Nach dem fehlgeschlagenen Mordversuch auf Argentiniens Vizepräsidentin Cristina Fernández, der am Donnerstagabend auf dem TV-Kanal C5N um 20:52 (Ortszeit) live übertragen wurde, sind wir heute den 12ten Tag hintereinander auf die Strasse gegangen, um die Demokratie zu verteidigen. Während Cristina wie jeden Tag vor dem Eingang des Hauses ihrer Wohnung im mondänen Stadtteil Recoleta, Buenos Aires, AnhängerInnen in ihr Kultbuch „Sinceramente“ Widmungen schrieb, tauchte plötzlich ein junger Mann auf, der ihr auf Schmauchspurdistanz eine 38er vors Gesicht hielt und zweimal abdrückte. Die Waffe streikte, wie ein guter Peronist. Der Attentäter wurde nicht von Sicherheitskräften sondern von Anhängern Cristinas ueberwältigt.

Es handelt sich um einen 35jaehrigen, in São Paulo geboren, der seit seinem 10. Lebensjahr in Argentinien lebt. Unter seinen mannigfaltigen Tätowierungen konnte ich mehrere typische Nazi-Symbole entdecken: die schwarze Sonne, das Eiserne Kreuz, SS-Runen. In dieser Konstellation sind die in der Neuen Welt typisch für Bolsonaro-Anhaenger. Jair Messias hat deutsch-italienische Vorfahren (Nationalsozialismus/Faschismus). Vor kurzem lag der gegen den nach dem illegalen Lawfare-Verfahren gegen Luiz da Silva noch mit 30 Prozentpunkten zurück (im Oktober sind Präsidentschaftswahlen in Brasilien). Mittwoch berichteten mehr oder minder seriöse Umfragen von einem technischen Patt. Das, nachdem es in den vergangenen Wochen immer wieder Mordanschläge gegen Mitglieder und Sympathisanten von Lulas Arbeiterpartei (PT) gab, einige „erfolgreich“. Die USA sind fickerig, in Brasilien wird gewählt, in Argentinien nächstes Jahr, und die Chilenen entscheiden am Sonntag über ihre neue Verfassung. Das dort bei den US-Vasallen tatsächlich für die erste demokratische Verfassung seit der Pinochet-Diktatur gestimmt wird, bezweifle ich. Schon weil ich über die CIA-Operationen vor Ort auf dem Laufenden bin. Hoffentlich täusche ich mich.

Das fehlgeschlagene Attentat in Buenos Aires erinnert sehr an das nicht fehlgeschlagene auf Rudi Dutschke. Die damalige Springer-Hetze betreiben heuer in Buenos Aires „Clarín“ und „La Nación“, die seit der letzten zivil-militärischen Diktatur Argentiniens (1976-1983) definitiv Dreck am Stecken haben und aber die auflagenstärksten Medien sind. Clarín hat überdies landesweit das gesamte Kabelfernsehen unter seinen Fittichen. Sie predigen Hass. Sie haben das Monopol dafür. Das geht, weil es in Argentinien keine Rechtssicherheit gibt, Teile der Juztiz sind korrupt.

Meine Waffenkenntnis sagt mir, dass der Täter die Pistole entweder mit 9mm-Munition bestückt hat (funktioniert, muss man aber richtig machen), oder dass er das Magazin nicht korrekt eingesteckt hat. Beides deutet auf einen Amateur hin. Die Qualitätsmedien reden von einem vermeintlichen Auftragskiller respektive einem verwirrten Einzeltäter. (Mit anderen Worten, sie haben keinen Blassen.) Letzteres kennen wir von Lafontaine und Schäuble. Dahinter steckt immer dasselbe. Politik, Medien und zum Teil auch die Justiz wollen sich von allem reinwaschen, sie waren nicht dabei, sie haben nichts gehört, nichts gesehen und warum sollten sie also etwas anderes sagen, als diese mentalen Scheusslichkeiten, für die man sie ja schliesslich so über alles liebt. Sie sind total unschuldig. Sie werden weitermachen. In Argentinien, in Deutschland, überall. Zum Glück ist die Evolution in Argentinien mittlerweile fortgeschrittener (entwickelt sich nach vorne, in Deutschland erschreckenderweise zurück). Hugh.

Über André Dahlmeyer, Buenos Aires:

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