Beueler-Extradienst

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Wie lange noch, FDP?

Ein alter jiddischer Witz geht so: im Bahnabteil sitzen ein jüdischer Kaufmann und ein preußischer Offizier. Der Kaufmann holt eine Kubanische Zigarre aus dem Gepäck, riecht, schneidet genussvoll die eine Spitze ab und steckt sie zwischen die Lippen. Da springt der Offizier auf, reisst ihm die Zigarre aus dem Mund und zerbröselt sie mit den Worten: “Hier wird nicht geraucht!” Der Jude entgegnet: “Aber ich habe doch gar nicht geraucht!”- “Hier werden auch keine Vorbereitungen getroffen!” schreit der Offizier. Wenig später zieht der Offizier eine Zeitung aus dem Gepäck und beginnt zu lesen. Da reisst ihm der Kaufmann die Zeitung aus der Hand, zerfetzt sie und schreit: “Hier wird nicht gesch….en!” – “Aber ich habe doch gar nicht gesch….en!” – “Hier werden auch keine Vorbereitungen getroffen!” (zit. nach Salcia Landmann) Eigentlich ist das ein juristischer Lehrfall für den Versuch. Aber man kann ihn auch politisch auf Christian Lindner anwenden. Denn er trifft in der Tat Vorbereitungen, die viele scheinbar nicht wahrnehmen wollen. Robert Habeck und die Grünen als allerletzte.

Die FDP hat zu Beginn der Koalition von einer “Zukunftskoalition” gesprochen. Bei nicht wenigen früheren Wählern oder gar Mitgliedern der FDP aus sozialliberalen Zeiten klang das nach der Möglichkeit einer Öffnung der FDP, weg vom Anhängsel der CDU und Abschied von der rechten Bürgerblockpartei. Aber die Zeichen mehren sich, dass – wenn es überhaupt eine solche Möglichkeit gegeben hätte – Christian Lindner alles tut, um die Ampelkoalition zu zerstören und politische Bomben zu legen, die zum einen sachfremd und zum anderen ausschließlich auf Abbruch der Beziehung gerichtet sind. Die Ergebnisse der letzten Koalitionsausschüsse sprechen bei kühler Betrachtung eine überdeutliche Sprache. Ich habe eine solche Art von Koalition als Fraktionsvorsitzender erlebt, als wir 1995 mit der NRW-SPD koaliert haben. Da gab es die SPD – Johannes Rau, Heinz Schleusser, Birgit Fischer und die verkappte FDP namens Wolfgang Clement, der bereits nach vier Wochen mit diversen Flughafen- und Autobahnbauten die Koalitionsvereinbarung verletzte, die Grünen bis aufs Blut reizte und provozierte. Heinz Schleusser sagte damals im Koalitionsausschuß gegen 3:45 Uhr: “Man kann nicht heute eine Koalition schmieden und morgen den Partner aus dem Fenster schmeißen!” Johannes Rau war da schon vor zwei Stunden verzweifelt über seinen Ziehsohn Clement schlafen gegangen.

Die FDP hat die Zeitbomben in der Koalition längst gelegt

Genau das aber versucht Lindner mit den Grünen – mit der Auflösung der Ressortverantwortung im Energiegesetz und mit den unsinnigen Versuchen, die AKW als Verhinderungstechnik der Erneuerbaren zu instrumentalisieren. Mit dem Mantra der angeblichen “Technikoffenheit” im Autobau, obwohl die Konzerne VW/Audi, Mercedes und BMW längst die Elektromobilität mit Batterien akzeptiert haben, und z.B. die Brennstoffzelle nicht weiterverfolgen. Dabei hat das Land ein ernsthaftes Problem: Der Umstieg auf die Erneuerbaren im Bereich der Gebäudesanierung kann das soziale Gefüge des Landes so erschüttern, dass die Regierung, die das mit der Brechstange durchzusetzen versucht, mit Garantie abgewählt wird. Genau das hat Lindner erkannt.

Aber anstatt, wie in einer Koalition üblich zu sagen: “Hört mal Kameraden, wir könnten an dieser Stelle gemeinsam untergehen”  hat er den asozialen Weg gewählt, der gemeinsamen Regierung in den Rücken zu fallen und mit dem Energiegesetz einen Hebel gefunden, um den Druck auf die Grünen obendrein noch zu verstärken.  Wer in Koalitionsausschüssen wie lange verhandelt, ist immer eine Frage der kognitiven Klarheit – ohne oder trotz Alkoholpegel. Das Energiegesetz war und ist der Sargnagel dieser Koalition. Das müssen die Grünen endlich erkennen und sich diesem Paket verweigern und zwar schon aus politischen Gründen. Das heisst nicht, dass man innerhalb der Koalition hätte einem Deal zustimmen können – erst die Zustimmung von FDP und SPD zum Wärme- und Gebäudedämmungsbereich, und danach die Liste der Bundesfernstraßenprojekte. Verbunden aber damit, dass man in der Koalition beides gemeinsam als Erfolg Verkauft, der ein solcher eigentlich auch ist.

Stattdessen hat die FDP nach dem Koalitionsausschuss jeden Konsens aufgekündigt, sich als Regierungs-AfD betätigt und gegen alle Gesetze der Loyalität verstoßen. Das ist asoziales Regierungsverhalten, und das rechtfertigt eine klare und deutliche politische Reaktion der Grünen – die Aufkündigung eines Kompromisses zu ihren Lasten, des Energiegesetzes.

Grüne müssen das Klimapaket aufschnüren

Robert Habeck hat mehrfach und zuletzt wieder nach dem Koalitionsausschuss begründet, dass die Grünen als Klügere nachgegeben haben, weil sie keine Alternative zur gegenwärtigen Koalition sehen, um des Klimawandels Herr zu werden. Das beinhaltet aber, dass es noch eine Hoffnung gebe, diese Konstellation sei auf Dauer angelegt oder anzulegen. Aber in Koalitionen – und das ist ein weises Wort des ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden NRW, Klaus Matthiesen – darf man auch den Partner nicht überfordern. Lindner hat das in den letzten Wochen nahezu täglich gemacht und die Grünen haben das zugelassen – Olaf Scholz im übrigen auch. Trotzdem glauben die Grünen in der Regierung immer noch an die Zukunft dieser “Reformkoalition”. Aber worauf gründet sich das? Auf die vermurkste Legalisierung von Haschisch und Marihuana, wo jetzt wieder auf “Europa” verwiesen wird? Auf eine halbherzige Justizreform, die den archaischen “Schuldenturm”, die Ersatzfreiheitsstrafe, nicht endlich abschaffen, sondern nur kosmetisch halbieren will? Wann hören die Grünen endlich die Signale?

Lindner trifft schon deutlich Reisevorbereitungen

Lindner hat in den letzten Monaten immer wieder seine Sprengsätze in der Koalition ausgelegt. Der zentrale Sprengsatz ist das Energiegesetz. Aber auch an andere politische Schritte lassen ahnen, was Lindner planen könnte. Das Koalitionstheater seit Oktober 2022 hat im Prinzip der FDP keine nennenswerten Stimmen gebracht. Sie dümpelt bei den Landtagswahlen um 4%-6%  in Bremen, um 3% in Bayern und um 5% in Hessen. Im Zwergstaat Bremen ist sie immer für Überraschungen gut, vor allem, wenn Grüne schwächeln. Auf Prozentgewinne in Ländern im Wahljahr 2023 kann Lindners Taktik nicht gerichtet sein. Jedenfalls bisher nicht mit Erfolg. Stattdessen deutlich auf Zerrüttung der Ampelkoalition. Wer sich so verhält, wie Linder derzeit, sucht den Absprung.

Sozial-Liberale kaltgestellt

Ein weiteres Indiz für Reisevorbereitungen ist die Abschiebung von Agnes Strack-Zimmermann in den politischen Asylcontainer Europaparlament.  Schließlich repräsentierte sie innerhalb der Bundestagsfraktion eine selbstbewusste Stimme, die nicht zum Lindner-Clan gehört, und deshalb auch nicht Verteidigungsministerin wurde. So skurril der Auftritt Strack-Zimmermanns im Aachener Karneval auch war: es wurde klar erkennbar, für welche Art Liberalismus ihr wahres Herz schlägt: bestimmt nicht für den bürgerlichen Mief der CDU/CSU. Also räumt Lindner eine potenzielle Widerständlerin aus dem Weg.  Auch Konstantin Kuhle, für die eine oder andere linksliberale Überlegung anfällig, wurde von Lindner mehrfach zurückgepfiffen. Aber der will noch etwas werden und taktiert deswegen. Also werden die Provokationen weitergehen, Was plant Lindner? “Da könnense doch dran fühlen” würde Konrad Adenauer sagen. Den richtigen Zeitpunkt zu provozieren, die Koalition zu verlassen und den Grünen auch noch die Verantwortung zuschieben. Genauso hat es Genscher 1982 gemacht: Erst allen möglichen programmatischen Unsinn – damals waren es Verschuldung, zuviel Sozialstaat und angeblich mangelnde Unterstützung Helmut Schmidts beim Nachrüstungsbeschluss als Popanz aufgebaut und im Kern ging es darum, die neoliberale Welle der Privatisierung, des nachhaltigen Sozial- und Rentenabbaus, der Umverteilung von unten nach oben der 80er Jahre möglich zu machen.

Medienkartell aus Springer, FAZ und FDP mästen die AfD

Die Argumente von damals unterscheiden sich von den heutigen nicht so gravierend, weil sie keine Sachargumente, sondern ideologiegetriebene Interessen sind. Früher oder später, aber dann, wenn Lindner glaubt, mit Merz gemeinsam eine Koalition der Ewiggestrigen bilden zu können. Mit Verbrennungsmotoren, Atomkraft, Steuersenkungen, weiterer Privatisierung des Gesundheitssystems, Verschonung des Gebäudesektors und des Verkehrssektors vor der Energiewende. Ob die Union da mitmachen wird? Eigentlich könnte Lindner dafür nur Sympathisanten bei der AfD finden. Und die profitiert auch in den Wahlprognosen von dem, was Lindner, die FDP und Chef des Springer-Konzern Döpfner als strategische ideologische Kampagne seit über einem Jahr  in diesem Land führen. Es ist ein Kurs in die Sackgassen, aber das ist Lindner so egal wie Döpfner. Und dass die AfD die Gewinnerin des verbreiteten reaktionären Unsinns ist, ist diesen beiden Hasardeuren des Populismus schnurzpiepe.

FDP und Springer – DVP und Hugenberg: Liberale Verirrung nach ganz rechts

Das ganze Szenario Döpfners und Lindners erinnert ein Stück an die Skrupellosigkeit, mit der der rechtsnationale Medienmogul Hugenberg in der “Weimarer Republik” die “Harzburger Front” gegründet und – viel schlimmer – die rechtsliberale DVP Gustav Stresemanns 1930 die “nationale Front” gemeinsam mit DNVP und NSDAP propagierte und aktiv befördert hat. Die populistische Unterstützung des Rechtsextremismus durch die FDP könnte sich 2023 wiederholen.  Es ist eine alte Erfahrung aus der Flüchtlingsdiskussion, dass wenn die Parteien der Mitte wie FDP und CDU abgewandelt die rechtsradikalen Parolen übernehmen – so 1993-95 passiert – stärkt das das rechtsextreme Original. Folglich dümpelt die FDP in Umfragen marginal bei 7% im Bund, die AfD nimmt kontinuierlich zu und hat die Grünen  mit 16% heute im Politbarometer eingeholt.

Lindners Ego plant den Absprung

Lindners Kurs, für den es deutliche Anzeichen gibt, ist ein Kurs des Populismus, in die Sackgasse, weil die Probleme des Klimawandels bleiben, ebenso wie der Ukrainekrieg, die weltweite Armutsmigration und die Armut bei gleichzeitiger Explosion der Milliardengewinne der Superreichen.  Aber weder die Grünen, noch die vernünftigen Mitglieder der FDP, die nicht in Schicki-Micki-Kreisen der Hauptstadt verkehren, wie Lindner, und die nicht sozialer Bestandteil der reaktionären Springer-Presse sind, wie seine Lebensgefährtin, werden ihn vermutlich davon abhalten können, diese Koalition vorzeitig unter fadenscheinigem Vorwand zu verlassen. Termin offen. Gemeinsam mit dem alten weissen Mann von Blackrock und der CDU, Friedrich Merz, wird er dann weitere vier Jahre Stillstand bei der Bekämpfung der Klimakrise zelebrieren. Und alles unter den Bedingungen eines Krieges in der Ukraine. Die AfD wird unter diesen Bedingungen nicht schrumpfen, sondern wachsen. Für diese Koalition geht es schon seit einiger Zeit nicht mehr um die Egoismen, die Lindner und Wissing pflegen: Es geht um die Zukunft der Demokratie und Lindner macht jeden Tag deutlich, dass die FDP nicht erwachsen genug ist, um diese historische Herausforderung zu erkennen.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Martin Böttger

    Die Rechten legen in den Umfragen zu, weil die linke Seite von dieser Politik, ebenso wie von der Partei dieses Namens, planmässig demobilisiert wird. Die Wahlbeteiligung juckt die Parteien nicht – ihre Finanzierung und ihre Ressourcen sind davon völlig unabhängig. Das wäre mal ein gutes Thema für “Wahlrechtsreform” und Parteienfinanzierung. Aber wer soll das durchsetzen?
    Die FDP wiederum hat nicht das geringste Interesse, Mehrheiten der Gesellschaft von irgendwas zu überzeugen oder sie sogar zu gewinnen. 5,1% reichen aus. Sie erfüllt gewissenhaft die Aufträge der sie finanzierenden Lobbys. Dann wird die Politik Wissings plötzlich kein dankbares Opfer für Kabarett und Comedy – sondern streng rational.
    Aus dieser Logik heraus werden, gemeinschaftlich von CDU, FDP und Verlegerlobbys, die öffentlichen Medien demontiert, für die sich ebenfalls schon längst keine*r mehr mobilisieren lässt. So wird die Öffentlichkeit den KIs der Plattformmonopole zum Frass vorgeworfen. Den Schaden haben die Überreste unserer Demokratie. Aber das juckt die so wenig wie die Wahlbeteiligung.
    Das Kapital muss zirkulieren. Klima? Das wird der technische Fortschritt schon irgendwie hinkriegen …. wenn nur das Kapital hinreichend zirkuliert und wächst.

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