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“Der Westen brach die Verhandlungen ab”

Ukraine-Krieg: Erfolgversprechende Verhandlungen Ende März 2022 – Naftali Bennett: “Der Westen brach die Verhandlungen ab”

Im März 2022 – noch zu Beginn des Ukraine-Krieges – gab es Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine mit dem Ziel, den Krieg zu beenden. Diese fanden zunächst in Belarus statt, schließlich machte eine Verhandlungsrunde in Istanbul Hoffnung auf ein Kriegsende. Etliche Medien berichteten, dass ein Kompromiss in greifbare Nähe gerückt sei. Doch dann wurden die Verhandlungen auf einmal abgebrochen und nicht wieder aufgenommen.

Offensichtlich hatten die westlichen Staaten ihre Strategie geändert und setzen nun – unterstützt von der Lieferung immer schwerer Waffen – auf einen Sieg der Ukraine und eine dauerhafte Schwächung Russlands. Spätestens mit dem Besuch Johnsons bei Selenskyj Anfang April 2022 wurde dies auch der Ukraine mitgeteilt. Seitdem sind die Aussichten auf einen Waffenstillstand und Verhandlungsfrieden in immer weitere Ferne gerückt.

Der seinerzeitige Ministerpräsident Israels, Naftali Bennett, hat Anfang März 2023 ein Interview veröffentlicht, das in Israel mit ihm zu diesem Thema geführt worden war. Darin macht er deutlich, dass es die westlichen Staaten waren, die den Verhandlungsabbruch verschuldet haben. Auf die Frage, ob die Verhandlungen vom Westen ausgesetzt worden seien. «Im Grossen und Ganzen, ja. Sie [der Westen, Red.] brachen die Verhandlungen ab, und damals dachte ich, sie hätten Unrecht. Aber jetzt sage ich, dass es zu früh ist, um Schlüsse zu ziehen.» (Die Weltwoche, Schweiz, 8.2.2023)

Bennett war nach eigenen Aussagen mit allen Beteiligten persönlich in Kontakt mit Putin, Selenskyj, Biden, Macron, Scholz und Boris Johnson. Von Putin habe er die Versicherung erhalten, dass dieser Selenskyj nicht töten werde. Mit der Aussicht auf Erfolg auf einen positiven Verhandlungsabschluss in Istanbul habe es 50:50 gestanden. Die Berliner Zeitung zitiert Bennett am 6.3.2023 wie folgt: „Ich behaupte, dass es eine gute Chance auf einen Waffenstillstand gab, wenn sie ihn nicht verhindert hätten.“ Mit “sie” sind Großbritannien und die USA gemeint.

Die ukrainischen Unterhändler hatten am 29. März 2022 den russischen Verhandlungspartnern in Istanbul einen 10-Punkte-Plan übergeben, in dem vor allem die Zusage Kiews auf dauerhafte Neutralität im Gegenzug zu Sicherheitsgarantien von anderen Staaten enthalten war. Russlands Hauptanliegen war ja der Nichtbeitritt der Ukraine zur NATO. Selenskyj hatte die Hauptpunkte des 10-Punkte-Plans auch in einer seiner Fernsehansprachen Ende März öffentlich verkündet.

Die Vorschläge 1-3 und Vorschlag 8 sollen hier dokumentiert werden (zitiert nach deepl.com-Übersetzung aus faridaily, 29.3.2022) Die anderen Vorschläge beziehen sich auf die Umsetzung der Sicherheitsgarantien im Falle bewaffneter Auseinandersetzungen und auf andere Umsetzungspunkte des möglichen Vertrages. Über die Neutralitätsfrage sollte das ukrainische Volk vorab eine Abstimmung durchführen.

Vorschlag 1: Die Ukraine erklärt sich selbst zu einem neutralen Staat und verspricht, bündnisfrei gegenüberr allen Blöcken zu bleiben und keine Atomwaffen zu entwickeln – im Gegenzug für internationale rechtliche Garantien. Zu den möglichen Garantiestaaten gehören Russland, Großbritannien, China, die Vereinigten Staaten, Frankreich, die Türkei, Deutschland, Kanada, Italien, Polen und Israel, aber auch andere Staaten wären willkommen, dem Vertrag beizutreten.

Vorschlag 2: Diese internationalen Sicherheitsgarantien für die Ukraine würden sich nicht auf die Krim, Sewastopol oder bestimmte Gebiete im Donbas erstrecken. Die Vertragsparteien müssten die Grenzen dieser Gebiete festlegen oder sich darauf einigen, dass jede Partei diese Grenzen anders versteht.

Vorschlag 3: Die Ukraine verpflichtet sich, keiner Militärkoalition beizutreten und keine ausländischen Militärstützpunkte oder Truppenkontingente aufzunehmen. Jegliche internationale Militärübungen wären nur mit Zustimmung der Garantenstaaten möglich. Die Bürgschaftsstaaten bestätigen ihrerseits ihre Absicht, die Mitgliedschaft der Ukraine in der Europäischen Union zu fördern.

Vorschlag 8: Der Wunsch der Parteien, die Fragen im Zusammenhang mit der Krim und Sewastopol zu lösen, wird für einen Zeitraum von 15 Jahren in bilaterale Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland eingebracht. Die Ukraine und Russland verpflichten sich außerdem, diese Fragen nicht mit militärischen Mitteln zu lösen und die diplomatischen Lösungsbemühungen fortzusetzen.”

Martin Singe ist Mitglied im Redaktionsteam des FriedensForums.

Über Martin Singe / Gastautor:

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5 Kommentare

  1. rudolf schwinn

    Danke, Martin Singe.
    Die detailgetreue Erinnerung stützt die Forderung nach einer unverzüglichen Wende: Die Waffen nieder, um am Konferenztisch einen Frieden auszuhandeln, der die Interessen der Beteiligten ausgleicht und Stabilität herstellt.
    Rudolf Schwinn, Bonn-Castell.

  2. Martin Böttger

    Der Krieg muss wohl auch gute Seiten haben, denn Deserteure sind bei der hierzulande herrschenden Politik unerwünscht:
    https://www.deutschlandfunk.de/zahl-russischer-deserteure-im-ukraine-krieg-deutlich-gestiegen-100.html
    Hat irgendjemand mal Meldungen über die Zahl der Opfer des Krieges, egal welcher Nationalität, erfahren? Oder gar entsprechende (Medien-)Bilder gesehen?

  3. Steffen Oppermann

    Bennet hat schon vor Monaten klargestellt damals falsch interpretiert worden zu sein. Vor Allem waren es die Vorfälle in Butscha weswegen die Verhandlungen abbrachen. Natürlich wurde im Westen ganz unterschiedlich bewertet welchen Sinn die Verhandlungen haben. Aber verhandelt hatten die Ukrainer und die Russen. Nicht die Amerikaner und nicht Boris Johnson.
    Und nach den Massakern in Butscha und den Angriffen auf eine Geburtsklinik in Mariupol konnte Selenskyj der ukrainischen Bevölkerung schlicht nicht länger erklären dass es noch Sinn macht mit Russland zu verhandeln. Deshalb wurden die Verhandlungen abgebrochen.

    • Martin Singe

      Butscha hat sicher auch eine Rolle gespielt. Aber die Strategie des Westens lautet zumindest seit April 2022, den Krieg zu nutzen, um Russland maximal wirtschaftlich und militärisch zu schwächen. Keine einzige westliche Initiative ist sichtbar, die auch nur eine der vielen möglichen Verhandlungslösungen favorisiert bzw. sich diplomatisch offensiv dafür einsetzt. Kriege sind in der Regel immer auch mit Kriegsverbrechen verbunden. Um so dringlicher sollten Initiativen für einen Verhandlungsfrieden gestartet werden.

      Vgl. Waffenstillstand und Frieden für die Ukraine: Eine Sammlung bestehender Vorschläge und möglicher Schritte den Krieg in der Ukraine durch Diplomatie statt durch Waffen zu beenden. – information der ippnw

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