Best of 27. April 2023: Abhören unter Freunden, Ampel, öffentliches TV, Fortuna D’dorf

Knut Mellenthin/Junge Welt gibt einen guten Überblick über den Stand des Vertrauens unter den Herrschenden: Enthüllte US-Geheimakten: Streng geheim – Ihr vermeintlicher Urheber ist festgenommen worden, aber die Diskussion über die Pentagon-Leaks hält an”. (Dieser Text verschwindet in einigen Tagen in einem Paywallarchiv). Das gleiche Thema streift auch Petra Erler: “Zum Rauswurf von Tucker Carlson: Fox stopft der ‘Schmutzschleuder’ (Welt) das Maul”. In ihrer Bewertung von Mr. Carlson bin ich mir gelinde formuliert nicht sicher, ob ich ihr da folgen kann … Das Fox-Network rechtschaffen zu hassen darf nicht bedeuten, alle, die dort gefeuert werden, für satisfaktionsfähig zu erklären. Denn warum hat so einer sich dort begeistert bereichert?

Zum Zustand der Ampelkoalition heult sich Albrecht von Lucke/Blätter mal wieder aus: “Die »Zukunftskoalition«: Bis zur Kenntlichkeit entstellt”. Ich kann nichts Falsches entdecken, würde nur noch Vieles hinzufügen …

Der Freitag dokumentiert einen Buchbeitrag von Luc Jochimsen: Öffentlich-Rechtliche: Wir sind Tom Buhrow – Was hat sich eigentlich nach dem RBB-Skandal bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten geändert? Nicht viel. Das ließe sich aber ändern”.

Thomas Knüwer ist – mal wieder – der Erste, der einen PR-Stunt kritisch auseinandernimmt: “Fortuna Düsseldorfs Freispiele: VIP-Logen-Naivität”.

Alle genannten Beträge sind analytisch grundvernünftig und nachvollziehbar, haben aber alle einen gemeinsamen Nachteil. Sie sind völlig frei von gesellschaftlichen Prozessen und der Benennung entsprechender Träger*innen. Letztgenannter Knüwer distanziert sich bewusst von den Ultras, die exakt solche Träger sind.

Ich will es am Jochimsen-Text ausleuchten. Sie schreibt, was es geben müsste, aber nicht gibt. Warum nicht? Die letzte Chance, die der WDR dazu hatte, waren die “Radioretter”. Der Sender nutzte die Chance nicht, sondern brüskierte ein eher bürgerlich-konservatives Publikum. Intendanz und Programmdirektion hatten Angst vor der Kritik, sahen nur Gefahren fürs Programm – und nicht die Chance, mit den engagiertesten Teilen des Publikums in einen Diskurs zu kommen, sie als gesellschaftliche Basis seines Programms zu umarmen. Eine vergleichbare Bewegung für das TV-Programm unserer Tage ist kaum noch denkbar. Dafür kreisen die Geier (CDU, FDP, AfD, Verlegerkonzerne) um die öffentlichen Medien, um sich der schönsten Filets zu bemächtigen, und den Rest unter heisser Sonne verwesen zu lassen.

Die Innereien der Sender (Organe, Belegschaften etc.) sind jeder Widerstandskraft beraubt. Es herrscht ein “Rette sich, wer kann” – in die Rente oder die PR-Branche.

Unserer Demokratie wird es ergehen wie den schmilzenden Gletschern oder der Oder: Versalzung, Verdunstung, Vergiftung.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net