Die deutsche Geschichte sollte es gelehrt haben. Aber nur wenige wollen sich erinnern. “Die letzte freie Wahl” der Weimarer Republik 1933 war nicht frei. Kommunist*inn*en sassen im Knast. Andere Demokrat*inn*en wurden dauerhaft bedroht. Die Medien beherrschte Pressezar Hugenberg. Dessen Partei DNVP war dann auch parlamentarische Steigbügelhalterin der Nazis, die selbst unter diesen Bedingungen keine Wähler*innen-Mehrheit erreichten (44 %). Die letzte freie Parlamentswahl der Weimarer Republik war in Wahrheit am 6. November 1932: die Nazis hatten erstmals Stimmen verloren, die Kommunisten gewannen kontinuierlich dazu.

Reimen Sie sich nun Ähnlichkeiten und Unterschiede mit der Wahl in der Türkei am besten selbst zusammen. Tatsache ist: die oppositionelle HDP, mit bis zu 14% bei vergangenen Wahlen, ist bereits illegalisiert, ihr Parteichef ist inhaftiert. Die IT-Systeme der stärksten Oppositionspartei CHP waren am Wahlabend lahmgelegt. Die CHP verdächtigte “russische Hacker”, was einerseits innertürkische Bedrohungen nicht zusätzlich animieren, und solidarische Hilfe ihrer reicheren und stärkeren sozialdemokratischen Brüder und Schwestern in der EU mobilisieren soll. Die Türkei schafft immer wieder kriminalistische Wunder: schwerste Verbrechen werden innerhalb weniger Stunden oder gar Minuten “aufgeklärt”. Die ursprüngliche Absicht, die Korrektheit der Wahl flächendeckend aus eigenen Kräften zu überwachen, ist auf diese Weise fundamental gescheitert und zusammengebrochen.

Leichtes Spiel für Erdogan – am Wahlabend. Wenn sich die demokratischen Wahlkämpfer*innen nun von seinen Zahlen, ähnlich wie hiesige Medien, die Stichwahl-Luft rauben lassen, dann haben sie auch keinen Wahlsieg verdient. Der Betrüger muss weg. Die Überreste der türkischen Demokratie müssen gerettet und wieder aufgebaut werden. Mit unserer Hilfe. Aber die EU beschäftigt sich lieber mit Krieg.

Jetzt Sonntag wählt übrigens Griechenland. Da war doch was? Sondersendungen deutsche Medien gibts wohl wieder nicht.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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