Im täglichen Wechsel der Kriegsberichterstattungen, von denen sowieso die wenigsten verifizierbar erscheinen, ragen doch die einen oder anderen Meldungen heraus – oder sollten es zumindest. Da war zum einen die unterirdische Rede des Angreifers und Usurpators Vladimir Putin vom letzten Freitag. Mit gespielt mitleiderregenden bis drohenden Gesten konnte er sich nicht entscheiden, ob er nun die Rolle des armen, von aller Welt überfallenen und bedrohten Mütterchen Russland spielen oder den coolen, souveränen atombombenstarrenden postsozialistischen Apparatschik mit Botoxface mimen sollte. Heraus kam irgendetwas zwischen Entsetzen des Publikums und Lächerlichkeit genau dazwischen.
Allerdings – und einige Zeitungen in der Bundesrepublik berichteten es korrekt, hat Putin auch etwas für manche Beobachter unerwartetes getan: Er hat Verhandlungen angeboten. Bereits in meinem Feiertagsbeitrag zum Tag der Einheit habe ich darüber berichtet und die mangelnden Aktivitäten, oder besser die Arbeitsverweigerung der Aussenministerin, kritisiert. Nun hatte gestern der ukrainische Präsident nichts anderes zu tun, als ein Dekret zu unterzeichnen, das jedermann direkte Verhandlungen mit Putin unter Strafandrohung verbietet. Darin verbietet also Selenskij, was er vor wenigen Monaten noch gefordert hat: ausschließlich direkte Verhandlungen mit Vladimir Putin.
Viele Fragen – jedenfalls bei mir
Ich war einigermaßen perplex, weil ich mich gefragt habe, an wen oder gegen wen sich dieses Dekret denn eigentlich wendet. Will Selenskij damit anderen Ukrainern verbieten, mit Putin zu verhandeln? Wen mag er damit gemeint haben? Kann er seiner persönlichen Umgebung nicht mehr trauen? Vollkommen unwahrscheinlich. Will er der EU, den USA oder Dritten verbieten, in seinem Namen mit Putin zu verhandeln? Wer käme auf diese Idee? Wollte er sich selbst verbieten, zu verhandeln? Viele Fragen, die im Berlin niemand dem noch-Botschafter Melnyk stellt. Ist das wieder die bekannte Methode der ukrainischen Regierung und des ukrainischen Parlaments, sich selbst gegen den Knoten zu schieben?
Die Ukraine bindet sich und ihrer Regierung die Hände
Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Ukraine selbst fesselt. Schon im Frühjahr, als Selenskij noch vehement die direkten Gespräche mit Putin einforderte, hatte er für mögliche Verhandlungen eine schwere Hypothek zu tragen. Da der EU-Beitritt und der Beitritt zur NATO inzwischen Bestandteil der ukrainischen Verfassung sind, hätte Selenskij das, was er in der Öffentlichkeit Russland anzubieten bereit war, nämlich militärische Neutralität und Blockfreiheit, eigentlich gar nicht hätte verhandeln dürfen, ohne gegen die eigenen Gesetze zu verstoßen. Was diese Strategie soll, darüber könnten nur diejenigen Auskunft geben, die diese Strategie beschlossen haben. Aber niemand fragt sie.
Warum stellt niemand diese Fragen?
Könnten diese Fragen das “geschlossene Bild” der EU und die einseitige Sicht der Dinge ins Wanken bringen? Könnte damit der oberflächliche Eindruck überspielt werden, dass die Ukraine derzeit zwar Geländegewinne zu verzeichnen hat, und sich durchaus ihre Verhandlungsposition verbessert hat, dass aber kritische Nachfragen, ob die Ukraine ernsthaft glaubt, diesen Krieg militärisch gewinnen zu können, nicht gewünscht sind? Es stellt sich zum wiederholten Mal die Frage nach den Kriegszielen. Geht es der Ukraine nach wie vor darum, den russischen Angriff zurückzuschlagen und die besetzten Gebiete zu befreien? Oder was ist damit gemeint, wenn immer häufiger von westlichen Politiker*innen davon gesprochen wird, dass die “Ukraine siegen” müsse. Nochmal: das ist etwas anderes, als wenn der Kanzler sagt, “Putin darf nicht gewinnen!”
Passivität unverantwortlich
Letztendlich geht es um die Frage, ob sich Europa um jeden Preis von Selenskij in eine Eskalation des Krieges ziehen lässt. Derzeit deuten alle Anzeichen darauf hin, dass weder die Bundesregierung, noch die EU eine Strategie haben, und schon gar keine gemeinsame. Das kann sich schnell als tödliches Risiko erweisen. Für die Ukraine und für den Westen. Die Passivität der Bundesregierung, insbesondere die Arbeitsverweigerung der Außenministerin, Chancen für Verhandlungen auszuloten, sind eine Gratwanderung zwischen Versagen und Unfähigkeit. So wird das Gewicht Deutschlands innerhalb der EU nicht gestärkt. Und das ist schon gar nicht die Führungsrolle, die der Bundeskanzler zukünftig bei der Verteidigung Europas einnehmen möchte.
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