil es fast nirgends hierzulande (in deutscher Sprache) zu finden ist. In einem typisch russischen Hang zur Dramatisierung, ein Hang der uns Deutschen nicht fremd ist, ist Kagarlitzki sich mit dem Berliner-Zeitungs-Autoren Alexander Dubowy einig: in der Erwartung einer “inneren Destabilisierung Russlands mit aktuell kaum absehbaren Folgen.”
Ich bin mir nicht sicher, ob ich das herbeisehnen soll. Wäre ich Russe, täte ich das. Aber die meisten dort wie hier wollen doch nur ihre Ruhe und ihr Leben leben. Die Krise ist, dass Politik und Medien diese Dienstleistung nicht mehr produzieren. Einen deutschen Blindgänger gibts noch hier bei Küppi. Woher der das bloss immer hat?
Und ein kleines Löchlein gibts in der Digitalmauer von Jakob Augsteins Freitag. Durch dieses Löchlein sah ich Johannes Varwick: “Der Ukraine-Krieg muss eingefroren werden – Ein Einfrieren des Kriegs würde den Konflikt nicht lösen – aber alles andere würde in der derzeitigen Lage eine immer weitere Eskalation bedeuten”.
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