Mit dem Weltungleichheitsbericht, dem Weltkatastrophenbericht und dem Weltuntergangs­bericht hat sich der Beueler Extradienst bereits befasst. Nunmehr geht es um den Weltri­sikobericht, von dem es überraschenderweise gleich zweierlei Fassungen gibt. Erstens die Publikation, die seit 2011 jährlich vom Bündnis „Entwicklung Hilft“ herausgegeben wird. Zwei­tens der „Global Risks Report“ des Weltwirtschaftsforums, der in deutschen Medien eben­falls Weltrisikobericht genannt wird.

Bündnis „Entwicklung Hilft“

Beide Berichte erscheinen jährlich mit dem Anspruch auf eine wissenschaftliche und ob­jektive Sachdarstellung. Beim Bündnis ‘Entwicklung hilft’ geht es um die Einschätzung der globalen Katastrophenrisiken. Die jährlichen Ausgaben thematisieren jeweils einen Schwerpunkt mit Bezug zum Katastrophenrisikomanagement. Der Bericht enthält den Weltrisikoindex, welcher für 193 Länder weltweit das Risiko ermittelt, dass aus ei­nem ex­tremen Naturereignis eine Katastrophe wird.

Bis 2016 wurde der Bericht in Kooperation mit dem Institut für Umwelt und menschliche Si­cherheit der Universität der Vereinten Nationen in Bonn erstellt. Seit 2018 wird er gemein­sam mit dem Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht der Ruhr-Universität Bochum erarbeitet.

Der Bericht will Zusammenhänge zwischen extremen Naturereignissen, dem Klimawandel, Katastrophenvorsorge und sozialer Ungleichheit auf globaler Ebene zu verdeutlichen, um ein realistisches Bild von Katastrophen und Risiko zu vermitteln. Im engen Austausch zwi­schen Wissenschaft und entwicklungspolitischer Praxis werden Lösungsansätze und Handlungsempfehlungen für aktuelle Herausforderungen in der Katastrophenvorsorge, bei der Anpassung an den Klimawandel und in der Entwicklungspolitik aufgezeigt.

Schäden und Risiken durch Erdbeben, Tsunami, Wirbelstürme oder Überschwemmun­gen sind nicht nur von der Stärke eines Naturereignisses abhängig, sondern auch von den Fä­higkeiten, im Katastrophenfall schnell und zielgerecht zu reagieren. Armut, Ernährungs­probleme, unzulängliche Infrastruktur und ein mangelhaftes Gesundheitssystem machen die Gesellschaft besonders verwundbar. Deshalb untersucht der Bericht vier Fragen: Wie wahrscheinlich ist ein extremes Naturereignis? Wie verwundbar sind dann die Menschen? Inwieweit kann die Gesellschaft Katastrophen bewältigen? Trifft die Gesell­schaft Vorsorgemaßnahmen (Stichworte: erdbebensicheres Bauen, Überschwemmungs­schutz, Frühwarnsysteme)?

Um zu ermitteln, welche Regionen durch Naturkatastrophen besonders gefährdet sind und wo es sich am sichersten lebt, wird jährlich der Weltrisikoindex erstellt. Dieser Wert wird aus dem Mittel der Exposition (Gefährdung) der Bevölkerung durch Katastrophen und ihrer Vulnerabilität (Verletzbarkeit) aufgrund der strukturellen Eigenschaften der Gesellschaft und ihrer Fähigkeit ermittelt, Schäden zu begegnen und sich in geeigneter Weise vorzube­reiten. Verwendet werden 100 Indikatoren aus weltweit verfügbaren und öffentlich zugäng­lichen Datenbanken.

2022 wurden 193 Staaten analysiert und deren Naturgefahren und die Verwundbarkeit der Gesellschaft untersucht. Damit wurden alle von der UNO anerkannten Staaten und über 99 % der Weltbevölkerung erfasst. Den Folgen des Klimawandels wird höchste Bedeu­tung zugesprochen, Überschwemmungen, Hitzewellen und Dürren nähmen zu. Ein beson­ders hohes Risiko besteht demnach für Indien, Indonesien und die Philippinen. Das nied­rigste Risiko weisen die Kleinststaaten Monaco, Andorra und San Marino auf. Deutschland liegt mit Platz 101 im Mittelfeld. Dort werden die Gefahren vor allem in dicht besiedelten Überschwemmungsgebieten gesehen. China belegt Rang 8, die USA Rang 18.

Jeder Jahresbericht steht unter einem Schwerpunktthema mit entsprechenden Texten, Analysen und Fallbeispielen, wobei Einblick in die Tätigkeit der Mitgliedsverbände gewährt wird. Die Schwerpunkte der vergangenen Jahre waren Digitalisierung (2022), Soziale Si­cherung (2021), Flucht und Migration (2020), Wasserversorgung (2019), Kinderschutz und -rechte (2018), Logistik und Infrastruktur (2016), Ernährungssicherheit (2015), Risikoraum Stadt (2014), Gesundheit und medizinische Versorgung (2013), Umweltzerstörung und Ka­tastrophen (2012) und Regierungsführung und Zivilgesellschaft (2011).

Weltwirtschaftsforum

Auch der Anfang Januar vom Weltwirtschaftsforum vorgelegte Global Risks Report sieht den Schwerpunkt der Problematik im Klimawandel und den von ihm verursachten Kata­strophen. In Zusammenarbeit mit einem Beratungsunternehmen und einer Versicherung wurden über 1.200 Expert/innen und Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft zu den globalen Risiken befragt. 13 % der Befragten erwarten anhaltende Krisen, wobei vor allem gleichzeitig auftretende Krisen ein hohes Risiko bedeuten.

Der Bericht bildete eine Grundlage für die Beratungen im Weltwirtschaftsforum. Da ist es bemerkenswert, dass er geprägt ist von pessimistischen Erwartungen und ein düsteres Bild der näheren Zukunft zeichnet: Die Welt stehe an der Schwelle zu einem unsicheren und turbulenten Jahrzehnt mit starken wirtschaftlichen Schwankungen, mit geringem ge­sellschaftlichen Zusammenhalt und mit einem Rückgang der menschlichen Entwicklung.

Der Bericht enthält eine Vielzahl erschreckender Vorhersagen und nahezu keine positi­ven Einschätzungen und Erwartungen: Fehlender Klimaschutz und unzulängliche Kli­maanpassung führten zu Unwetterkatastrophen und zum Verlust der Biodiversität. Die größten Risiken für die Weltbevölkerung in den nächsten zehn Jahren seien natur- und umweltbezogen: Versagen bei der Bekämpfung der Klimakrise, Scheitern bei der Anpas­sung, Verknappung natürlicher Ressourcen, massive unfreiwillige Migration, gesellschaftli­che Polarisierung. Der Bericht erwartet daher humanitäre Krisen und steigende Lebens­haltungskosten, er prophezeit ein Jahrzehnt der Deglobalisierung mit geringem Wachstum und sinkenden Investitionen und – erstmals seit Jahrzehnten – einen Rückschritt der menschlichen Entwicklung. 4)

Die Kriegsführung in Europa und die Corona-Pandemie würden den Kampf gegen den Kli­mawandel erschweren, Versorgungsengpässe bei Lebensmitteln und Energie bewirken, Inflation und Verschuldung steigern. Die Kluft zwischen reichen und armen Ländern werde größer, die Welt werde instabiler. Handelskriege würden wieder zur Norm. Steigende Ar­mut, Hunger, gewalttätige Proteste und politische Instabilität könnten in fragilen Staaten zu einem Zusammenbruch führen. Aufgrund mehrerer miteinander verbundener ökologi­scher, geopolitischer und sozioökonomischer Problemfelder könne es zu sogenannten Poykrisen kommen: ‘Eine Krise jagt die nächste, und alle verstärken sich gegenseitig.’

Nun liegen uns zwei Fassungen von Weltrisikoberichten vor, mit durchaus unterschiedli­cher Datenermittlungsmethode, aber weitgehend übereinstimmenden Ergebnissen. Die Ausgabe vom Bündnis „Entwicklung Hilft“ hat für jeden Staat unserer Welt 100 Indikatoren ermittelt und ausgewertet, er wendet sich an die Öffentlichkeit. Der Bericht des Weltwirt­schaftsforums basiert hingegen auf den Angaben von 1.200 Fachleuten, macht Aussagen über die globale Entwicklung und dient in erster Linie der Information der Tagungsteilneh­mer/innen.

Beide Berichte beschreiben ein Schreckensszenario für die Zukunft der Welt, wobei der WWF-Risikobericht die weitaus drastischeren und beunruhigenderen Prognosen formu­liert. Angesichts der Tatsache, dass dieser Bericht eine der Beratungsgrundlagen der Ta­gung war, muss das Ergebnis des diesjährigen Weltwirtschaftsforums als kläglich bezeich­net werden. Zu hoffen war, dass er die Teilnehmenden aufrütteln und zu sofortigem und durchgreifenden Handeln veranlassen könne. Der nachträgliche Eindruck ist jedoch, dass die Prognosen nicht hinreichend ernst genommen und als eine von vielen apokalyptischen Zukunftsdeutungen abgetan wurden.

Dementsprechend war auch die Reaktion der Medien: Wer messbare Entscheidungen erwartet habe, müsse enttäuscht sein. Allerdings sei das Weltwirtschaftsforum keine Ta­gung, an deren Ende eine Proklamation stehen solle. Seine Funktionen seien Erfahrungs­austausch, Selbstdarstellung, Repräsentation und Diplomatie. Deshalb würden gerne Opti­mismus und Hoffnung verbreitet; man greife lieber nach Strohhalmen als seine Verunsi­cherung zu zeigen. Der Klimawandel zog sich zwar ebenso wie Rezession, Inflation und Frieden durch die ganze Tagung, doch blieb es oft bei der banalen Erkenntnis, dass vieles zu tun sei.

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.