Über die notwendige Auseinandersetzung mit Schwarzen Männlichkeiten
Schwarze Männer: Arbeitskräfte im Sklavenstaat Brasilien. Haben die höchste Sterblichkeitsrate. Schulabbrecher. Nr. 1 in der Rangliste bei Häftlingen und Arbeitslosen. Besonders anfällig für Covid-19. Ein Großteil beschäftigt im informellen Sektor, im Dienstleistungsbereich und häufig sehr prekär. Die meisten von der „Uberisierung“ (1) der Arbeit betroffen. Das sind die Schwarzen Männer, über die viel gesprochen wird, die selbst aber wenig zu Wort kommen. Wir teilen die Erfahrung, Schwarze Brasilianer zu sein, und das schafft Gemeinschaft, bringt uns dazu, zusammen darüber nachzudenken, insbesondere bei der „Runde Schwarzer Männer“, die seit einigen Jahren in Mexiko-Stadt stattfindet. Dieser Artikel ist das Ergebnis aus unseren Gesprächen, aus unserer Suche nach Gemeinsamkeiten und nach Antworten auf die Frage, wie wir Schwarze Männlichkeit definieren. Es geht uns nicht nur um eine akademische Agenda, eine politische Plattform und auch nicht nur um Zustimmung oder Intimität. Wir ringen um unser schöpferisches Potenzial.
Wir schreiben über uns selbst, wir wollen reden, aber auch zuhören. Wir sind zwei Schwarze Männer. Wir kommen aus unterschiedlichen Orten, unsere Geschichten, Erfahrungen und Eigenschaften unterscheiden sich. Das ist normal, so sind wir Menschen nun einmal.
Um das Leben kämpfen und unserem Tod Bedeutung verleihen
Ein Schwarzer Mann in Brasilien zu sein, bedeutet zwangsläufig, über Leben und Tod zu sprechen. Die Möglichkeit des Todes selbst bestimmt unsere Bedeutung in der Welt. Wir reden über ein Land, in dem der Tod Schwarzer Männer zur Tagesordnung gehört, in dem alle 23 Minuten ein junger Schwarzer Mann getötet wird, in dem die Gefängnisse hauptsächlich für uns bestimmt sind. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass die strukturellen Bedingungen ein Projekt des Völkermords an der Schwarzen Bevölkerung schaffen, das seit mindestens 150 Jahren im Gange ist. In diesem Projekt der Ausrottung nimmt der Tod des Schwarzen Mannes ein wichtiges Kapitel ein. Wir müssen also für das Leben kämpfen und gleichzeitig unserem Tod Bedeutung verleihen.
Das brasilianische „Jahrbuch für öffentliche Sicherheit 2020“ verzeichnet einen deutlichen Anstieg der Gewalt im Vergleich zum Vorjahr. Und das trotz der Corona-Pandemie, die unter anderem dazu führte, dass weniger Menschen im öffentlichen Raum unterwegs waren. Laut demselben Jahrbuch sind die Zahlen zu Verbrechen gegen Leib und Leben zwischen 2017 und 2019 insgesamt zurückgegangen (dabei wird allerdings nicht berücksichtigt, wie hoch dabei der Anteil von Todesfällen bei Schwarzen war), während gleichzeitig die Einstellung von privatem Wachpersonal stabil blieb und die Einnahmen privater Sicherheitsunternehmen stiegen. Mit anderen Worten: Rückläufige Gewaltdaten bedeuten nicht immer geringere Investitionen und Gewinne bei privaten Sicherheitsunternehmen. Gewalttaten und Todesfälle belasten die öffentlichen Kassen mit 92 Milliarden Reais (etwa 400 Millionen Dollar) pro Jahr. Das sind sehr hohe Investitionen, die in einem Pandemiejahr den Gewinn im privaten Sicherheitsmarkt wachsen und die Todesfälle von Schwarzen ansteigen lassen.
Der strukturelle und strukturierende Charakter des Rassismus in unserer Gesellschaft beeinflusst die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen. Die Begriffe „institutioneller“ und „struktureller“ Rassismus sind keine Abstraktionen unserer Erfahrungen, sondern Bezeichnungen für das, was wir tagtäglich erleben. In ihrer Studie über Rassismus im brasilianischen Gesundheitssystem analysiert Jurema Werneck, Direktorin von Amnesty International Brasilien, Praktiken, Strategien und Normen, die Diskriminierungen bewirken. Das fängt bei der Führungsspitze an und sorgt für Machtstrukturen, die den Rassismus immer weiter aufrechterhalten. Der Rassismus zeigt sich in Kliniken und bei der Geburtshilfe, bei nachlässig ausgefüllten Fragebögen bei der Pflege bis hin zur fehlenden Registrierung der Ethnie der behandelten Person, was zur Folge hat, dass in der Hinsicht kaum Daten für die Kontrolle und Bewertung der Gesundheitspolitik produziert werden.
Die Schwarze Gemeinschaft
Die Mechanismen anhand rassistischer Unterscheidungskriterien, die wir ständig zu spüren bekommen, funktionieren mit großer Dynamik und beeinflussen unser ganzes Leben, auch im Hinblick auf unsere Altersgruppen, Einkommensklassen, Sexualitäten und sozialen Schichten. Wir sprechen hier mit dem vollen Bewusstsein, dass wir eine Schwarze Gemeinschaft sind. Wir haben unsere Geschlechter, unsere sexuellen Orientierungen, Altersgruppen, unseren Geruch und die Hautfarbe – was alles über Klischees hinausgeht.
Wenn wir uns also in diesem Text und in unseren Überlegungen direkt auf die Erfahrung des Schwarzen Mannes konzentrieren, können wir keineswegs nur von uns selbst sprechen. Die Schwarze Gemeinschaft besteht aus Frauen und Männern, cis und trans, sowohl im Rahmen unseres überlieferten Rollenverständnisses als auch im Hinblick auf unsere Erfahrungen mit dem Kolonialismus. Unsere Familien wurden vernachlässigt. Unsere Instabilität wurde auf die Spitze getrieben. Die Chancen, die sich uns boten, waren mit einem fantastischen Versprechen verbunden. Das Patriarchat versprach uns die Chance auf Erfolg und verlangte von uns Macho-Gehabe, den Verzicht auf unsere Gemeinschaft, den Verzicht auf unser Begehren, die Zurschaustellung unserer vermeintlichen Männlichkeit. Wenn wir eitel werden und diesen Deal annehmen – in der Erwartung, dass wir im Gegenzug eine gewisse institutionelle Etablierung und persönliches Wachstum erreichen –, ist der Rückschlag doppelt hart: Der Rassismus blockiert gewaltsam den Erfolg, den der Machismo in den weißen Institutionen verspricht, und im Gegenzug werden wir ohne Fundament zurückgelassen, da unsere Gemeinschaft das Vertrauen in uns verloren hat, nachdem wir die anfänglichen Bande durchtrennt hatten. Dies ist die Dynamik einer Männlichkeit, die angesichts des rassistischen Patriarchats als subalterne, also als unterlegene Männlichkeit angelegt ist.
Hegemoniale und subalterne Männlichkeit
Der US-amerikanische Soziologe Michael S. Kimmel versucht, die Phänomene race, Männlichkeit und wirtschaftliche Entwicklung miteinander zu verbinden, indem er aus den Konzepten von Entwicklung und Unterentwicklung die Begriffe der hegemonialen Männlichkeit und der subalternen Männlichkeit ableitet und damit die Aufmerksamkeit auf die Wirkung von Machtbeziehungen lenkt. Kimmel weist auf Begleiterscheinungen hin, etwa wie sich die europäische Entwicklung auf die lateinamerikanische Unterentwicklung auswirkt, sowie auf die Entstehung von Metropolen und Peripherien. Der Autor geht davon aus, dass dies bei der Männlichkeit nicht anders ist, die durch ideologische Auseinandersetzungen, Erzählungen und Aufbürdung sozial konstruiert wird. Schwarzen Männern wurde der Platz in der Fabrikhalle, in untergeordneten Positionen und in der Arbeitslosigkeit zugewiesen.
Wenn wir es jedoch dabei belassen, bleibt unsere Analyse an der Oberfläche. Wir müssen die Aufmerksamkeit auch darauf lenken, dass der Platz des Schwarzen Mannes als eine vom Anderen konstruierte Kategorie geschaffen wird, indem wir die Daten von Tod und Gewalt, die uns erreichen, nicht mehr als normal hinnehmen. Der afrobrasilianische Soziologe Henrique Restier bezieht sich in einer Studie (2) auf die Ankunft von fast fünf Millionen versklavten Afrikaner*innen auf brasilianischem Boden, mehrheitlich junge Schwarze Männer, die durch ihre physische Stärke und körperliche Vitalität entsprechend objektiviert und zur Ware gemacht wurden. Zu dieser Zeit entstanden in Brasilien zwei grundlegende Momente zur Erforschung von Männlichkeiten: Potenz und „mestizaje“ (Bevölkerungsmischung von Kolonisierten und Kolonisierenden).
Hat die Schwarze Männlichkeit also womöglich ihre eigenen Regeln, oder ist sie etwa eine mangelhafte Version der weißen Männlichkeit? Einige Aspekte erscheinen uns dabei wichtig. Zunächst ist sie mit einer afrikanischen Abstammung verbunden, die ihre eigenen Wege, Konflikte, Freuden und ihr eigenes „axé“ (3) hat. Des Weiteren kollidiert sie mit diasporisch-kolonialen Prozessen, die ihre eigenen Kämpfe, Spiegel, Masken und Übergänge haben. Schließlich gibt es einen historischen Prozess im Land, in dem die interne Kolonialität mit den territorialen Konflikten verbunden ist, die die kolonisierten Nationen bestimmen.
Unterwerfung unter die feindseligsten Räume
Im Hinblick auf Brasilien halten wir es für wichtig, auf die herrschende Ideologie zu verweisen, die den Schwarzen Mann zu einer Art Nicht-Mann macht. Dabei stützen wir uns auf die Untersuchungen zur Schwarzen Männlichkeit, die bereits von dem dekolonialen Vordenker und Autoren Frantz Fanon aus Martinique ausführlich analysiert worden sind. Die Fantasien über die Schwarze Männlichkeit bewirken eine Animalisierung, die Unterwerfung unter die feindseligsten Räume, die Verachtung und die Leichtigkeit, mit der diese Art von Körpern hingerichtet werden. Die Fantasie von der „Rassenmischung“, die in Wirklichkeit die Vorstellung von der Aufhellung der Bevölkerung ist, dient der Domestizierung, der Entmenschlichung und befördert den Bruch mit den Ahnen. Das rassistische Projekt braucht diese beiden Fantasien, um der Gesellschaft eine Politik aufzuerlegen, die die Ausrottung der Schwarzen und die Aufhellung der Gesellschaft sowie die Aufwertung und Vorherrschaft des weißen Mannes verfolgt. Diese Fantasien sind bestimmend für die rassistische Agenda in Brasilien, die auch mit ihren Institutionen bestimmte Vorstellungen produziert.
Die Schwarzen Männer wurden allerdings weder durch das Sklavensystem noch durch rassistische Fantasien, auch nicht durch die Politik der Weißen und schon gar nicht durch den Völkermord vollständig gefangen genommen. Quilombos (Wehrdörfer entlaufener Sklaven), Capoeiras, Bruderschaften, soziale Vereine, die Terreiros (Häuser der Orixás, der afrobrasilianischen Gottheiten), Reim-Battles, Samba-Runden und anderes sind Orte mit Gegenkräften und Kräften, in denen unsere angestammte Energie erhalten geblieben ist und uns sowie unsere Gemeinschaft stärkt. Diese Räume, aus denen unsere Stimmen wenig gehört werden, wollen wir stärken, indem wir uns für die Fortsetzung der Schwarzen Reise und Agenda einsetzen. Wir sind stolz darauf, Schwarze Männer zu sein, und wir strahlen unsere Stärke in Form von Leben aus.
Den Schwarzen Frauen zuhören und gemeinsam den Weg für unser Überleben ebnen
Wir folgen den Fußspuren, die aus der Ferne kommen, und glauben, dass die Rückkehr unser wahrer Fortschritt ist. Wir müssen zurückkehren, damit wir die Lehren unserer Vorfahren nicht vergessen. Wir müssen in der Gemeinschaft arbeiten, den Schwarzen Frauen zuhören und gemeinsam den Weg für unser Überleben ebnen. Die Spuren, die Abdias, Malcolm, Mestre Pastinha, Mestre Bimba, Mestre Canjiquinha, Zé Pilintra, Cartola (4) und so viele andere hinterlassen haben, geben uns Hinweise auf einen Weg, der bereits beschritten worden ist. Wenn wir die unterschiedlichen Schwarzen Männer um uns herum betrachten, bekräftigen wir unser Engagement für das Leben – und glauben daran, wie mächtig es ist, die Farbe der Erde auf unserer Haut zu tragen.
Zum Titel: Das verstärkende Suffix -ão (Negrão) bezieht sich auf den Schwarzen Stolz, den die Autoren hervorheben wollen.
(1) an das Unternehmen Uber angelehnt: Prozess, bei dem Arbeitnehmer*innen ihrer Rechte und Schutzmaßnahmen beraubt werden und die Risiken und Kosten ihrer Tätigkeit selbst tragen müssen.
(2) „O duelo viril: confrontos entre masculinidades no Brasil mestiço”. In: Diálogos contemporâneos sobre homens negros e masculinidades. São Paulo, Ed. Ciclo Contínuo, 2019
(3) „Axé“ bezieht sich in den afrobrasilianischen Religionen auf eine Energie, die die Lebewesen im Universum erschafft.
(4) Abdias do Nascimento war ein schwarzer brasilianischer Philosoph und Initiator des Experimentellen Theaters der Schwarzen in den 1940er-Jahren; Mestre Pastinha, Mestre Bimba und Mestre Canjiquinha waren Meister der Capoeira-Kunst; Zé Pilintra ist eine Entität der afro-brasilianischen Religion Umbanda; Cartola (1908-1980) war einer der bedeutendsten Samba-Komponisten aus Rio de Janeiro.
Paíque Duques Santarém ist Anthropologe, Architekt und Aktivist, u.a. für das Recht auf Stadt. Vinícius Dias Cunha ist Psychologe, Erziehungswissenschaftler und u.a. Mitglied des Nationalen Zusammenschlusses Schwarzer Psychologen und Forscher ANPSINEP. Hier zuerst erschienen. Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 461 Dez. 2022, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung von der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn. Zwischenüberschriften wurden nachträglich eingefügt.
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