Salbungsvoll ertönen zum Jahreswechsel die Ansprachen und Predigten. Die meisten davon verzichten auf rudimentärste Kenntnisse von Kapital-, Besitz-, Produktions- und Herrschaftsverhältnissen und sind darum wertlos. Und wehrlos. Für das Gute gegen das Böse. Wann jemals in der Menschheitsgeschichte hat das weitergeholfen? Hier einige gute und schlechte Beispiele.
Stephan Dörner/Technology Review/heise, der eigentlich mehr über o.g. Verhältnisse weiss, schliesst seinen klugen Analysetext : “Hockey-Stick-Kapitalismus der Emotionen: Wie kommen wir da wieder raus? – Wer heute über Futurismus spricht, dann meist mit der Ausrichtung ‘retro’. Dabei brauchen wir endlich wieder Visionen für eine bessere Welt von morgen.” an der Stelle, an der er eigentlich richtig beginnen müsste: “Bei der Produktentwicklung müssen neue, andere Ziele mit einfließen: Wie wollen wir leben und arbeiten, wie sieht eine wünschenswerte Zukunft aus – mit wünschenswerten Produkten samt Technikfolgenabschätzung? Das sind die Fragen, die es zu stellen gilt, wenn neue Ideen entstehen.” Dä, dachte ich, und wo sind Deine Antworten?
Sein Kollege Timo Daum/telepolis sieht das chinesische Regime da schon einige Schritte weiter (und klüger): “Metaverse in China: Chefsache – Chinas Planungsbehörden gehen schnell und ernsthaft an die Thematik heran. Virtual Reality zählt als Schlüsselindustrie. Das Land hat gute Chancen, die globale XR-(Erweiterte Realität)-Industrie anzuführen.” Im Gegensatz zu deutschen Maoisten, die umstandslos zu Liberalen konvertiert sind, von beidem aber nicht das Geringste verstehen (kommt von: Verstand), hat die Kommunistische Partei Chinas rudimentäre Kenntnisse o.g. Verhältnisse.
Auch die betagten Oligarchen in den zentralasiatischen Republiken, um deren Zuspruch sich die wertegeleitete deutsche Aussenministerin jüngst engagiert aber resonanzarm bemüht hat. Spricht das nun eher für sie, oder eher gegen sie? Aber ich schweife ab. Frank Stier/telepolis berichtet von ihrem Gipfeltreffen mit Wladimir Putin. Auch für den war es recht begrenzt erfolgreich. “Wie Zentralasien zum Drehkreuz zwischen Asien und Europa wird – Lange wurde die Region von Moskau dominiert. Das ändert sich gerade rasant. Deutlich wurde die Emanzipation unlängst bei einem Gipfeltreffen.”
Am besten an Stiers Bericht gefällt mir das Zitat von Andrea Schmitz, einer Expertin der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP), also einer Beraterin der Bundesregierung, der Parlamentsparteien u.a.: “… eine politische Kultur, die auf der Überzeugung beruht, dass in der Außenpolitik Pragmatismus besser ist als Prinzipien und dass die Beziehungen zu den Nachbarn eher von langfristigen strategischen Interessen als von Moral bestimmt werden sollten.” Sarichdoch.
Die Herren zentralasiatischen Oligarchen haben nur zu gut beobachtet, was die Guten in Afghanistan angerichtet haben, und es wäre nicht dumm von den Ukrainer*inne*n, wenn sie das ebenfalls sorgfältig studieren würden. Florian Rötzer/overton erinnert und resümiert – aus leider aktuellem Anlass: “Die Nato-Mission und die Knechtung der Frauen durch die Taliban – Die Nato hat die Militärintervention in Afghanistan auch mit der Befreiung der Frauen legitimiert. Die wurden durch die Flucht der Nato verraten und die Taliban erhielten Hightech-Waffen und biometrische Daten.” Ich kann mich noch an die gute Bärbel Höhn erinnern, die sich hierzu – aus exakt diesem Grund – anders positioniert hatte, als noch zuvor 1999 zum Kosovokrieg, als sie spektakulär dem Joseph Fischer widersprach.
Einen realitätsnahen Einblick in die betriebswirtschaftliche Funktionsweise des real existierenden Kapitalismus gibt Stefanie Talaska/netzpolitik: “Warum fehlt uns am Ende des Jahres so viel Geld? – Ein riesiger Druck liegt auf diesem einen Monat Dezember. Wie kommt es zu einer fehlenden Viertelmillion auf den letzten Metern unserer Spendenkampagne? Und muss das sein?” Ich wünsche bei diesem Abenteuer weiter alles Gute. Es gibt nicht viele, die so gut sind, wie die von netzpolitik.org
Ein bisschen Spass muss sein
Ihr Kollege und netzpolitik-Gründer Markus Beckedahl, gebürtig hier um die Ecke aus dem Vorgebirge, lobt eine Mediathekperle: “Irgendwas mit Internet: Satire-Serie ‘Parlament’ nimmt Brüsseler Politikbetrieb aufs Korn – Die französisch-deutsche Fernsehserie Parlament beschreibt unterhaltsam und anschaulich die europäischen Gesetzgebungsprozesse aus Sicht des EU-Parlaments. In der ARD-Mediathek gibt es nun die ersten beiden Staffeln zu sehen.” Hier gehts zur Mediathek.
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