Weltuntergang? Oder nicht?

Best of 13. Februar 2023

Zunächst das Positive. In Beuel war ein Tag, den Adsche Tönnsen als “Topptach” bezeichnen würde. Wolkenloser Himmel, wie ich bisher nur in Sardinien erlebt habe, das blaueste Blau aller Zeiten. Sogar der Rhein wird eingefärbt. Erstes Blattgrün spriesst am Wegesrand. Die den artenschwund überlebenden Vögel tirillieren um die Wette, dass in mir eine gute Idee heranwuchs: wir lassen eine Hexe oder einen Zauberer (oder beide) die Kriegsherren dieser Welt in Vogelmännchen verzaubern, mit ganz kleinem Schwänzchen. Und prompt würden sie unser Leben auf der Erde verschönern. Alle mit wenig gefestigter innerer Verfassung sollten hier aufhören zu lesen.

Mann wird ja wohl noch träumen dürfen. Unrealistischer und gefühliger, als das, was aktuelle Staatsfrauen und -männer heute denken, ist das auch nicht. Dazu folgende sachdienliche Lektürehinweise:

dpa meldet eine PR-Aktion des französischen Kriegsministers für die Soft Power der USA, wie sie professioneller und kommerziell erfolgreicher kaum laufen könnte: “Paris empört über ‘Black Panther’-Kinofilm mit plündernden Soldaten – Auffallende Ähnlichkeit : Paris empört über „Black Panther“-Film mit plündernden Soldaten – Sind die Uniformen der Soldaten, die im Kinofilm ‘Black Panther: Wakanda Forever’ das fiktive afrikanische Land ausplündern wollen, denen des französischen Militärs nachempfunden? Der Verteidigungsminister ist empört.” Das ist aufschlussreich, oder was meinen Sie? Hat Monsieur Lecornu einen Deal mit Disney? Das wäre doch nicht nötig gewesen.

In einem ähnlichen Grenzbereich zwischen Fiktion und Wirklichkeit bewegt sich diese Story von Martin Holland/heise: “Nach Saga um chinesischen Ballon: US-Militär schießt nacheinander drei UFOs ab – Anfang des Monats hat ein mutmaßlicher Spionageballon aus China die USA in Aufruhr versetzt. Jetzt wurden gleich drei unidentifizierte Flugobjekte abgeschossen.” Wirklicher, aber leider nicht weniger grauenhaft vom gleichen Autor: “Erdbeben in der Türkei und Syrien: Boden hat sich um bis zu 8 m verschoben – Während vor Ort noch fieberhaft versucht wird, Menschen aus den Trümmern zu bergen, wird aus dem All das Ausmaß der Erdbeben deutlich. Die Brüche sind immens.” Wehrt sich die Erde? Das anzunehmen wäre wohl zu esoterisch. Sie setzt dem menschlichen Handeln Grenzen – im Guten wie im Schlechten. Das zur Kenntnis zu nehmen wäre unter gegenwärtigen Umständen schon ein nützlicher Lerneffekt.

Rüdiger Suchsland/telepolis: “Darf man mit Wagenknecht für Frieden und Verhandlungen eintreten? – Mediensplitter (18): Der Riss im Milieu und der politische Offenbarungseid des grünen Kleinbürgertums.” Der Autor ist im Hauptberuf Filmkritiker, aber das macht nicht satt. Als politischer Stratege ist er für mich nicht wirklich satisfaktionsfähig. Dass er sich am herrschenden Medienwind stört – skurril, dass er die mikroskopische taz damit identifiziert – ist dagegen durchaus nachvollziehbar. Und seine Fragen sind richtig gestellt.

Das zeigt sich hier:

Kelley Beaucar Vlahos/Responsible Statecraft/telepolis: “Pentagon will US-Spezialtruppen-Programm in Ukraine wiederbeleben – Ein Washington-Post-Artikel hat aufgedeckt, dass die USA die Zielkoordinaten für ukrainische Angriffe liefern. Doch die US-Militärs wollen noch tiefer in den Krieg einsteigen. Eine nächste rote Linie könnte überschritten werden.”

Thomas Pany/telepolis: “Neue EU-Sanktionen gegen Russland: Banken, Militärs, Exporte und Journalisten – Welche Wucht wird das zehnte Maßnahmen-Paket gegen den Kriegswillen der russischen Führung entfalten? Bisher ist die Wirkung laut britischen und US-amerikanischen Experten gering. Das könnte sich im laufenden Jahr aber ändern.”

Letzter Warnhinweis

Endgültig runtergezogen wurde meine sonnige Verfassung jedoch erst durch die beiden folgenden Texte (rüsten Sie sich für ein paar Leberhaken, bereiten Sie den Abschluss des Tages so vor, dass Sie sich trösten und vergnügen!):

Arno Kleinebeckel/telepolis: “Wolodymyr Selenskyj: Ein Popstar mit dem Versprechen einer universellen Demokratie – Über Sinnkonstruktion im Ukrainekrieg, Russlands Ohnmacht und Selenskyj als Kämpfer des Lichts. Und über die Gefahr der Verwechslung von Mitteln mit Zwecken.”

und schliesslich hier der menschengemachte Weltuntergang:

Hans-Peter Waldrich/overton: “Stehen wir vor der Superkatastrophe? – Russland soll besiegt werden. Selenskyj fordert Kampfjets und Langstreckenraketen und wird sie erhalten. Der nukleare Schlagabtausch wird wahrscheinlicher. Dabei ist unser Überleben im Atomzeitalter nur durch gemeinsame Sicherheit erreichbar.”

Warum twistet die gegenwärtige Staatskunst so ins Absurde? Als ich kürzlich einen Blick auf den “Grossen Sprung nach vorn” des grossen Führers Mao Zedong warf, kam mir der Gruselgedanke, dass relevante Berater der gegenwärtigen Aussenministerin in dessen ideologische Schule gegangen waren. Werfen Sie ruhig auch noch mal einen Blick auf die “Grosse Kulturrevolution”. Der neue Mantel heisst jetzt anders, wie es die Medienmoden erfordern – aber der Kopf, in den das eindringen konnte, ist immer noch der Gleiche. Nicht die normalen Wenden eines Menschenlebens sind das Problem, sondern diese Art politisch zu denken – so gefühllos und menschenfeindlich. Wie kann eine, die “vom Völkerrecht her” kommt, das reinlassen?

Dagegen fällt mir leider nichts mehr ein. Ich fordere darum von den Kriegsherren ultimativ, diese Woche noch mit dem Knopfdruck zu warten, weil ich eine mittelgrossse Gruppe meiner besten Freundinnen (Männer mitgemeint) erwARTE. Dort werden wir uns mit so viel Genuss wie möglich auf alles Schlechte vorbereiten. Andernfalls verzaubere ich die Verbrecher persönlich in kleine Vogelmännchen, und lasse mir persönlich bekannte Katzen auf sie los. Was bleibt einem sonst?

Unvermutete Mediathekperle

Roland Benedikter/telepolis hat seinen zweiten Teil zu den KI/AI-Entwicklungen geliefert: “Entstehung von Hybridgebilden – Komplexe Fragen – Ein Problemfeld für offene Gesellschaften – Ausblick: Auffächerung der Anwendungen und wachsende Macht synthetischer Daten auf allen Lebensfeldern – Druck auf den menschlichen Körper auch im Westen – Künstliche Intelligenz und Mensch. Ab wann gestaltet KI den Menschen um – statt in seinem Dienst zu stehen?” Er problematisiert die weltweit führende Rolle Chinas als autoritäres System, ohne vergleichbare Entwicklungen im “freien” kapitalistischen Westen von diesen Gefahren freizusprechen. Unbedingt lesenswert – Weiterbildung in besten Sinne.

Mit diesem Chinaproblem im Sinn hören, oder wenn Sie wollen, sehen Sie auch, was Frank Sieren auf die gut gestellten Fragen des Richard David Precht zu sagen hatte (5 Jahre mediathekverfügbar; 700.000 habens letzte Nacht linear geglotzt). Sieren liefert in diesem Gespräch für eine adäquate, neugierige, lernbereite Entspannungspolitik gegenüber China in einer multipolaren Welt eine gedankliche Vorlage. Angesichts der herrschenden Leeren im deutschen Parteiensystem ist so viel Realismus zu einer Orchidee geworden, selten und wertvoll.