Nancy Frasers „Allesfresser“
Nancy Fraser unternimmt in ihrem Buch eine Strukturanalyse des aktuellen Kapitalismus, verbunden mit historischer Reflexion und politischer Theoriebildung, um nachzuweisen, wie der Kapitalismus seine eigenen Grundlagen verschlingt. Zudem entwickelt die Autorin Vorstellungen und Anregungen zu einer Alternative, die Sozialismus heißen kann.
Manche Rezensionen arbeiten sich am Cover des Buches ab, das eine sich selbst verschlingende Schlange zeigt. Wem solches wichtig ist, kann das machen. Mir ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die erste Auflage nach knapp vier Wochen verkauft war (lag das etwa am Cover?) und die Auslieferung der zweiten bereits angezeigt wurde.
Nancy Fraser beschreibt in ihrer abschließenden Danksagung den Entstehungsprozess des „Allesfresser“: Alle Kapitel wurden in Vorträgen und Zeitschriften in der Zeit vor der Ausgabe als Buch veröffentlicht. Die Autorin hat eine Vielzahl von Gedanken, Anregungen und Ergebnissen aus Diskussionen ins Buch aufgenommen. Ihr zentrales Argument lautet: Kapitalismus ist mehr als eine Wirtschaftsform, der Begriff bezeichnet etwas Größeres, eine Gesellschaftsordnung.
Es mag ungewöhnlich klingen, aber: Es macht Spaß, Nancy Frasers Analyse von fast fünfhundert Jahren Kapitalismus zu lesen – beginnend mit dem merkantilen Kapitalismus, den folgenden liberal-kolonialen Kapitalismus und staatlich gelenkten Monopolkapitalismus bis zum globalisierten neoliberalen Kapitalismus. Sie beschreibt dabei die vier entscheidenden nichtökonomischen Hintergrundbedingungen, die den Kapitalismus am Leben halten: die soziale Reproduktion, die Ökologie der Erde, politische Macht und den ständigen Zufluss von Reichtum, der von rassifizierten Bevölkerungen enteignet wurde.
Die Autorin entwickelt eine verständliche Systematik, um die Strukturen der stetigen Veränderungen und erforderlichen Anpassungen der kapitalistischen Gesellschaften zu vermitteln. Sie vergisst dabei nicht die Rolle und Bedeutung der Kämpfe um Geschlechterherrschaft, Ökologie, Rassismus, Imperialismus und Demokratie. Auch die Alternative zur Gesellschaftsordnung des Kapitalismus, wie diese auch heißen mag, muss nach Frasers Ansicht auf weit mehr abzielen als nur darauf, die Wirtschaft des Systems neu zu organisieren.
„Können wir uns ein emanzipatorisches, gegenhegemoniales Projekt der ökologisch-gesellschaftlichen Transformation vorstellen, das umfassend und visionär genug ist, um die Kämpfe unterschiedlicher sozialer Bewegungen, politischer Parteien, Gewerkschaften und anderer kollektiver Akteure zu koordinieren – ein Projekt, das darauf abzielt, den Kannibalen ein für alle Mal zu Grabe zu tragen? In der gegenwärtigen Situation, so behaupte ich hier, kann uns nur ein solch umfassendes Projekt wirklich voranbringen.“ (S. 15)
Diesem Buch von Nancy Fraser ist eine große Schar von Leserinnen und Lesern zu wünschen, damit allerorten die politische Debatte um den besten Weg aus dem Kapitalismus endlich an Dynamik gewinnt.
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