Vor ein paar Tagen schien es klar, dass die ukrainischen Truppen Bachmut klugerweise verlassen müssten (habe ich in diesem Sinne auch hier geschrieben). Das hätte der Defensivlogik der Clausewitzschen Militärstrategie entsprochen (dessen Sofa-Adept ich ja inzwischen bin). Danach müssen dem Feind in der Defensive die eigentlich wichtigen Schläge versetzt werden.

Es gibt ein militärmathematisches Kalkül mit (üblicherweise) einer Ratio 1 zu 3 bis (konkret Bachmut) 1 zu 7 beim Schaden des Verteidigers im Verhältnis zum Angreifer. Der kluge Verteidiger (wenn er denn irgend eine Chance hat) spielt das Spiel so lange, bis er den Angreifer hinreichend zermürbt hat. „Rückzüge“ haben in dieser Logik eigentlich nichts oder nur wenig zu bedeuten. Es gilt nur das Verhältnis der maximalen Schadenszufügung dem Feind gegenüber.

Nun verteidigt sich die Ukraine in Bachmut aber ernsthafter, als es der Defensivlogik entsprechen würde. Sie hat im Norden der Stadt das Wasser eines Sees in die Landschaft ergossen, so dass auf russischer Seite Militäroperationen kaum mehr möglich sind. In den Südwesten wurden neue Kampftruppen geschickt, um die Umschließung der Stadt zu verhindern. Die Wagner-Söldner sitzen unter ukrainischem Artilleriefeuer und fühlen sich wohl nicht sehr wohl. Und sie haben auch „a lot of troubles“ mit dem Rest des russischen Militärs.

Dieses Offensivmoment auf ukrainischer Seite geht wohl auf Präsident Selensky zurück. Die Chefs des ukrainischen Armee hätten wohl weiter auf „Clausewitz“ gemacht. Vielleicht hat Selensky recht, dass man Putin/Wagner diesen „psychologischen“ Erfolg „Bachmut“ nicht geben darf, vor allem auch, weil sie außer „Psychologie“ (= Wirkung ihres Propagandaapparates) nicht mehr viel haben.

Ich folge jedenfalls dem ukrainischen Präsidenten in seinen Entscheidungen. Er hatte bisher schon öfters das richtige Feldherren-„Feeling“ – jene besondere Art des „intuitiven Denkens“ (das ebenfalls Clausewitz ist), das ich noch nicht richtig verstanden habe.

So far – vom Sofa.

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Über Reinhard Olschanski / Gastautor:

Geboren 1960, Studium der Philosophie, Musik, Politik und Germanistik in Berlin, Frankfurt und Urbino (Italien). Promotion zum Dr. phil. bei Axel Honneth. Diverse Lehrtätigkeiten. Langjährige Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent im Bundestag, im Landtag NRW und im Staatsministerium Baden-Württemberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Politik, Philosophie, Musik und Kultur. Mehr über und von Reinhard Olschanski finden sie auf seiner Homepage.