Wenn Staatsmänner reden, besteht die Kunst der Rezeption nicht nur in der Übersetzung in andere Sprachen, sondern auch darin, den Jargon zur Kenntlichkeit zu dekodieren. Letzteres überlasse ich im Folgenden Ihnen selbst. Mann kann das lernen. Und Frau auch. Und der Einfachheit halber die gute Nachricht zuerst. Wenn Sie keine schlechten mögen, hören Sie danach mit dem Lesen auf. Die gute Nachricht ist der neue alte brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva.

Es war dann knapper als von Demoskop*inn*en vorhergesagt. Aber 2 Millionen Vorsprung reichen aus, um einmal tief Luft zu holen. Die Kolleg*inn*en von telepolis haben seine gestrige Rede freundlicherweise übersetzt online gestellt. Überzeugen Sie sich also selbst.

Die gute Nachricht ist hier zuende. Es gibt zwei empfehlenswerte Texte zur Fortdauer des sog. “Bolsonarismus”. Forschen Sie selbst, was diese Wortschöpfung soll, und wie der Verzicht auf den Begriff Faschismus begründet ist:

Niklas Franzen/Blätter: “Nicht totzukriegen: Das Gespenst des Bolsonarismus”

Matthew Richmond/Jacobin: Die rechtsextreme Politik von Bolsonaro ist noch immer massentauglich – Am Sonntag steht Brasilien vor der Stichwahl. Lula gilt als Favorit. Doch die Wahlergebnisse der ersten Runde zeigen, dass Bolsonaro eine Basis aufgebaut hat, die so schnell nicht wieder verschwinden wird.”

Der andere Staatsmann

“Staatsmann” ist keine Bewertung, sondern Feststellung eines Fakts. Das wiederum ist eine notwendige Bedingung für eine praxistaugliche Aussenpolitik. Unter diesem Gesichtspunkt gibt es aktuell nur wenige Dokumente, die wichtiger sind als dieses, das die Berliner Zeitung dokumentiert hat: Das große Banner des Sozialismus chinesischer Prägung hochhalten und vereint für den umfassenden Aufbau eines modernen sozialistischen Landes kämpfen — Bericht auf dem XX. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (16. Oktober 2022).” Kürzere Auszüge an dieser Stelle.

Aus der Welt da draussen

Die Kolleg*inn*en von telepolis und overton haben sich heute um meine politische Weiterbildung wieder verdient gemacht. Es ist nur leider keine gute Nachricht dabei. Nur das Ausmass ihrer Schlechtigkeit mag sich unterscheiden – das hängt ganz von Ihren eigenen Massstäben ab. Ich liste hier auf, was meinem Denken nützlich war, und Sie entscheiden selbst, welche Pralinen sie wählen.

Die linken Kongressmitglieder der US-Demokraten haben – mutmasslich nicht nur mir – in den letzten Tagen unlösbare Rätsel aufgegeben. Der erste Erklärungsversuch, der mir das überhaupt gedanklich zugänglich macht, ist dieser: Leon Gerleit/telepolis: USA: Keine Chance für die “Progressiven” in der Außenpolitik – Demokratische Abgeordnete forderten in einem Brief das Weiße Haus zu direkten Gesprächen mit Russland auf. Das Schreiben wurde schnell wieder zurückgezogen, weil anderes wichtiger ist als Verhandlungen mit Russland.”

Florian Rötzer/overton; Israel und die Atomwaffen, über die man nicht spricht – Abstimmungen in der UN-Generalversammlung zeigen, dass Israel und die USA, aber auch „der Westen“ ziemlich isoliert sind.”

Matthias Lindner/telepolis: Nur noch fast beste Freunde: USA und Europa steuern auf Handelskrieg zu – In der Krise denkt jeder als Erstes an seine eigene Wirtschaft – nur Europa nicht. Noch nicht. Sollte die USA allerdings nicht im Streit um Subventionen einlenken, könnte es bald heißen: Buy European first!”

Christoph Jehle/telepolis: Lieferstopp aus China? – Lange Zeit war China die bevorzugte Quelle für preiswerte Produkte für den europäischen und den US-Markt. Doch die Marktposition der Volksrepublik hat sich geändert. Nun will Beijing dem Westen den Marktzugang erschweren.”

Jürgen Hübschen/overton: Die Anschläge auf die Nordstream-Pipelines – wer ist dafür verantwortlich zu machen? – Was im Falle des Anschlags auf Nord Stream ermittelt wurde, bleibt geheim. Aber dennoch ergibt sich ein Bild der Umstände: Es scheint gesichert zu sein, dass die USA beteiligt waren – wie selbst amerikanische Beobachter attestieren.”

Ralf Streck/telepolis: Rekordverlust: Französischer Atomkonzern macht Dutzende Milliarden Miese – Weil im Sommer fast die Hälfte der maroden Atommeiler ausfiel, verlor der Energiekonzern EDF mindestens 32 Milliarden Euro. Er steht kurz vor der vollen Wiederverstaatlichung. Für “billigen” Strom zahlen Steuerpflichtige drauf.”

Und zum Abschluss das in meinen Augen ekelhafteste innenpolitische Thema NSU. Es wird nie zuende sein. Die Behandlung der Opfer ist bis heute politisch und menschlich unterste Schublade. Sie und ich dürfen sich für “unser Land” mit Fug und Recht schämen. Thomas Moser/overton: NSU-Ausschuss: Die Taschenlampen-Bombe von Nürnberg entwickelt sich zum Rätsel – Auch nach der Vernehmung des Opfers im Landtagsgremium bleiben zahlreiche Widersprüche – Weitere Aktenlöschung zum V-Mann Dalek bekannt geworden – Eine Bestandsaufnahme”

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net