Mexiko: Logistik und Infrastrukturprojekte im Dienst von Militär und Großunternehmen / Wundersame Bahn CLII

Der ärmere, ländlichere Süd-Südosten Mexikos soll in höherem Maße industriell entwickelt werden. Jedenfalls, wenn es nach den Plänen des mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador geht, der dieses Vorhaben unter dem Begriff der territorialen Neuordnung in Angriff nimmt. Arbeitsplätze, Wohlstand und Entwicklung sind die Versprechungen der Regierung. Bisher fehlt jedoch ein leistungsfähiger Anschluss an den Weltmarkt, um Rohstoffe und Produkte ein- und ausführen zu können. Kernstück des Projektes, dies zu verändern, sind zwei miteinander verbundene Infrastrukturprojekte, der „Tren ,Maya’“ (1) („Maya“-Zug) und der „Corredor Interoceánico del Istmo de Tehuantepec“ (Interozeanischer Korridor des Isthmus von Tehuantepec).

Der „Tren ,Maya’“ soll auf über 1500 Kilometern Strecke die größeren Städte der Bundesstaaten Chiapas, Tabasco, Campeche, Yucatán und Quintana Roo mit wichtigen Maya-Stätten verbinden und die Yucatán-Halbinsel umrunden, der „Corredor Interoceánico del Istmo de Tehuantepec“ über eine etwa 300 Kilometer lange Eisenbahnlinie eine Verbindung zwischen dem Pazifikhafen Salina Cruz im Bundesstaat Oaxaca und dem Atlantikhafen Coatzacoalcos im Bundesstaat Veracruz schaffen. Parallel zu beiden Projekten sollen bestehende Straßen und Häfen ausgebaut werden sowie neue Autobahnen und Flughäfen entstehen. Während der „Tren ,Maya’“ überwiegend als Tourismus- und Infrastrukturprojekt für die lokale Bevölkerung beworben wird, ist der „Corredor Interoceánico“ auch in der Außendarstellung eher Industrie- und Handelskorridor. Als Verbindung von Atlantik und Pazifik soll ihm die Funktion eines „Panamakanals an Land“ zukommen. In zwanzig Kilometern Breite auf beiden Seiten der Strecke soll eine Freihandelszone entstehen. Bislang sind dort elf Industrieparks auf etwa 40 Quadratkilometern Fläche geplant, wobei offizielle Dokumente den künftigen Flächenbedarf auf etwa das Vierfache schätzen. Die Eisenbahnverbindung zwischen Salina Cruz und Coatzacoalcos soll bereits im Oktober eröffnet werden.

Beim „Tren ,Maya’“ soll bald auf einigen Streckenabschnitten mit Tests der Züge begonnen werden. Beide Projekte sind verbunden, von Coatzacoalcos aus wird derzeit eine Eisenbahnverbindung nach Palenque, Chiapas, gebaut; dem Start- und Endpunkt des „Tren ,Maya’“. Auch die Häfen der beiden Projekte werden durch den Ausbau des „Puerto Progreso“ auf der Yucatán-Halbinsel besser aneinandergekoppelt.

Möglichkeiten zur Ausbeutung könnten reichhaltiger kaum sein

Die Möglichkeiten zur wirtschaftlich-extraktiven Ausbeutung Süd- und Südostmexikos könnten reichhaltiger kaum sein. Es existieren fruchtbare Böden, die größten Süßwasserreserven des Landes, Öl- und Gasvorkommen, Mineralien und nicht zuletzt hervorragende Bedingungen für die Gewinnung sogenannter erneuerbarer Energie. Der Isthmus von Tehuantepec ist ein riesiger natürlicher Windkorridor mit hoher Sonneneinstrahlung, die häufig noch naturbelassenen Flüsse eignen sich zum Bau von Wasserkraftwerken. Gleichfalls wird beabsichtigt, produzierendes Gewerbe in den Gebieten anzusiedeln. Dabei könnte der Isthmus als ein Bindeglied zwischen China und den USA dienen: Rohstoffe und Vorprodukte kommen im Pazifikhafen von Salina Cruz an, werden mit dem Zug zur Weiterverarbeitung transportiert, um sodann vom Atlantikhafen Coatzacoalcos aus in Richtung Europa oder USA weiterverschifft zu werden – oder umgekehrt.

Im Gegensatz zum „Corredor Interoceánico“ wird der „Tren ,Maya’“ in der Regel als ein hauptsächlich touristisches Projekt dargestellt, das Maya-Stätten und Flora und Fauna der Yucatán-Halbinsel einer zahlungsfähigen Weltöffentlichkeit auf eine umweltfreundliche Art und Weise zugänglich machen soll. Neben dem reinen Personenverkehr sollen auch Güter transportiert werden. Den Bewohner*innen wird versprochen, durch Arbeitsplätze beim Bau und im Tourismussektor sowie durch das zusätzliche Angebot an Infrastruktur zu profitieren, wobei anzumerken ist, dass die Arbeitsplätze beim Bau des Zuges befristet und jene in der Tourismusbranche üblicherweise eher schlecht bezahlt und unsicher sind.

Auf den Baustellen kam es bereits mehrfach zu Streiks aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen und Zahlungsausfällen sowie Beschwerden seitens der Arbeiter*innen. Die lokale Wirtschaft soll einerseits durch den Tourismus, andererseits durch den Warenfluss profitieren, wobei sich dies voraussichtlich nicht auf die Vielzahl der kleinbäuerlich und/oder handwerklich lebenden und arbeitenden Familien und Gemeinden ausdehnen wird, deren Produktion nicht für den Export in andere Regionen bestimmt ist.

Es besteht das Risiko, dass stattdessen mit dem Zug industrielle Massenprodukte, Lebensmittel wie Gebrauchsgegenstände, herantransportiert werden, die die lokalen Güter preislich unterbieten und diese so verdrängen, wodurch die lokale Bevölkerung ihrer Lebensgrundlage beraubt und in Lohnabhängigkeit und unsichere Arbeitsverhältnisse gedrängt werden würde. Hinzu kommt die Landproblematik: Für die zahllosen verschiedenen Vorhaben – einerseits die Infrastruktur selbst, andererseits die durch sie ermöglichten Projekte – werden Unmengen an Land benötigt. In Teilen wird sich dieses einfach angeeignet, wodurch den Gemeinden widerrechtlich und gewaltsam Agrarflächen und Lebensraum und damit die Möglichkeit zur Selbstversorgung genommen wird.

Industrialisierung der Landwirtschaft

Dies geht bereits gegenwärtig einher mit Abholzung, der Industrialisierung der Landwirtschaft und dem Ausbau von Monokulturen. Eine Eisenbahn dürfte diese Entwicklung weiter verstärken. Industrielle Land- und Viehwirtschaft erhoffen sich reiche Erträge von der Ausbeutung der fruchtbaren Böden und reichen Süßwasserreserven der Yucatán-Halbinsel, den größten Mexikos, die in unterirdischen, verbundenen Höhlensystemen, den sogenannten „Cenotes“, lagern. Durch die Verwendung industrieller Düngemittel in der Landwirtschaft oder die Ableitung von Exkrementen aus Mastbetrieben könnten diese Wasserspeicher kontaminiert werden, vom hohen Wasserverbrauch ganz abgesehen. Der zu erwartende Massentourismus dürfte diese Problematik weiter verschärfen.

Zudem entsteht auch beim „Tren ,Maya’“ mehr als Schieneninfrastruktur. Das Projekt wird begleitet vom Bau oder Ausbau von fünf Flughäfen, acht Häfen, vier thermoelektrischen Anlagen, einem Gasodukt, vier Wärmekraftanlagen, Solaranlagen und Windparks, wobei die sogenannte erneuerbare Energie nicht zu jenen Gemeinden fließt, die zu ihrer Gewinnung enteignet werden, sondern in die Fabriken und touristischen Zentren.

“Projekte der nationalen Sicherheit” und Militarisierung statt Umweltverträglichkeitsprüfungen

Eigentlich verpflichtende Umweltverträglichkeitsprüfungen wurden nicht oder nur unzureichend durchgeführt, wobei die indigene Bevölkerung nicht miteinbezogen wurde. Diese fehlenden Prüfungen führten bereits zu mehreren gerichtlich verhängten Baustopps. Nicht zuletzt diese Tatsache dürfte den Präsidenten López Obrador dazu veranlasst haben, den „Tren ,Maya’“ und den „Corredor Interoceánico“ zu Projekten der nationalen Sicherheit zu erklären, wodurch Umweltverträglichkeitsprüfungen obsolet und Gerichtsurteile unwirksam werden.

Ganz dieser Rhetorik entsprechend sind die Streitkräfte auch direkt an den Projekten beteiligt und erhalten die Gewinne. Das Militär verwaltet den „Tren ,Maya’“ und die auf der Yucatán-Halbinsel entstehenden Flughäfen und beteiligt sich an den Baumaßnahmen, die Marine verwaltet den „Corredor Interoceánico“ und die auszubauenden Häfen Coatzacoalcos und Salina Cruz. Neben den Machtgewinnen der Streitkräfte über gesellschaftlich-zivile Aufgaben und Infrastruktur entstehen zahlreiche neue Basen des Militärs und der Nationalgarde entlang der Zugstrecke. Entsprechend der unzähligen durch die Streitkräfte verübten Gewalttaten und deren teils enger Zusammenarbeit mit paramilitärischen Gruppen und der organisierten Kriminalität erscheint dies höchst beunruhigend – einerseits hinsichtlich der Präsenz im Alltag und der Unterdrückung jeglichen Widerstandes, andererseits im Hinblick auf die Verhinderung von Migration Richtung Norden. Während schon der „Tren ,Maya’“ über einige der wichtigsten Migrationsrouten verläuft, bildet der „Corredor Interoceánico“ eine Art Mauer von Ozean zu Ozean, die Migrant*innen die Passage deutlich erschweren dürfte. Die Begrenzung der Migration geschieht auch auf Druck der US-Regierung, jedoch nicht ohne die Hoffnung der mexikanischen Regierung auf den Verbleib günstiger Arbeitskräfte im Land.

Einschüchterungen und Unterschriftenfälschungen

Infolge all dieser Entwicklungen fürchten indigene Gemeinden um den Fortbestand ihrer Lebensweise, auch weil sie, entgegen ihrer Rechte, nicht oder nur unzureichend zur Durchführung der Projekte befragt werden. Gemäß dem durch Mexiko ratifizierten Abkommen ILO 169 der Internationalen Arbeitsorganisation, einer Sonderorganisation der UNO, haben indigene Gemeinden das Recht, nach vorheriger Information in den eigenen Sprachen frei darüber abzustimmen, ob ein sie betreffendes Projekt gebaut werden darf oder nicht. Im Falle des „Tren ,Maya’“ kritisierten mehrere UN-Institutionen und Sonderberichterstatter*innen, dass es im Umfeld der vorgeschriebenen Befragungen der indigenen Gemeinden – etwa durch die Anwesenheit Bewaffneter – zu Bedrohungen und Einschüchterungen kam. Zudem gibt es Berichte über Unterschriftenfälschungen, mangelnde Vorabinformation und die selektive Befragung von Gemeinden. So seien etwa eher urbane Gemeinden befragt worden, die aufgrund ihrer ökonomischen Struktur in höherem Maße von Handel und Tourismus profitieren könnten. Aus dem Isthmus von Tehuantepec existieren vergleichbare Berichte.

Der Widerstand gegen diese Projekte und das Denunzieren dieser Missstände sind riskant; Mexiko ist weltweit eines der gefährlichsten Länder für Menschen- und Landrechtsverteidiger*innen. Im Isthmus von Tehuantepec geht die Marine mit äußerster Gewalt gegen kleine, friedliche Proteste vor, in Sitilpech im Bundesstaat Yucatán, wo ein riesiger Mastbetrieb in die unmittelbare Nähe der Gemeinde und mitten in den Regenwald gebaut wurde, wurden im März acht Maya-Aktivist*innen verhaftet, die im Rahmen friedlicher Proteste eine Straße blockiert hatten. In ihren Stellungnahmen zur Begründung der Aktion bezogen sie sich auch auf den „Tren ,Maya’“.

Dass der Süd-Südosten Mexikos immer mehr von derartiger Gewalt betroffen ist, dürfte in direktem Zusammenhang zu den großen Infrastrukturprojekten und ihren Begleiterscheinungen stehen. Ein weiterer Faktor der Gewaltspirale ist die organisierte Kriminalität, die sich angesichts der erzwungenen Öffnung des Territoriums die Hände reiben dürfte. Tourist*innen sind häufig eine gute Klientel für Drogenhändler und Zuhälter, zudem dürften die nun ausgebauten Häfen beim Transport von Drogen eine große Rolle spielen – sie könnten sowohl eine Exportverbindung nach Europa als auch eine Importmöglichkeit etwa für die Vorprodukte des synthetischen Opioids Fentanyl darstellen, an dem derzeit vor allem in den USA zahllose Menschen sterben.

Deutsche Bahn, BMW, VW adabei

Weit jenseits der mexikanischen Grenzen hoffen zahlreiche Unternehmen und Regierungen, von den Infrastruktur- und ihren Begleit- und Parallelprojekten profitieren zu können. An den Industrieparks des „Corredor Interoceánico“ sind Dutzende Unternehmen aus dem gesamten Globalen Norden beteiligt; Bergbaukonzerne, hauptsächlich aus Kanada und den USA, werben zunehmend um Konzessionen in den von den Infrastrukturprojekten betroffenen Gebieten, der französische Transportkonzern Alsthom baut für ca. 1,5 Milliarden Euro (31520 Millionen mexikanische Pesos) über 40 Züge für den „Tren ,Maya’“. Selbst Elon Musk soll beteiligt werden und die neuen Flughäfen per Tunnel mit „Tren-Maya“-Haltestellen verbinden. Aus Deutschland ist etwa die Deutsche Bahn durch ihr Subunternehmen DB Engineering & Consulting GmbH am „Tren ,Maya’“ beteiligt und begleitet die Baumaßnahmen als sogenannter „shadow operator“. Für ihre Arbeit in einem Konsortium mit den staatlichen spanischen Eisenbahnunternehmen Renfe und Ineco erhält die DB bis Ende 2023 über acht Millionen Euro.

Die Häfen des „Corredor Interoceánico“ könnten auch für deutsche Autokonzerne wie BMW oder Audi eine Rolle spielen: BMW beschloss vor Kurzem, 800 Millionen Euro in die Produktion von E-Autos in Mexiko zu investieren, VW-Audi soll, wie weitere Automobilkonzerne auch, ebenfalls interessiert sein. Darüber hinaus erhielt 2022 das Salzgitterer Unternehmen Europipe einen Auftrag für den Bau einer Gaspipeline im Golf von Mexiko, die das Erdgasvorkommen Dos Bocas mit Tuxpan und der Raffinerie und Hafenstadt Coatzacoalcos verbindet. Etwa 37 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag sollen transportiert werden. Diese Beteiligung korrespondiert mit dem seit dem Krieg in der Ukraine vermehrt auftretenden Ansinnen der Bundesregierung, mexikanisches Erdgas zu importieren, welches bei Präsident López Obrador auf Gegenliebe stieß. Dieser bekundete, mit mexikanischem Erdgas bis zu 30 Prozent des deutschen Bedarfs decken zu können.

Doch das deutsche Interesse an der mexikanischen Energie und der dazu benötigten Infrastruktur besteht schon länger – und beschränkt sich nicht auf Erdgas: In einer parlamentarischen Anfrage der Linkspartei heißt es, Mexiko zähle seit 2017 zu „einem der zehn größten Empfänger deutscher Klimafinanzierungen“, wobei die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bereits in den zehn Jahren vor 2017 mindestens sieben Windparks kofinanzierte. Gegenwärtig werden etwa über die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) Gelder an mexikanische Institutionen, Banken und Unternehmen ausgezahlt, die vermeintlich grüne Energiegewinnung vorantreiben sollen. Hierfür werden häufig indigene Gemeinden ihres Landes beraubt, ohne dann von der Energiegewinnung zu profitieren – der Großteil fließt direkt in die Fabriken der neuen Industriekorridore. Teilweise ist Siemens am Bau dieser Windparks beteiligt.

Die Beteiligung deutscher Staats- und Privatunternehmen an Großprojekten im Ausland funktioniert häufig ähnlich, so auch bei der Deutschen Bahn und dem „Tren ,Maya’“: Bis kurz vor Baubeginn untersuchte die GIZ die Möglichkeiten zu einer „nachhaltigen Nutzung der Selva Maya“, seit 2018 wird die Zusammenarbeit unter dem Titel „Mexiko kommt voran“ fortgeführt. Die Beteiligung der DB Engineering & Consulting wurde dabei vermutlich durch die deutsche Botschaft in Mexiko-Stadt vermittelt, mit Anwesenheit der KfW-Entwicklungsbank.

Im brasilianischen Bundesstaat Maranhão, gelegen im Nordosten des Landes, ist derzeit Ähnliches zu beobachten: dort unterzeichnete die DB Engineering & Consulting GmbH eine milliardenschwere Absichtserklärung für eine federführende Beteiligung beim Bau eines mehrere Milliarden Euro teuren Hafens und Schienennetzes im Munizip Alcântara, das dem Abtransport von Erzen, Soja und Wasserstoff dienen soll. Dem waren Besuche des Bundeskanzlers Olaf Scholz und der Minister Habeck und Özdemir vorangegangen. Vorher hatte die deutsche Botschaft Informationen über das Projekt erbeten, Regierung und Unternehmen sprechen seitdem neben ökonomischem Potenzial von „Sorgsamkeit in sozialen und Umweltbelangen“. Diese „Sorgsamkeit“ kann kaum anders denn als Drohung aufgefasst werden, befindet sich doch der geplante Hafen in einem Umweltschutzgebiet, in dem zudem die brasilianische Luftwaffe seit Jahrzehnten gewaltsam einen Landkonflikt mit den Quilombolas, den Bewohner*innen der einst von geflohenen afrobrasilianischen Sklav*innen gegründeten Dörfern, führt. Neben der DB zeigten auch KfW und GIZ ihr Interesse.

Weichen für künftige Ausbeutung

Die Deutsche Bahn erfüllt, unterstützt von Regierungsvertreter*innen, im Ausland eine besondere Tätigkeit, die häufig darin zu bestehen scheint, bestimmte Gebiete, die häufig noch nicht in die industrielle Produktions- und Handelsweise eingebunden sind, infrastrukturell anzubinden und so in diese zu integrieren – die Weichen zu stellen für eine künftige Ausbeutung natürlicher und menschlicher Ressourcen und die gouvernementale Durchdringung dieser Territorien.

Angesichts der eklatanten, wohldokumentierten Menschenrechtsverletzungen im Falle der Befragungen der indigenen Bevölkerung zur Durchführung des „Tren ,Maya’“ mag es auf den ersten Blick verwundern, wieso die deutsche Bundesregierung, die erst 2021 das Abkommen ILO 169 ratifizierte und der Deutschen Bahn gegenüber, die sich zu 100 Prozent im Staatsbesitz befindet, weisungsbefugt ist, nichts gegen die Beteiligung derselben unternimmt. Konfrontiert mit den Vorwürfen der Menschenrechtsverletzungen reagieren Bundesregierung und DB mit Ausflüchten und Falschaussagen: Man verweist darauf, dass die Überprüfung der Umweltverträglichkeit und der Einhaltung indigener Rechte nicht im Umfang des eigenen Auftrags enthalten sei. Stattdessen stützt man sich auf die Beteiligung von UN-Institutionen, wie etwa des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte – doch ausgerechnet dieses kritisiert den Maya-Zug scharf, sowohl für mangelhaft durchgeführte Konsultationsprozesse als auch für fehlende Umweltverträglichkeitsprüfungen.

Dieser offensichtliche Widerspruch wird sowohl von der Bundesregierung als auch von der Deutschen Bahn ignoriert, sodass schnell deutlich wird, dass bei beiden das Interesse am Geschäft gegenüber dem Interesse – und der mit der Ratifizierung von ILO 169 selbstauferlegten Verpflichtung – zur Einhaltung von Menschenrechten und den damit verbundenen Prozessen überwiegt.

Klar ist, dass im Falle der territorialen Neuordnung Süd- und Südostmexikos – maßgeblich vorangetrieben und ermöglicht durch den „Tren ,Maya’“ und den Interozeanischen Korridor des Isthmus von Tehuantepec – vor allem die Streitkräfte und nationales wie internationales Kapital profitieren werden. Einige der deutschen Profiteure und die Motive der Bundesregierung sind in diesem Beitrag näher beleuchtet worden, wobei dies sicherlich nicht erschöpfend geschehen ist. Die indigene Bevölkerung in den betroffenen Gebieten sieht sich enormen, häufig unautorisierten Eingriffen in ihr Territorium ausgesetzt. Von seiner Ausbeutung und der versprochenen Entwicklung wird sie voraussichtlich kaum profitieren, alles andere als das. Stattdessen steht zu befürchten, dass den indigenen Gemeinden, falls die Infrastrukturprojekte realisiert werden und ihre volle Wirkung entfalten, der Verlust ihrer häufig relativ autonomen, kleinbäuerlichen Lebensweise droht.

Um diesbezüglich Sichtbarkeit zu erzeugen und die Kämpfe gegen das Megaprojekt der territorialen Neuordnung zu verbinden, hatten zahlreiche indigene Basisorganisationen vom 25. April bis zum 07. Mai 2023 zur Karawane und dem Internationalen Treffen „El Sur Resiste“ (Der Süden widersteht) aufgerufen. Die Route der Karawane folgte den Strecken des Interozeanischen Korridors und des „Tren ,Maya’“. Die Gegner*innen der Projekte scheinen also bestens zu wissen, wie beide Projekte zusammenhängen und welche Totalität die mit ihnen verbundenen Veränderungen anzunehmen drohen – werden sie nicht gestoppt.

(1) Wir verwenden an dieser Stelle Anführungszeichen, da das Projekt den Namen „Maya“ fälschlicherweise nutzt, um die Verbundenheit und Abstimmung des Projektes mit den lebenden Maya zu suggerieren

Die Recherche-AG ist eine Recherche- und Aktionsgruppe, die sich 2021 im Zuge der zapatistischen Reise für das Leben zusammengeschlossen hat. Ziel ist es, Verstrickungen europäischer Firmen und Regierungen in Lateinamerika, insbesondere in Mexiko, sichtbar zu machen und gegen diese vorzugehen. Social Media: twitter.com/AgRecherche. Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 465 Mai 2023, hrsg.und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn. Zwischenüberschriften wurden nachträglich eingefügt.

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