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Lügen statt Hilfe für russische Deserteure

Der Vorwurf, dass PolitikerInnen es nicht allzu ernst mit der Wahrheit nähmen, ist nicht ganz neu. Aber manche VertreterInnen dieser Zunft führen immer wieder den Beweis, dass es tatsächlich so ist. So war im September 2022 in der taz zu lesen, die Grüne MdB Dr. Irene Mihalic befürworte Asyl für russische Deserteure. “Wer sich nicht als russischer Soldat im ‘völkerrechtswidrigen und mörderischen Angriffskrieg’ gegen die Ukraine beteiligen wolle, dem müsse in Deutschland Asyl gewährt werden.”
Tatsächlich unternahm und unternimmt die Bundesregierung und hier besonders das Auswärtige Amt und das Innenministerium alles, um russische Kriegsdienstverweigerern den Zugang zum Asyl in Deutschland zu verwehren.

Bundesamt verweigert Asyl für Russische Deserteure

In einer Presseerklärung von Connection e.V., einem kleinen Verein in Offenbach, der sich für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure einsetzt und derzeit besonders russische und natürlich auch ukrainische Kriegsdienstverweigerer unterstützt, erklärte hingegen: “Ende Januar 2023 erreichten uns die ersten Bescheide des Bundesamtes für Migration zu russischen Verweigerern. Es gab darunter mehrere Ablehnungen. Es ist erschreckend, wie Politiker*innen sich auf der einen Seite für einen Schutz dieser Menschen aussprechen – und die Behörde derweil Fakten schafft. Wir haben diese Fälle gemeinsam mit Pro Asyl mit einer ausführlichen Stellungnahme an die Öffentlichkeit gebracht. Und wir haben Gespräche mit mehreren Abgeordneten des Bundestages geführt, um von dieser Seite aus Druck auf die Behörde aufzubauen.”

Ich habe mich nach dem Lesen dieser Erklärung an Irene Michalic gewandt, weil sie sich ja öffentlich für die Aufnahme russischer Kriegsgegner ausgesprochen hatte. Ich war einigermaßen wütend über die Diskrepanz zwischen öffentlichen Erklärungen und praktischem Handeln und schrieb deshalb eine sehr deutliche Email an die Abgeordnete, in der es hieß:

“Ist es nicht widersprüchlich, oder vielleicht auch bisschen verlogen, öffentlich zu erklären, man unterstütze russische KDV, wohl wissend, dass das Bundesamt es schon richtet und dem Willen der ukrainischen Regierung entsprechend russische nach Möglichkeit aus Deutschland fern hält. Denn das Sie nicht wissen, was das Bundesamt so treibt, schließe ich aus. Besteht die Hoffnung, dass sich an dieser Menschen verachtenden politischen Praxis etwas ändert?”

Ausflüchte und Ausreden

Die Antwort kam nach gut zwei Wochen und enthielt die üblichen Ausflüchte:

“…vielen Dank für Ihre Mail. Ich bin etwas irritiert, dass sie mir vorwerfen ‘verlogen’ zu sein mit Blick auf die Frage von russischen Kriegsdienstverweigerern. Damals wie heute finde ich, dass man Menschen, die am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Putins nicht teilnehmen wollen, Asyl gewähren sollte. Das ist meine politische Einschätzung. Ich bin aber weder die Innenministerin noch die mit Asylanträgen befasste Behörde. Wir haben aber im ersten Jahresviertel 2023 einen starken Anstieg an Asylbewerberzahlen von russischen Kriegsdienstverweigern. Und sofern die Menschen nicht mit einem Schengenvisum über einen anderen EU-Mitgliedsstaat eingereist sind, erhalten sie dann nach einer individuellen Prüfung in der Regel den Flüchtlingsschutz. Bei Einreise über einen anderen EU-Staat bzw. mit dessen Schengenvisum gilt dann das sog. Dublinverfahren: Die Menschen müssen das Asylverfahren dann in dem Staat betreiben, der das Schengenvisum ausgestellt hat – außer es befinden sich Angehörige der Kernfamilie bereits in Deutschland. Uns sind bislang keine Fälle bekannt geworden, wo das Bundesamtes für Migration BAMF das anders gehandhabt hätte. Der von Connection e.V. zitierte eine ablehnende BAMF-Bescheid war vor der Generalmobilmachung.”

Die letzte Behauptung wurde von Connection schnell widerlegt: “Der von uns zitierte Bescheid stammt aus dem Januar 2023, tut aber in der entscheidenden Passage so, als ob es die Generalmobilmachung nicht gegeben hätte. Im Übrigen ist juristisch die wirklich relevante Frage, ob das Bundesamt eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Rekrutierung befürwortet. Das ist bislang nicht erkennbar. Wir hatten das ausgeführt unter https://de.connection-ev.org/article-3735

Ein Kommentar

  1. Martin Böttger

    Dass Behörden, die einem von einer konkurrierenden Partei geführten Ministerium unterstehen, anders agieren als gewünscht, gehört zum Alltagsgeschäft in Koalitionen. Das haben Roland Appel und ich 1990-2000 im Landtag sowohl in Opposition als auch in Koalition erlebt, nahezu täglich. Behörden und Ministerien sind heterogene, bisweilen schwer zu führende Apparate. Nicht immer empfiehlt sich dagegen eine offensive PR-Strategie – jedenfalls wenn Mann*Frau den Betroffenen wirksam helfen will, statt sich in erster Linie selbst zu profilieren. Ebenfalls ein alltägliches Spannungsverhältnis. Im Gegensatz zu Dir habe ich diesbezüglich bei Irene Mihalic mehr Ver- als Misstrauen. Aber das ist hier nicht entscheidend. In Rechnung stellen muss mann in diesem konkreten Fall, dass die parlamentarische Geschäftsführung der zweifellos machtvolle Ort einer Fraktion mit der quantitativ maximalen Arbeitsbelastung ist, die nur mit erstklassigem Büropersonal bewältigt werden kann (ebenfalls meine Erfahrung 90-05).
    Tatsache ist, dass sich die Bundesregierung als Ganzes in der Flüchtlingspolitik im Allgemeinen, und der Behandlung von ukrainischen UND russischen Deserteuren im Speziellen – zurückhaltend formuliert – unrühmlich verhält und positioniert. Sie agiert zunehmend – wie viele sie treibenden embedded Medien – wie eine Kriegspartei. Not in my name.

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