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Ungetwitterte Weihnachtsmusik

Derzeit ist Twitter-Bashing das Gebot der Stunde, viel wichtiger sind aber die Geschenke zum Fest, die wir vorbereiten müssen – hätte ich was, kommt später. Vorher natürlich Bashing, aber nicht nur Twitter, so groß sind die auch nicht. Stellen wir uns einfach mal vor, wir gehen wohlgelaunt in die Stammkneipe (oder in den Kindergarten) und wenn ich rausgehe, dann sehe ich schnell nach, wer mir ein „Like“ gespendet hat und verteile sie selbst an Freunde, die mir an diesem Abend besonders gefallen haben.

Unter den „Likes“ und „Dislikes“ kann ich schnell aussortieren, wer zu meinen Freunden gehören soll. Aber dazu kommt es nicht, denn der Kneipenwirt, der alle kennt, trifft noch schnell eine Auswahl, die seinen Umsatz kräftiger ankurbelt. Ich vertraue ihm, letztlich hab ich ihm schon mein ganzes Leben anvertraut.

Und wenn mir der Wirt nicht mehr passt? Dann wechsel ich die Kneipe. Außerdem soll mir der Wirt nicht reinreden.

So ähnlich muss ich mir Mastodon (kurze Einführung allgemein bei Digitalcourage oder bei Bonn Digital) vorstellen. Das hört sich zwar an, wie eine hochwirksame Hämorrhoidencreme, für den Fall, dass mir Twitter tatsächlich am Arsch vorbei geht, ist aber eine wunderbare schlagkräftige Abwehrmaßnahme im täglichen Informationsterror von Plattformen wie Twitter. Statt zwitschern werde ich tröten. Und der Zuwachs für ein OpenSource Projekt, das seine Wurzeln hier in Deutschland hat, ist derzeit enorm.

Im Gegensatz zu Twitter ist Mastodon dezentral, steht auf vielen Füßen – das kann niemand am Stück kaufen und dann nach nach seinem Gusto abledern über Freunde und Feinde. Nun dürfen wir nicht glauben, dass der reichste Mann der Welt so eben mal 40 Milliarden wegwirft, weil er einfach zu viel davon hat. Alles was jetzt im Überschwang auf Twitter ausgeschüttet wird, dient Elon Musk sein Twitter im Markt noch schwungvoller zu revolutionieren – Hauptsache Krawall, der Rest der Meute stürzt sich begierig darauf.

Er kann mit uns machen, was er will – denn die Trägheit der Masse richtet es in seinem Sinne. Die Begabten unter uns eröffnen schnell ein Konto bei Mastodon, zum Beispiel genau hier – natürlich ohne den Zugang bei Twitter zu löschen. Dann warten wir auf Krawall, aber da kommt nix, sondern nur das, was wir bestellt haben.

Es gibt keine Timeline, die von Algorithmen inszeniert das lauteste Geschrei nach oben treibt und genau die anzieht, die noch lauter schreien wollen – und dann auch müssen, um überhaupt gehört zu werden.

Elon Musk muss sein Twitter monetarisieren, vielleicht sollte der bei den Regierungen anfangen und satte Gebühren nehmen, wenn sie etwas auf Twitter abzwitschern wollen, denn mittlerweile ist es fast schon Usus alles vorab über diesen Kanal rauszublasen,

Nebenbei fallen die geliebten Metadaten an. Daran laben sie sich und verkaufen unsere Seelen, denn mit dem Wissen über mich und dich füttern sie ihre Rechenwerke, berechnen, was wir morgen brauchen und wem wir unsere Stimme geben. Das hat sich schleichend in der Masse festgesetzt – alles andere sind Nerds, die auf Freiheit, Wohlstand und Luxus verzichten.

Ein Blick zurück zeigt uns das geniale Empfehlungssystem von Amazon. Führend an der Seite von Jeff Bezos zeichnet Andreas S. Weigend dafür verantwortlich (wer die Gelegenheit hat, ihn einmal bei einem Vortag zur hören, es lohnt sich). Daraus haben Twitter und Co ihre umfassende Wertschöpfung kreiert.

Er sieht es als Datendilemma sagt er der Handelszeitung aus der Schweiz und fragt „Wie viel würden Menschen zahlen, nur damit Google nicht abgestellt wird.“ So weit wird es nicht kommen, aber Sanktionen gegen Datenmissbrauch sind unmöglich, „selbst Milliardenstrafen bringen hier rein gar nichts.“ sagt Weigend, hat aber einen Vorschlag: „Am stärksten wirkt da wohl das Gefängnis.“

Dennoch war das Empfehlungssystem in seinem Ursprung sinnvoll und praktisch, die Daten blieben beim Händler und wurden nicht an Data-Broker verhökert. Was sich so harmlos anhört, Data-Broker, das ist ein Multi-Milliardengeschäft und gibt Google, Twitter und Co alle Macht, nicht besser als das verpönte Social-Scoring in China – aber die sind wenigstens ehrlich.

Also arrangieren wir uns, leben damit, dass Twitter weiter als offizielles Verlautbarungsorgan von Regierungen und Ministerien erhalten bleibt. Ein Umdenken ist schon schwierig genug, aber dann noch eine neue App für Mastodon installieren? Von denen, die sich für „digital natives“ halten, weil sie Oma WhatsApp einrichten konnten? Oder die dämliche Gans in Gelsenkirchen, die zur Polizei rennt, weil ihre Webcam von ihrem Katzenfütterungsautomaten  im Internet auftaucht.

Es ist doch alles so einfach, die komplizierten Dinge machen andere für uns. Schalte ich Apple Music (oder Spotify, Soundcloud u.a.) ein, dann werde ich überfallen mit nutzlosen Empfehlungen, die sie aus meinem Hörverhalten glauben heraus lesen zu können. Ich fühle mich ausgewertet, überwacht.

Geht auch anders, jetzt kommt das Weihnachtsgeschenk, aber die Warnung zuvor: Es muss eine App installiert werden! (is also nix für die „digital natives“, die können Oma vielleicht noch bereal draufpacken, dann gibt es täglich ein Foto von Opa oder ein Oma-Selfie mit der neuen Faltencreme)

Der Blick über den Tellerrand hält Goldstückchen bereit: Ein bissel Musik im Hintergrund, nicht aus irgendeiner verkorksten Playlist und ohne Werbung, einfach unterhaltsam. Da hätte ich was: Jazzradio (nicht nur Jazz) aus Frankreich, die Apps dazu im Appstore oder im Spielezoo (Android)

Deutschrock- oder Heino-Fans brauchen es nicht, anderen steht eine Vielzahl von Genres zur Wahl. In der nächsten Zeit bringt z.B. „Jazz Radio Christmas Jazz“ eine internationale Weihnachtsstimmung ans Ohr. Wer sich in der üppigen Auswahl verliert, der probiert meinen persönlichen Favoriten „Jazz Radio Black Music“.

In den unendlichen Weiten des Internets findet sich manche Perle und sehr viele sinnvolle und großartige Alternativen. Leider reichen nicht die ersten Treffer bei Google oder irgendein getwitter, die haben ganz andere Interessen.

Über Christian Wolf:

Christian Wolf (M.A.) ist Autor, Filmschaffender, Medienberater, ext. Datenschutzbeauftragter. Geisteswissenschaftliches Studium (Publizistik, Kulturanthropologie, Geographie), freie Tätigkeiten Fernsehen (RTL, WDR etc.) mit Abstechern in Krisengebiete, Bundestag Bonn und Berlin, Dozent DW Berlin (FS), Industriefilme (Würth, Aral u.v.m), wissenschaftliche und künstlerische Filmprojekte, Projekte zur Netzwerksicherheit, Cloudlösungen. Keine Internetpräsenz, ein Bug? Nein, Feature. (Digtalpurist)

2 Kommentare

  1. Der Maschinist

    #CyberFriday im @extradienst! Vielen Dank dafür! 👍

  2. Martin Böttger

    Yessir!

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