Die Europäische Zentralbank hat den Leitzins auf 2% erhöht. Das ist der Zinssatz, für den sich die Banken bei der EZB Geld leihen. Das bedeutet, dass Geld, das wir, die Verbraucher:innen, die Häuslebauenden, die Unternehmer:innen, Handwerkenden und  alle, die gerade die Energiewende voranbringen wollen, davon abgehalten werden, dies zu tun. Bäckereien, Metzgereien, freie Lebensmittelhändler und die Landwirtschaft müssen nicht nur Teuerungen bei Rohstoffen, Futtermitteln, Energie, Düngemitteln und Chemie kompensieren, sie können sich auch die Kredite für die Überbrückung für die Dauer des Krieges nicht mehr leisten.

Gewinner dieser Zinserhöhung sind die Spekulanten mit Energie und Rohstoffen, deren Geschäfte noch besser laufen. Denn diese Inflation ist keine Inflation, für die die Instrumente der Finanzpolitik in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts einmal erdacht wurden. Als Mitte der 70er Jahre die Inflation sechs oder gar acht Prozent betrug, die Konsumgüterpreise sich bis zu zehn Prozent erhöhten und die Gewerkschaften 14% Lohnzuwachs forderten und 10-12% durchsetzten, sprachen die Volkswirtschaftler von Konjunkturüberhitzung. Was folgte, waren Zinserhöhungen und in deren Folge eine Abschwächung der Konjunktur, Wirtschaftskrise und Rückgang der Investitionen. Die Konsument:inn:en kauften nicht mehr auf Teufel komm raus, und das scheue Reh flüchtiges Kapital wanderte damals in die USA ab, die mit ihrer Hochzinspolitik internationale Investoren anlockten, um die nach dem Vietnamkrieg schwächelnde US-Wirtschaft wieder anzukurbeln.  Als diese in den 80er Jahren aufgrund der Hochzinspolitik wieder ins Stottern kam, wurden die Zinsen langsam gesenkt.

Von acht bis null Prozent

Es folgten die Finanz-Spekulationsblase der späten 80er und die Blase des Aktienbooms am “neuen Markt” der IT -Wirtschaft, die 2002 in ein schwarzes Loch verpuffte. Kurz danach entdeckten US-, britische und deutsche Banker die Immobilienwirtschaft und die Kunst, jede Menge faule Kredite ohne Gegenwert mit normalen Immobilienaktion zu bündeln und mit gezinkten Aktienpaketen zu handeln. Die Folgen sind bekannt, die Finanzkrise 2008/2009, in der die Staaten trotz krimineller Bankenmachenschaften diesen die Existenz retteten, weil sie “systemrelevant”,  das heisst, zu groß geworden waren, um sie scheitern zu lassen.  Seither bewegten sich die Zinsen der Zentralbanken um oder gar unter Null, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Gleichzeitig verordnete die EU ihren Mitgliedsstaaten eine strikte Spar- und Austeritätspolitik. Dass Infrastruktur, wie die Autobahnbrücken in Leverkusen und Lüdenscheid, so katastrophal ist, wie sie ist. Und dass Griechenland den Hafen von Piräus an China verkauft hat, was jetzt kritisiert wird, war ein Folge der Austeritätspolitik der EU, die Griechenland veranlasste, sein “Tafelsilber” loszuschlagen.

Zinserhöhung wird nicht helfen, weil diese Inflation anders ist

Science-Fiction zu lesen, kann helfen, die Phantasie anzuregen und über den Tellerrand hinaus zu schauen. Wenn Außerirdische landen, die mit einer unbekannten Strahlung jede Schusswaffe und Rakete unwirksam machen, nutzt es nichts, mehr Schusswaffen und Raketen zu bauen. Die gestern von der EZB vorgenommene Zinserhöhung wird vermutlich nicht helfen, sie wird ihren Zweck verfehlen, weil es eine Maßnahme ist, die auf ein System passt, das sich inzwischen völlig verändert hat.

Gehen Sie mal in die Nationalgalerie

Meine Vor-Abiturklasse war beim obligatorischen Berlin-Besuch in der damals geteilten Stadt in der Nationalgalerie. Die Bilder von George Grosz und vielen anderen aus den 20er Jahren zeigen Rüstungsbonzen, Kriegsgewinnler, Spekulanten, Schieber, Industrielle der Rüstungswirtschaft. Es lohnt sich, diese Kunst gerade heute zu betrachten, denn sie gibt Impulse, über die unaufgearbeiteten Folgen des ersten Weltkriegs nachzudenken, an den viele Mechanismen in diesen Tagen erinnern.

Wenn Kriegsgewinnler in der aktuellen Krise des Ukrainekriegs die Lebensmittelpreise, wie den für Butter, erhöhen, der nichts mit dem Krieg zu tun hat, wenn alle möglichen Güter ohne Begründung 20-30% teurer werden, wenn monatelang der Dieselpreis in Deutschland über 2,10 Euro liegt, in Frankreich aber zwischen 1,75 bis 1,85, dann wird sich das nicht durch eine Zinserhöhung der EZB ändern. Die Erhöhung des Leitzinses wird den Zweck, zu dem sie erlassen wurde, voraussichtlich nicht erreichen. Sie wird, so steht zu befürchten, die Energiewende behindern, viele kleine und mittlere Unternehmen noch mehr belasten und die Krise verschärfen, anstatt sie zu lindern.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net