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Urlaub machen von der Wirklichkeit?

Strategien der Realitätsverweigerung bei Trump und Putin

Ein großer Trick von Trump besteht darin, seinen Fans ein Gefühl der „Erleichterung“ zu verkaufen, eine scheinbare Befreiung von Alltagsrestriktionen – dem Gewicht all der „Fakten“, die uns in die Wirklichkeit der Lebenswelt einbinden. Trump ist für seine Follower ein bisschen wie Urlaub machen von der Wirklichkeit.

Paul Valery hat das Alltagsgewicht, um das es hier geht, einmal sehr schön beschrieben, in einem Text, in dem es um die Rückkehr von einem Landaufenthalt in die hundert kleinen und nervenzehrenden Verwicklungen geht, die ihn in Paris erwarten. Es sind eben jene Verwicklungen des Alltagslebens, die Trump mit seiner Dauer-Lüge-Sendung rhetorisch „weghaut“, um sie zusätzlich noch seinen ressentimenthaft ausgedeuteten Feinden zuzuschieben – den „Emanzen“, einer „Woke-Kultur“, einem „korrupten“ Washington, den „Linken“ – die an all dem, was auf den Menschen lastet, schuld sein sollen.

In Deutschland findet das einige Nachahmer, z.B. bei Kubicki, der seinen Hyperliberalismus ja mit Rebellengeste auch gegen Hegel wendet, jenen „üblen Realisten“, der in seiner Philosophie eine solche Realitätsflucht gerade enttarnt und ihr die rote Karte gezeigt hat (auch wenn diese Karte dann bei ihm tatsächlich etwas zu dunkelrot ausfiel…).

Der Autokrat Putin findet in seiner „russischen Welt“ noch weniger Restriktionen im Gewicht der Fakten als Trump. Wirklich ist, was der Machthaber sagt und als wirklich setzt. Es ist die Konstruktion einer totalitaristischen Wirklichkeit, deren Schrecken Orwell und Hannah Arendt beschrieben haben und die Putin heute mittels einer Melange von TV, FSB und Einbindung der Eliten in seine Kleptokratie durchsetzt – auf der Basis der langen russischen Tradition einer durch politische Macht gesetzten Wirklichkeit.

Wie lange kann ein solcher Urlaub von der Wirklichkeit der Fakten gutgehen? Trump verlor die Wahl 2020 wegen seiner Coronaleugnerei, die in den USA hunderttausende vermeidbare Opfer forderte und zum zweitgrößten Massensterbeereignis in der Geschichte des Landes führte – nach der „Spanischen Grippe“ und weit vor dem Bürgerkrieg oder der Zahl der amerikanischen Opfer im 2. Weltkrieg. Zusätzlich beschäftigt sich die Justiz heute mit Trumps multiplen Lügen, Verleugnungen und Übergriffen. Zwar erreicht er mit seiner Masche seine eingeschworenen Fans noch immer, aber für viele ehemalige Wähler dürfte die Lügensuppe inzwischen wohl zu dünn geworden sein. Hoffen wir einmal.

Putin hat in der Ukraine auf Grundlage seiner Macht-Traum-Wirklichkeit einen schlimmen Krieg losgetreten, den er gerade verliert. Die russische Kriegsführung ist total „phantastisch“. Sie hat zum zweiten Mal die in diesem Krieg in die Ukraine geschickten menschlichen und materiellen Ressourcen verschlissen. Es wird nun vor allem die ukrainische Armee sein, die Putin dem Realitätstest unterzieht.

Ein Observer-Autor untersucht in einem Beitrag das Trump/Putin-Crossover näher und weist darauf hin, dass wir zum Kampf gegen die schlimmen Folgen ihrer politischen Phantastik mehr beitragen könnten, indem z.B. die zuständigen Organe der Justiz die russischen Kriegsverbrechen und Verschleppungen und etwa auch die Beteiligung der Oligarchen an all dem schnell und effektiv aufklären und sanktionieren. Keine schlechte Idee: Mehr Realität wagen!

Aus dem „Observer“:

„There is, first of all, a powerful relief that comes from throwing off the weight of facts, the constraints of glum reality.

Facts are generally unpleasant things, but they are useful for politicians who are trying to establish some sort of proof that their big policy is working.

But Trump had no stable policies: he can be righter than right, and then pivot left when it suits him. Ever since Florida governor Ron DeSantis, his rival to head the Republican party, has tried to show he is more conservative than Trump – and most Americans – on issues such as abortion, Trump has made himself look more liberal.

Nor has Trump any ideals that you could shame him into having betrayed. Instead, he appeals to a sense of pure resentment, where throwing off all forms of authority and responsibility – the authority of logic, ideals, rational policies, the “elites” – is what makes him attractive to people.

In a democracy such as the US, however, reality can take revenge. Trump’s rejection of the facts about Covid cost him the 2020 election.“

Mehr zum Autor hier.

Über Reinhard Olschanski / Gastautor:

Geboren 1960, Studium der Philosophie, Musik, Politik und Germanistik in Berlin, Frankfurt und Urbino (Italien). Promotion zum Dr. phil. bei Axel Honneth. Diverse Lehrtätigkeiten. Langjährige Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent im Bundestag, im Landtag NRW und im Staatsministerium Baden-Württemberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Politik, Philosophie, Musik und Kultur. Mehr über und von Reinhard Olschanski finden sie auf seiner Homepage.

3 Kommentare

  1. w.nissing

    Danke Martin, das du uns immer wieder Einblick in die Geschlossene gewährst… 🙂

    • Reinhard Olschanski

      Was ist „die Geschlossene“, lieber Herr Nissing? Ich hoffe, es handelt sich um keine „Anstalt“. )-: (-:

  2. Reinhard Olschanski

    Was ist „die Geschlossene“, lieber Herr Nissing? Ich hoffe, es handelt sich um keine „Anstalt“. )-: (-:

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